Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

Gastroenterologie

Der Vertrauensarzt wird häufig mit Fragen zur gastrointestinalen Diagnostik sowie zur Therapie entzündlicher Darmerkrankungen und chronischer Virushepatitiden konfrontiert. Gelegentlich stehen Off-Label-Anwendungen bei der Behandlung von Analfissuren zur Diskussion. Die Risikobeurteilung stützt sich auf den Verlauf der Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts, des Pankreas sowie der Leber ab.

Hämorrhoiden

Innere Hämorrhoiden sind i.a. schmerzlos und äussern sich durch anale Blutungen und Nässen. Hämorrhoiden 1. und 2. Grades werden durch Ligaturen oder Sklerosierung behandelt. Hämorrhoiden 3. Grades werden meistens und 4. Grades immer chirurgisch ambulant (Anhang 1 KLV) behandelt

Analfissuren

Analfissuren heilen mehrheitlich unter Stuhlkosmetik ggf. unter zusätzlicher Lokaltherapie mit Faktusalbe® innert ein bis drei Wochen ab. Bei Persistenz über sechs Wochen unter adäquater Therapie werden zusätzlich an erster Stelle lokal Kalziumantagonisten (Diltiazem oder Nifedipin) in Salben angewandt. Es können auch Nitroglycerinhaltige Salben eingesetzt werden, führen jedoch oft zu starken Kopfschmerzen. Botulismustoxin (Botox®) ist erstens häufiger Komplikationen (Perianalvenenthrombosen, Sphinkterinsuffizienz) wegen nicht zweckmässig und zweitens für diese Indikation nicht registriert. Bei Persistenz der Beschwerden ist eine chirurgische Therapie (v.a. Fissurektomie) angezeigt.

Analfisteln

Analfisteln treten gehäuft im Rahmen des M. Crohn, einer Proktitis oder eines Analkarzinoms auf. Symptomatische Fisteln werden in der Regel chirurgisch behandelt. Analfisteln im Rahmen des M. Crohn werden oft mit Antibiotika, Immunmodulatoren oder TNFα-Blockern behandelt. Bei Versagen derselben kann durch spezialisierte Viszeralchirurgen Darvadstrocel (Alofisel®, OLU) angewendet werden.

M. Crohn (Link Pubmed)

Entsprechend Aktivität, Lokalisation und Präsentation (u.a. Colitis, Striktur, Fisteln) werden folgende Arzneimittel eingesetzt: Kortikosteroide, Immunmodulatoren, TNF-α-Blocker (Infliximab, Adalimumab, Golimumab; Limitatio SL), Anti-Integrine (Vedolizumab; Limitatio SL), IL-12/23-Hemmer (Ustekinumab; Limitatio SL). Bei Strikturen und Stenosen chirurgische Therapie.

Colitis ulcerosa (Link Pubmed)

Im Schub werden je nach Ausdehnung und Schweregrad folgende Arzneimittel eingesetzt: 5-ASA-Präparate, Kortikosteroide, Thiopurine, TNF-α-Blocker (Limitatio SL), Vedolizumab (Limitatio SL), Cyclosporin. Hospitalisierung bei sehr schwerem Verlauf. In seltenen Fällen totale Kolektomie. Nach Abklingen des Schubs 5-ASA Maintenance (Link Pubmed). Erfahrungsgemäss schlechte Compliance. Wegen erhöhten Karziomrisikos bei Pancolitis bzw. totaler linksseitiger Colitis regelmässige Kontrollkoloskopien mit Stufenbiopsien nach zehn- bzw. fünfzehnjähriger Dauer.

Hepatitis B

Rund 44‘000 Personen (0.53% der Bevölkerung) sind Träger einer chronischen Hepatitis B (DNS-Virus). Pegyliertes Interferon und Nukleosid- bzw. Nukleotidanaloga werden oft lebenslang zur Unterdrückung der Virusreplikation eingesetzt. Dies bewirkt eine Reduktion der Entzündungsaktivität. Eine Viruselemination kann bei weniger als 5% der Behandelten erreicht werden. Dies trotz intensiver Suche nach wirksamen Arzneimitteln. (Link Pubmed) (Link Pubmed).

