Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

Molekularpathologische Untersuchungen von Tumoren

Molekularpathologie ist Grundlage der erfolgreichen Anwendung gezielter Therapien in der medizinischen Onkologie. Der Vertrauensarzt wird im Rahmen der Behandlung von Patienten, die an einem histopathologisch nachgewiesenen Tumor leiden, mit der Frage zur Indikation molekularpathologischer Untersuchungen konfrontiert. Solche werden heute routinemässig bei Mamma-, Lungen- und kolorektalen Karzinomen sowie bei Melanom aber auch anderen Tumoren durchgeführt, um eine möglichst gezielte Therapie einleiten zu können.

In den letzten 40 Jahren hat das Wissen über die Entstehung und Entwicklung von Tumoren enorm zugenommen. Im Sinne der «translationellen Medizin» wurden diese Erkenntnisse zunehmend auch in gezielte Therapeutika umgesetzt, die unter dem Begriff „stratifizierte oder personalisierte Medizin“ (Link) Eingang in den klinischen Alltag und in die öffentliche Diskussion gefunden haben. Die molekularen Untersuchungen betreffen somatische Mutationen im Tumorgewebe, weshalb diese Untersuchungen in der Pathologie durchgeführt werden. Hereditäre genetische Tumor-Prädisposition gehört nicht dazu (Link Genetik). Molekularpathologie als Grundlage der Anwendung gezielter Therapien in der Onkologie durchläuft zurzeit eine enorm rasche Entwicklung. Fast wöchentlich werden zusätzliche Untersuchungen für spezifische Gene mit entsprechender therapeutischer Intervention beschrieben. Es empfiehlt sich die molekularpathologischen Befunde in einem Tumorboard (Link Onkologie) unter Mitwirkung eines Molekularpathologen zu diskutieren.

Techniken

Histopathologie stellt immer noch den Grundstein jeder Diagnose eines Tumors dar. Dies wird sich auch in Zukunft nicht ändern, weil sie vergleichsweise kostengünstig ist und eine hohe Breite der Diagnostik von Tumoren, aber auch nicht-neoplastischen Erkrankungen, umfasst.

Immunhistochemie wird seit über 50 Jahren in der Pathologie praktiziert und deshalb häufig nicht zu den molekularpathologischen Methoden gezählt, obwohl sie im Prinzip einer solchen entspricht. Sie ist eine in situ Methodik, d.h., sie erlaubt eine Zuordnung von spezifischen Proteinen zu einzelnen (Tumor-) Zellen am histologischen Schnitt. Dazu kommt, dass für prädiktive Marker zunehmend auch industriebasierte Immunhistochemie-Kits im Handel erhältlich sind, welche wiederum bereits CE zertifiziert sind und entsprechend direkt im Laboralltag eingesetzt werden können. Diese Tests sind aber häufig deutlich teurer.

In situ Hybridisierung (z.B. FISH, CISH) auf DNA-Stufe hat v.a. für Amplifikationen (z.B. Her2) eine grosse Bedeutung und wird auch heute noch regelmässig angewandt. Andere FISH-Untersuchungen sind z.B. Translokationsuntersuchungen, die ebenfalls sowohl diagnostische als auch prädiktive Bedeutung haben. Der Vorteil dieser Untersuchung ist wiederum die Zuordnung zum Gewebe beziehungsweise zur individuellen Zelle. Im klinischen Alltag wird v.a. DNA in situ Hybridisierung verwendet, allerdings sind neue Tests mit multiplen RNA in situ Hybridisierungsassays ebenfalls im Kommen.

