Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

Hämatologie

Bei benignen und malignen hämatologischen Erkrankungen wird der Vertrauensarzt mit Fragen zur komplexen Diagnostik, zur Immun- und Chemotherapie, die oft im off-label-use erfolgen, sowie zu Supportivtherapien konfrontiert.

Die Hämatologie umfasst die allgemeine Hämatologie, die Tumoren des hämatopoietischen Systems (Hämato-Onkologie), die Gerinnungsmedizin sowie die Transfusionsmedizin. Diagnostik und Therapie basieren auf Richtlinien wie:

Diagnostik

Hämatologische Komplexdiagnostik beinhaltet:

  1. Eindeutige Benennung einer Krankheit entsprechend der derzeit gültigen Klassifikationen (z.B. WHO Classification of Tumours of Haematopoietic and Lymphoid Tissues, ELN guidelines).
  2. Bestimmung von prognostisch relevanten Parametern (z.B. 5q-, komplexe Zytogenetik, TP53) und von Eigenschaften der Krankheit für zielgerichtete Therapien (z.B. CD20, CD22, CD30, CD38, CD52, BCR-ABL, PML-RARA, IDH1, IDH2, FLT3).
  3. Festlegung des Krankheitsstadiums (Ausdehnung/Staging, Remissionsstatus)
  4. Verlaufsuntersuchungen zur Überwachung des Therapieansprechens und Frühdiagnose eines Rezidivs bzw. Therapieresistenz.
  5. Bestimmung der Ursachen von Rezidiven und Therapieresistenz.
  6. HLA-Typisierung und Chimärismusanalyse sind zusätzliche Teile der Komplexdiagnostik vor und nach allogener Blutstammzelltransplantation und Grundlage für Therapieentscheide.

Diese Komplexdiagnostik ist Grundlage für alle Therapieentscheidungen.

Untersuchungsmethoden und ihre Indikationen

(adaptiert von Onkopedia Leitlinien hämatologische Diagnostik, Stand Mai 2018):

Morphologie (Blutbild/KM-Aspirat)

  • Unklare Abweichungen im maschinellen Blutbild.
  • Vd auf primäre Knochenmarkerkrankungen (Leukämien, Lymphome, ineffiziente Hämatopoiese, Verbrauchszytopenien) oder Knochenmarkinfiltration durch nicht-hämatologischen Prozess (solide Tumoren).
  • Remissionskontrollen hämatologischer Erkrankungen.
  • Vd. auf neoplastische Infiltration nicht-hämatopoetischer Organe bzw. Kompartimente (Leptomeningealraum, Peritoneum).

Immunphänotypisierung aus PB oder KM (Durchflusszytometrie)

  • Unklare Normabweichungen im maschinellen oder mikroskopischen Blutbild.
  • Vd. auf primäre Knochenmarkerkrankungen (Leukämien, Lymphome).
  • Remissionskontrollen hämatologischer Erkrankungen bzw. Nachweis einer minimalen Resterkrankung (MRD).
  • Vd. auf neoplastische Infiltration nicht-hämatopoetischer Kompartimente (Liquorraum, Peritoneum, Pleurahöhle).
  • Vd. auf andere klonale hämatopoetische Erkrankungen (z.B. PNH).
  • Vd. auf zellulären Immundefekt.

Zytogenetik

  • Diagnose und Klassifikation von Erkrankungen mit spezifischen zytogenetischen Veränderungen.
  • Erhebung von Prognoseparametern bei Myelodysplasien, Leukämien und Lymphomen.
  • Remissionskontrollen hämatologischer Erkrankungen.

Molekulargenetik

  • Nachweis oder Ausschluss hämatologischer Erkrankung mit bekannten rekurrenten molekularen Aberrationen.
  • Erhebung von Prognoseparametern bei Myelodysplasien, Leukämien und Lymphomen.
  • Therapieverlaufs- und Remissionskontrollen hämatologischer Erkrankungen, v.a. Nachweis einer minimalen Resterkrankung (MRD), molekulare Response bei CML.
  • Bestimmung und Verlaufskontrolle des hämatopoetischen Chimärismus nach allogener hämatopoietischer Stammzelltransplantation.