Hepatitis C

Rund 58‘000 Personen (0.70% der Bevölkerung) sind Träger einer chronischen Hepatitis C (RNS-Virus). Mittels direkt antiviral wirkender Arzneimittel (DAA: Direct acting antivirals) kann innert 8-24 Wochen abhängig von HCV-Genotyp und Ausmass der Schädigung der Leber bei über 90% der Behandelten eine andauernde Viruselimination erreicht werden (SV: Sustainable viral response). Die Verschreibung der Arzneimittel (SL 08.03) ist im Prinzip limitiert und darf ausschliesslich durch Fachärzte für Gastroenterologie, insbesondere Träger des Schwerpunkttitels Hepatologie oder durch Fachärzte für Infektiologie, sowie durch ausgewählte Ärzte mit Erfahrung in Suchtmedizin und in der Behandlung von CHC erfolgen und richtet sich nach den aktuellsten Guidelines (Link Pubmed) oder (Link Georg Thieme-Verlag: S3-Leitlinie „Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Hepatitis-C-Virus (HCV) -Infektion“) oder (AWMF, Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Hepatitis-C-Virus(HCV)-Infektion).

Nichtalkoholische Steatose bzw. Steatohepatitis (NASH)

Die nichtalkoholische Steatose (50% der Hepatozyten sind verfettet) und die mit Leberzelluntergang und Entzündung einhergehende nichtalkoholische Steatohepatitis treten meistens im Rahmen des metabolischen Syndroms oder der Adipositas auf (Kap. Endokrinologie). Therapeutisch stehen einzig die bei diesen Erkrankungen notwendigen Massnahmen zur Verfügung, auch bei Vorliegen einer Fibrose. Somit sind wiederholte serologische oder bildgebende Untersuchungen nicht zweckmässig.

Primär biliäre Cholangitis

Die primär biliäre Cholangitis (PBC) ist eine Autoimmunerkrankung, die vor allem Frauen befällt und im Endstadium zur Zirrhose führt. Durch lebenslange Einnahme von Ursodeoxycholsäure kann der Verlauf in vielen Fällen verlangsamt werden. Bei ungenügendem biochemischen Ansprechen kann der Einsatz von Obeticholsäure (Ocaliva®, reg. FDA, EMA) oder Bezafibrat (reg. EMA) diskutiert werden. Während Bezafibrat nebst den biochemischen Parametern auch Symptome und den Fibrosegrad der Leber beeinflusst, trifft für Obeticholsäure einzig ersteres zu (Link Pubmed).

Kurzdarmsyndrom

Nach grösseren Dünndarmresektionen (v.a. bei M. Crohn, Mesenterialinfarkt, Traumata) treten Diarrhoe und Malabsorption auf. Je nach Ausprägung letzterer genügt eine enterale Ergänzung von Spurenelementen (v.a. Zink) und Vitaminen (D und B12). Nach Resektion von mehr als 100 cm Dünndarm muss während Monaten, gelegentlich Jahren, eine parenterale Ernährung (meistens über einen Port-a-Cath) (siehe auch Kap. 2.1 Anhang 1 KLV) mit entsprechendem Infektionsrisiko durchgeführt werden. Die Prävalenz dieser Form des Kurzdarmsyndroms liegt bei ca. 34 pro 1 Mio Einwohner. Mittels Teduglutide, einem Analogon des Glucagon-like-peptids 2/GLP-2 (Revestive®, OLU) konnte zwar bei bis zu 50% der Patienten eine Reduktion des parenteral zugeführten Flüssigkeitsvolumens um mehr als 20% erreicht werden. Eine vollständige Umstellung auf enterale Ernährung jedoch konnte nach einer medianen Behandlungsdauer von 89 Wochen einzig bei 12% der in vier Studien eingeschlossenen Patienten erreicht werden. Teduglutide muss lebenslang verabreicht werden, die notwendigen Sicherheitsdaten (Mukosahypertrophie, Polypenbildung) dazu fehlen (Link Pubmed). Vitamin B12 muss bei ausgedehnteren Ileumresektionen i.m. verabreicht werden. Eine Ernährungsberatung (Art. 9b KLV) ist i.a. indiziert, um die zeitlich und inhaltlich adaptierte enterale Ernährung einzuleiten.