Sequenzierungen von Nukleinsäuren (v.a. DNA aber auch RNA) ist die wichtigste Technologie zur Bestimmung von Genveränderungen in einem Tumor. Zur Durchführung der Sequenzierung sind verschiedene Techniken möglich:

  • Sanger-Sequenzierung ist die Standardmethode zur DNA-Sequenzierung. Sie wird auch heute noch weit angewandt, hat aber eine relativ niedrige Sensitivität (Tumorzellgehalt größer 10-20 %) und kann nur eine DNA auf einmal analysieren.
  • Pyrosequenzierung: Es gibt eine Reihe von kommerziellen Sequenzierungsmethoden, die v.a. einzelne Mutationen oder Mutationsgruppen (z.B. BRAF c.599/600/601) untersuchen. Eine weit verbreitete Technik ist die Pyrosequenzierung, bei welcher der Einbau der Nukleotide bei der DNA-Synthese durch eine Lichtreaktion gemessen wird. Diese Technik erlaubt eine rasche Analyse gut charakterisierter kleiner Genregionen.
  • Tiefensequenzierung oder Next Generation Sequencing (NGS) hat sich zunehmend als Methode der Wahl zur Sequenzierung durchgesetzt. Der Vorteil dieser Methode liegt darin, dass gleichzeitig multiple Gene (je nach Ansatz hunderte sogar tausende) nachgewiesen werden können und ebenfalls eine Quantifizierung der einzelnen Genmutationen möglich ist. Es gibt verschiedene Plattformen für die NGS (wie Thermo Fisher, Illumina), in der Molekularpathologie wird wegen den kurzen DNA-Fragmenten v.a. die relativ einfach anwendbare Thermo Fisher-Plattform verwendet. Zusätzlich ist zu empfehlen, primär bereits eine NGS-Untersuchung durchzuführen, weil die Erfahrung zeigt, dass häufig weitere Gene untersucht werden müssen und die repetitive Untersuchung mit einfachen (die primär scheinbar günstigeren) technischen Varianten durch mehrere dieser Untersuchungen rasch aufgehoben ist. Ein gewisser Nachteil ist u.U., dass die Untersuchung länger dauert (je nach Institution mehrere Wochen). Deshalb wird häufig ein 2-phasiger Arbeitsablauf angewendet mit einer raschen Untersuchung eines einzelnen Gens (z.B. EGFR) mit anschließender breiter Gen-Untersuchung.
Zellfreie DNA (Liquid Biopsy): Im Blut eines gesunden Menschen gibt es freie, nicht zellgebundene DNA. Dazu gehört z.B. auch fetale DNA bei der schwangeren Frau, die ebenfalls zu diagnostischen Zwecken untersucht werden kann. Auch Tumor-DNA kann ihm Blut nachgewiesen werden, wenn diese eine bekannte oder erkennbare Mutation aufweist. Dies kann diagnostisch verwendet werden, deshalb der Begriff der «Liquid Biopsy». Diese Untersuchung wird vor allem im Verlauf bei Rezidiven zur Frage einer möglichen Resistenz-Mutation gegenüber gezielten Therapien angewandt, insbesondere dann, wenn eine weitere konventionelle Gewebebiopsie schwierig zu entnehmen ist. Zunehmend wird die Liquid Biopsy auch bei der Frage nach Rezidiven oder Tumorpersistenz verwendt.

Methylierungsanalysen/Methylierungsprofile: Im Bereich der epigenetischen Veränderungen werden zurzeit vor allem Methylierungen untersucht. Die Methylierung von Zytosinbasen in der Promoterregion führt zu Inaktivierung von Genen und im Falle der Inaktivierung von Tumorsuppressorgenen kann es zu einer malignen Entartung kommen. Klassisch können einzelne Gene auf ihren Methylierungsstatus hin untersucht werden (z.B. der MSH1-Promoter beim kolorektalen Karzinom), zunehmend kommen heute aber Methylierungsprofile zur Anwendung, die auf Arraybasis zahlreiche Gene auf ihr Methylierungsmuster analysieren können. Diese Technik erlaubt teils eine qualifizierte Diagnostik und wird z.B. bei Tumoren des Gehirns bereits routinemässig angewandt.