Histopathologie und Immunhistochemie aus Biopsie (Link Molekularpathologie)

  • Ausmaß einer Knochenmarkinfiltration bei Leukämien, Lymphomen, MDS und beim Multiplen Myelom im initialen Staging, zur Beurteilung des Therapieansprechens unter Therapie und des Remissionsgrades nach Therapie.
  • Diagnostik hämatologischer Krankheiten speziell auch bei Punctio sicca (z.B. bei Primärer Myelofibrose, Haarzell-Leukämie).
  • Diagnostik von Krankheitsstadium, z.B. Infiltrate eines Lymphoms.
  • Diagnostik fokaler Prozesse im Knochenmark (Metastasen solider Tumoren, Nachweis einer granulomatösen Erkrankung).

Bildgebung

Ganzkörper-CT, Ganzkörper-MRI, PET-CT.

  • Zur Bestimmung der Ausdehnung einer hämatologischen Krankheit (Lymphom/Myelom) sowie Diagnose von eventuellen Osteolysen (bei Myelom).

Prognostisch relevante Faktoren (z.B. TP53) und therapeutische targets (z.B. Oberflächenantigene (CD-Antigene), FLT3, IDH1/2) können im Verlauf einer Krankheit erworben werden, verloren gehen oder es können sich Resistenzen entwickeln (z.B. BCR-ABL-Mutationen unter Therapie mit Tyrosinkinase-Hemmern). Darum muss die Komplexdiagnostik bei ungenügendem oder fehlendem Therapieansprechen und bei Rezidiven wiederholt werden.

Insbesondere die molekulare Diagnostik und die Immunphänotypisiserung liefern wichtige Informationen zum Therapieansprechen und zur Remissionstiefe nach Behandlungsbeginn.

Minimale Resterkrankung (Minimal (measurable) residual disease/MRD)

Der Nachweis von MRD ist sowohl bei heilbaren wie auch bei nicht heilbaren Krankheiten von prognostischer Bedeutung (gibt Anhalt über die zu erwartende Remissionsdauer). Dabei werden Reverse Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion, Durchflusszytometrie oder Next Generation Sequencing (NGS) eingesetzt. Die sinnvolle Methodik und Häufigkeit der Wiederholung dieser Untersuchungen ist Krankheits- und Krankheitsstadien-bedingt unterschiedlich und richtet sich nach publizierten Richtlinien, die häufig Konsensus-Empfehlungen entsprechen (Pubmed, Pubmed).

Hämochromatose – genetische Abklärung Link Genetik

Indiziert bei nachgewiesener Eisenüberladung (erhöhte Transferrinsättigung, Serum-Ferritin) oder bei positiver Familienanamnese. Die Testung erfolgt im letzteren Fall idealerweise im jungen Erwachsenenalter (18-30J.), ausser es liegt eine juvenile Hämochromatose vor (klinische Manifestation vor dem 30.Lebensjahr oder positive Familienanamnese für juvenile Hämochromatose).

Therapeutische Verfahren

Extrakorporelle Photopherese (ECP)

Die ECP-Behandlung (Anhang 1 KLV) wird bei kutanen T-Zell Lymphomen und GvHD (Graft-versus-Host-Disease) eingesetzt und besteht aus einer Apherese (Blut wird in einem Zellseparator mittels Zentrifugation in einzelne Bestandteile aufgetrennt) von Lympho- und Monozyten, die zu einem sogenannten buffy coat konzentriert und danach mit Uvadex® (Methoxsalen, photo-sensibilisierende Substanz) versehen und UVA-bestrahlt werden (Pubmed). Durch die Bestrahlung wird die Funktion der Leukozyten modifiziert/reduziert. Die Photosensibilisierung mit Uvadex® und die nachfolgende UVA-Bestrahlung sind zentraler Bestandteil der Behandlung. Unmittelbar nach Abschluss der UVA-Exposition wird Uvadex grösstenteils wieder aus dem Apheresat entfernt und die Zellen werden den Patienten reinfundiert. Die ganze Behandlung ist ein kontinuierliches Verfahren, das mehrere Stunden dauert. Da es sich um einen extrakorporalen Kreislauf handelt, ist über die Dauer des Verfahrens zudem eine systemische Antikoagulation mit Heparin oder Citrat notwendig. Bei einer Antikoagulation mit Heparin wird dieses, abhängig vom Blutungsrisiko, mittels Protamin nach Abschluss der ECP antagonisiert.