Ileo- und Kolostomien

Stomapflege: Art. 7 Ziff. 2 Bst. b KLV
Material zur Stomaversorgung: MiGeL 29.02.01.00.1 und 29.01.01.00.1

Stuhlinkontinenz

Stuhlregulation, Beckenbodengymnastik, Biofeedback sowie Antidiarrhoika werden mit unterschiedlichem Erfolg eingesetzt. Bei ungenügendem Ansprechen wird als erfolgreiche minimal invasive Methode die niederfrequente Stimulation der Wurzeln der Sakralnerven durchgeführt (Link Pubmed). Die Stimulation des Nervus tibialis ist nicht wirksam (Link Pubmed).

Diagnostik

Kapselendoskopie Kapitel 2.1 Anhang 1 KLV

Bei chronisch rezidivierenden Blutungen. Durchführbarkeit bei ca. 90% der Patienten mit einer Sensitivität von 45-60% (Sicherung der Blutungsquelle) Vorgängig Ösophago-Gastro-Duodeno- und Koloskopie ohne Befund, der die Blutung erklären könnte.

Bei Verdacht auf chronisch entzündliche Dünndarmerkrankung.

Nahrungsmittelunverträglichkeiten und –allergien

Nahrungsmittelunverträglichkeiten werden anamnestisch und ggf. durch Weglassen der auslösenden Nahrungsmittel diagnostiziert. Labortests (v.a. IgG-Bestimmungen im Blut) und Messungen mit Medizinprodukten (u.a. Bioresonanztest) sind aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht nicht zweckmässig (siehe aerzteblatt.de "Nahrungsmittelallergie und - unverträglichkeit: Bewährte statt nicht evaluierte Diagnostik").

Nahrungsmittelallergien werden anamnestisch diagnostiziert und ggf. durch Hauttests, v.a. Prick-Test, bestätigt. Das Meiden der auslösenden Nahrungsmittel bzw. –zuätze muss lebenslänglich erfolgen. Ernährungsberatung (Art. 9b KLV) ist in vielen Fällen indiziert.

Laktoseintoleranz

Der Verdacht auf Laktoseintoleranz kann durch einen Laktose-Resorptionstest (AL 1520.0032) bestätigt werde. Sowohl der H2-Atemtest (Sensitivität ca. 85%) als auch der serologische Nachweis des LCT-Genotyps (aufwändig) sind nicht erstattungspflichtig (nicht auf AL). Die Therapie bzw. Prophylaxe besteht im Meiden laktosehaltiger Nahrungsmittel oder Einnahme von Tilactasum (Lacdigest® SL) vor laktosehaltigen Mahlzeiten.

Sprue bzw. Zöliakie

Der Verdacht auf Vorliegen einer Sprue (Zöliakie und Ernährung in der Schweiz: eine Standortbestimmung) kann durch den Nachweis von IgA-Antikörpern gegen Endomysium (AL 1113.00.37, 1114.00.52) und/oder gegen Gewebetransglutaminase (AL 1132.00.28) erhärtet werden. Zur Sicherung der Diagnose ist eine Dünndarm- bzw. Duodenalbiopsie zu empfehlen. Die Therapie besteht im lebenslänglichen Meiden glutenhaltiger Nahrungsmittel. Spurenelemente werden indikationsgerecht der Nahrung beigegeben oder parenteral verabreicht. Ernährungsberatung (Art. 9b KLV) ist indiziert.