Indikationen

Die rasante Entwicklung der molekularen Tumorpathologie und neuer therapeutischer Möglichkeiten erlaubt keine abschliessende Aufzählung relevanter Gene, nach denen gesucht werden soll. In Befolgung der WZW-Kriterien soll einzig nach denjenigen genetischen oder epigenetischen Veränderungen gesucht werden, die therapeutisch, namentlich mittels SL-registrierter Arzneimittel angegangen werden können.

Hier sind einige Beispiele z.Z. sinnvoller Untersuchungen genannt:

Lungenkarzinom: Beim Adenokarzinom werden routinemässig die typischen onkogenen Drivermutationen EGFR, BRAF und MET sowie die Translokationen ALK1, ROS1 und der Immunmarker PD-L1 untersucht. Dies hat unmittelbare therapeutische Konsequenzen, da es spezifische Therapien für diese genetischen Veränderungen gibt.

Mammakarzinom: Routinemässig werden die Her2-Amplifikation, die erste genetische Tumorveränderung, die 1999 zu einer unmittelbaren gezielten Therapie führte, sowie immunhistochemisch die Östrogen- und Progesteronrezeptoren, bestimmt. In den letzten Jahren wurden so genannte Multigentests entwickelt: v.a. Prognosetests betr. adjuvante Chemotherapie. Diese kommerziell erhältlichen Tests (z.B. EndoPredict, Femtelle, MammaPrint, Oncotype DX) sind z.T. recht unterschiedlich aufgebaut und untersuchen verschiedene Gene sowie die Expression spezifischer Proteine.

Kolorektales Karzinom: Es werden klassische Treibermutationen wie KRAS, NRAS und BRAF untersucht, welche Voraussetzung sind für eine EGFR Antikörpertherapie. Für die Entscheidung, ob eine Immuntherapie durchgeführt werden kann, werden die Mikrosatelliteninstabilität, der Tumor mutational burden (TMB) oder Mutation im POLE Gen bestimmt. Alle diese Tests sind Hinweise für eine vermehrte Bildung aberranter Proteine, die einer Immuntherapie mit Immun-Checkpoint Inhibitoren zugänglich sind.

Melanom: Hier ist v.a. die Untersuchung von BRAF zu nennen, welche die Grundlage für die Therapie mit entsprechenden Inhibitoren darstellt. Bei der Frage nach der Herkunft und metastasierten Melanomen mit unklarem Primarius sollten zusätzlich noch Mutationsanalyse von GNAQ und GNAS durchgeführt werden, die Hinweise auf den Primärtumor geben.

Seltene Tumoren und seltene/unerwartete Mutationen in häufigen Tumoren: Bei seltenen Tumoren sind keine großen Studien möglich, um den erfolgreichen Einsatz von Therapeutika zu belegen. Trotzdem kann basierend auf Erfahrungen in der Behandlung häufigerer Tumorentitäten der Nachweis von Biomarkern zu einer erfolgreichen Therapie führen. So kann z.B. beim seltenen Speicheldrüsenkarzinom (v.a. bei jungen Patienten) eine Her2 Amplifikation oder eine Überexpression des Androgenrezeptors erfolgreich durch entsprechende Inhibitoren behandelt werden. Umgekehrt können in häufigen Tumoren seltene oder unerwartete Genveränderungen (z.B. NTRK-Fusion, Her2 Amplifikation) vorliegen, die mit entsprechenden Inhibitoren erfolgreich behandelt werden können.

Problem Zeitfaktor in Notfallsituationen: Die Tiefensequenzierung (NGS) benötigt Zeit, je nachdem 1-3 Wochen. Andererseits gibt es in der Onkologie Notfallsituationen (z.B. obere Einflussstauung beim Lungenkarzinom), bei der eine sehr rasche Entscheidung notwendig wird. In diesem Fällen wird zunehmend (auch international) ein zweistufiges Verfahren verwendet, bei dem zuerst ein Schnelltest mit sehr begrenztem Untersuchungsumfang (z.B. EGFR Mutation) verwendet wird und in einem zweiten Schritt die übrigen Gene (vollständige NGS) untersucht werden.

Oktober 2019
Prof. Dr. med. Gieri Cathomas

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