Stammzelltransplantation und Supportivtherapien

Die Blutstammzelltransplantation (SZT) wird zur Behandlung verschiedener maligner und nicht-maligner Erkrankungen angewendet. Es werden dem Patienten eigene (autolog) oder von (z.T. verwandten) Spendern (allogen) Blutstammzellen übertragen.

Phasen der SZT:

  1. Konditionierung mittels Chemotherapie u/o Ganzkörperbestrahlung.
  2. Eigentliche Transplantation der Stammzellen.
  3. Aplasiephase.
  4. Hämatologische Rekonstitution gefolgt von einer deutlich langsameren Immunrekonstitution, z.T. kompliziert durch eine akute oder chronische Graft-versus-Host Krankheit (GvHD – das transplantierte Immunsystem erzeugt eine Abstossungsreaktion gegen den neuen Körper).
  5. Langzeitkomplikationen.

GvHD - Immunsuppression

Die akute GvHD weist Ähnlichkeit zu entzündlichen Krankheiten (z.B. Lyell-Syndrom, M. Crohn), die chronische GvHD zu chronischen Autoimmunkrankheiten auf (z.B. primär biliäre Cholangitis, systemischen Sklerose, Sjögren Syndrom).

Die meisten zur Immunsuppression eingesetzten Arzneimittel sind nicht für SZT zugelassen (OLU). Deren Einsatz rechtfertigt sich, da sie integraler Bestandteil eines definierten Therapieprotokolls sind, dessen Wirksamkeit und Zweckmässigkeit durch langjährige Anwendung in klinischen Studien und Analysen von outcome registries belegt sind.

Prävention der GvHD: Calcineurin- (Cyclosporin A, Tacrolimus) oder mTOR-Inhibitoren (Sirolimus, Everolimus), die zu Beginn bei vielen Transplantationsprotokollen mit Mycophenolat kombiniert werden. Für die längerfristige Immunsuppression bei steroidrefraktärer oder steroidabhängiger akuter und chronischer GvHD ist die Datenlage weniger solide. Die Wahl der Arzneimittel richtet sich nach dem Muster der betroffenen Organe und vorhandenen Komorbiditäten (Pubmed). Aktuell laufen randomisierte Therapiestudien, sodass sich die Evidenzlage in absehbarer Zeit deutlich verbessern wird. Die posttransplantäre Nachsorge erfolgt analog den internationalen Empfehlungen (Pubmed, Pubmed).

Zahnmedizinische Komplikationen

  • Dentogene Infekte: während der Phase des kompletten Verlusts der Immunabwehr (Aplasie) oder während der nachfolgenden Phase mit erheblich eingeschränkter Immunabwehr.
  • Orale Mukositis: bedingt durch die Gewebeschädigung während der Konditionierung oder im Rahmen der chronischen Entzündung bei GvHD. Begünstigt Infektkomplikationen und verhindert wegen Schmerzen häufig eine optimale Mundpflege.
  • Hyposalivation: bedingt durch eine direkte Schädigung der Speicheldrüsen durch die Chemo- resp. Radiotherapie oder im weiteren Verlauf durch Destruktion des Speicheldrüsenparenchyms durch eine Abstossungsreaktion (GvHD). Zusätzlich kann eine Reihe von Arzneimitteln, die peri- und posttransplantär zur Anwendung kommen die Speichelsekretion weiter reduzieren.
  • Qualitative Veränderung der Speichelzusammensetzung: sowohl während der Mukositis wie auch während akuter und chronischer GvHD wird nicht nur eine Veränderung der Menge sondern auch der Zusammensetzung beobachtet. Die veränderte Produktion von Proteinen, welche in die Regulation von Entzündungsreaktionen, der antimikrobiellen Abwehr und des Schutzes von Geweben involviert sind lassen eine verminderte Fähigkeit zur antimikrobiellen Abwehr vermuten. Als Folge der gestörten Speicheldrüsenfunktion (Menge u/o Zusammensetzung) kann es aufgrund der verminderten Schutzwirkung des Speichels auch bei weitergeführten Mundhygienemassnahmen zu vermehrter Kariesprogression, Parodontitis sowie weiteren oralen Erkrankungen kommen.
  • Das Risiko für die Entstehung oder Progression oraler Erkrankungen kann noch Jahre nach der Stammzelltransplantation erhöht sein.