Ulkuskrankheit

Der Nachweis von Helicobacter pylori bei Vorliegen eines Ulkus duodeni erfolgt im Rahmen der Endoskopie mittels Urease-Tests (AL 3432.00 9.3), oder vorgängig und/oder nach Eradikationstherapie mittels Atemtests mit 13C Harnstoff (Kapitel 2.1 Anhang 1 KLV bzw. AL 3433.00 110). Der Antigentest zum Nachweis von H. Pylori im Stuhl ist weniger sensitiv.

Prophylaktische Koloskopie

Nach Kolon-Teilresektion wegen Karzinoms, nach Polypektomie, langjähriger Verlauf einer totalen bzw. sehr ausgedehnten Colitis ulcerosa.

Familiäres Kolonkarzinom (Art. 12d KLV).

Im Alter von 50-69 Jahren (Art. 12e KLV).

  • Untersuchung auf okkultes Blut im Stuhl, alle 2 Jahre
  • Koloskopie, alle 10 Jahre

Transplantation von Leber, Pankreas, Dünndarm (Kap. 1.2 Anhang 1 KLV)

Stuhltransplantation

Entzündliche Darmerkrankungen

Bei Colitis ulcerosa wurden bessere Resultate erzielt als bei M. Crohn. Optimale Herkunft und Zufuhr des Stuhltransplantats, Indikation sowie Patientenkollektiv noch nicht definiert. Es bedarf weiterer kontrollierter klinischer Studien, um über Wirkung und Zweckmässigkeit urteilen zu können (Link Pubmed).

Infektion mit Cl. difficile

Bei rezidivierenden symptomatischen Infektionen mit Cl. difficile, die je nach Schweregrad mit Metronidazol, Vancomycin oder Fidaxomycin behandelt wurden, kann an spezialisierten Zentren (mit Vorteil in kontrollierten Studien) mittels Stuhltransplantation von gesunden Spendern in über 80% eine Heilung erreicht werden (Link Pubmed / Link Pubmed). Aufbereitung (mögliche Übertragung tödlicher Infektionen) und Zufuhr des Stuhltransplantats sowie Zeitpunkt der Durchführung werden in klinischen Versuchen studiert.

Risikobeurteilung (VVG)

  • Ulkuskrankheit: geringe Rezidivquote nach Eradikation von Helicobacter pylori mit niedrigen Folgekosten.
  • Reizdarm bzw. Colon irritabile: gute Prognose mit niedrigen Kosten.
  • Colitis ulcerosa: bei langer Dauer einer ausgedehnten Colitis ulcerosa erhöhtes Karzinom-Risiko mit erhöhten Folgekosten (Hospitalisierungen).
  • Morbus Crohn: grosse Rezidivhäufigkeit, Tendenz zu Fistelbildung und Stenosen mit erhöhten Folgekosten (Hospitalisierungen).
  • Chronische Hepatitis B: Progredienz bis Zirrhose, mit möglicher Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms.
  • Chronische Hepatitis C: Nach erfolgreicher Viruselemination wahrscheinlich kaum Progredienz. Langzeiterfahrungen bezüglich hepatozelluläres Karzinom fehlen.
  • Primär biliäre Zirrhose: Autoimmunerkrankung (diagnostisch: antimitochondriale Antikörper), chronischer Verlauf, oft mit Gelenks- und Schilddrüsenbeteiligung, schlechte Prognose.
  • Primär sklerosierende Cholangitis: chronischer Verlauf, schlechte Prognose.
  • Chronische Pankreatitis: gehäufte Hospitalisierungen, meistens toxisch bedingt, Verlauf abhängig von Meiden der Toxine.

August 2018/rev. Juni 2019
Dr. med. Max Giger

Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

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