Obligate zahnmedizinische Massnahmen

Zahnärztliche Untersuchungen und Behandlungen, die in kausalem Zusammenhang mit der Behandlung der Grunderkrankung stehen, sind PL (Art. 17, 18a et d, 19 c et d KLV). Die Beurteilung der LP soll durch einen Zahnarzt (LINK Zahnmedizin) mit Erfahrung in der Nachsorge nach SZT in Zusammenarbeit mit dem Transplantationszentrum erfolgen.

Supportivbehandlung der chronischen GvHD

Der Einsatz physio- und sporttherapeutischer Massnahmen rechtfertigt sich aus der Analogie zu pulmonalen Rehabilitationsprogrammen (insbesondere bei Patienten mit pulmonaler GvHD) sowie bei Patienten mit sklerodermiformer GvHD der Haut und Unterhaut sowie Fasziitis analog der Behandlung von Patienten mit Systemischer Sklerose, da es sich hier um klinisch gleichartige Beschwerden handelt. Ziel ist die Vermeidung fortschreitender Kontrakturen, Immobilisierung (Gelenke der Extremitäten, Beeinträchtigung der Atemmechanik durch fehlende Expansionsmöglichkeit des Abdomens bei Sklerose und Fixierung des Thorax mit trapped lung) und Invalidisierung. Obligates Asssessment vor und unter Therapie (LINK Rehabiliation). Wichtig ist die Fortsetzung der Behandlung (Physiotherapie und Heimselbsttraining), um eine erneute Progredienz der Einschränkungen zu vermeiden Pubmed. Sport- und Physiotherapie spielen zudem eine wichtige Rolle zur Förderung der Propriozeption, intramuskulären Kontrolle und posturalen Stabilität bei begleitender Polyneuropathie. Die Empfehlungen stützen sich hier auf die Evidenz zur diabetischen und chronisch-entzündlichen Polyneuropathie.

Allgemeine Hämatologie

Eisensubstitution bei Eisenmangel ohne Anämie oder bei multifaktorieller Anämie

Die klinische Relevanz des Eisenmangels ohne Anämie ist immer noch nicht abschliessend definiert. Allerdings weisen immer mehr Daten darauf hin, dass ein Eisenmangel auch ohne Anämie zu Müdigkeit und verminderter körperlicher Leistungsfähigkeit führen kann. Basierend auf der aktuellen Datenlage wurden 2019 von Schweizer Experten im Rahmen eines Delphiprozesses Empfehlungen zu Diagnose und Therapie bei Eisenmangel erarbeitet (Pubmed).

Diagnostik

  • Blutbild (Hb, MCV, MCHC, Retikulozyten und CHr), Serum-Ferritin und CRP. Transferrinsättigung und löslicher Transferrinrezeptor sind zusätzlich notwendig bei entzündlichen Affektionen oder Hepatopathien.

Eisenmangel

  • Serum-Ferritin <30ug/l, bzw. Serum-Ferritin von 30-50ug/l zusammen mit einer Transferrinsättigung <20%. Ausnahmen siehe unten. Kontrolle des Ferritins 8-12 Wochen nach Substitution empfohlen.

Spezielles Vorgehen bei folgenden chronischen Krankheiten:

November 2019
PD Dr. J. Halter

Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

Fragen, Anregungen

Haben Sie Fragen, Bemerkungen oder Anregungen zur Gestaltung unserer Homepage?

Teilen Sie uns das doch bitte mit und kontaktieren Sie unsere Geschäftsstelle.

Geschäftsstelle

SGV
c/o MBC Markus Bonelli Consulting
Rudolf Diesel-Strasse 5
8404 Winterthur

Tel. 052 226 06 03
Fax 052 226 06 04

Email info@vertrauensaerzte.ch