Onkologie umfasst Prävention, Früherkennung, Diagnostik, Behandlung, Rehabilitation und Palliative-Care bei malignen Tumor- und hämatologischen Erkrankungen sowie die Erkennung und Behandlung der Therapiefolgen (siehe auch Onkopedia, Guidelines). Die primären Therapieziele bei onkologischen Erkrankungen sind Heilung, zumindest Verlängerung der Überlebenszeit, Verbesserung klinischer Symptome bei möglichst hoher Lebensqualität.
Der Vertrauensarzt wird im Rahmen der onkologischen Arzneimitteltherapie vor allem mit Fragen des «off label use», «off limitation use» oder „unlicensed use“ konfrontiert (siehe auch Kapitel "Arzneimittel").
Als Therapiemodalität bezeichnet man Therapiemethoden wie beispielsweise Operation, Radiotherapie oder Arzneimitteltherapie.
Die Wahl der Therapiemodalität bzw. der Kombination von Therapiemodalitäten ist von Tumor- und/oder Patienten-spezifischen Faktoren abhängig.
Tumorspezifische Faktoren:
Je nach Tumor- oder Patienten-spezifischen Faktoren sowie Therapieziel können mehrere Therapiemodalitäten gleichzeitig oder nacheinander angewendet werden. Den Einsatz mehrerer Therapiemodalitäten im Rahmen eines Therapiekonzeptes nennt man multimodale Therapie.
Tumoren werden gemäss Lokalisation (Link), Histologie (inkl. Differenzierungsgrad) (Link), molekularbiologischer Parameter und anatomischer Ausbreitung (Stadium oder Residualtumor nach Therapie) (Link) klassifiziert.
Zur Abschätzung der Prognose werden Hilfsmittel wie die TNM-Klassifikation, Risikofaktoren sowie Prognose-Scores eingesetzt.
International standardisiertes System zur Stadieneinteilung und Verlaufsdokumentation solider Tumoren (American Joint Committee on Cancer AJCC, International Union for Cancer Control UICC). Es basiert auf der gradierten Zuteilung von Tumorgrösse (T), Lymphknotenbefall (N) und Fernmetastasen (M). Die TNM-Klassifikation erlaubt eine Einteilung solider Tumore in Gruppen mit diagnostischer, therapeutischer und prognostischer Relevanz. Die Gradierung erfolgt nach T1-4 (nach Grösse des Tumors), N1-3, M0-1.
siehe jeweilige Krankheitsentität (Link).
WHO-Einteilung I-IV (Link).
Zur weiteren Differenzierung der Stadieneinteilung können Präfixe/Suffixe verwendet werden:
Gx, G1-G4: Histologische Differenzierung (Differenzierungsgrad kann nicht bestimmt werden, gut-mässig-gering-anaplastisch). Ein spezielles Grading wird für Tumoren wie z.B. Prostatakarzinom (Gleason) angewandt.
Faktoren, welche den Krankheitsverlauf beeinflussen können:
Ein Scoringsystem gewichtet unterschiedliche Prognosefaktoren:
Beispiele:
R0 = | Tumor vollständig entfernt, auch bei mikroskopischer Untersuchung |
R1 = | Tumor makroskopisch vollständig entfernt, mikroskopischer Tumornachweis bis Resektionsrand |
R2 = | Tumor makroskopisch unvollständig entfernt |
RX = | nicht beurteilbar |
Dienen einerseits als Prognosefaktoren und Beurteilungskriterien der Therapie. Diese sind krankheits- und patientenspezifisch und sollen in jedem Fall vor Therapiebeginn definiert sein. Neben individuellen klinischen Parametern (z.B. Dyspnoe NYHA Grad bei Pleuraerguss oder Lungenmetastasen, Schmerz-Score bei ossären Metastasen) ist der Allgemeinzustand (AZ) relevant. Der AZ von Tumorpatienten wird am häufigsten gemäss ECOG (Link) oder Karnofsky (Link) definiert.
Voraussage des individuellen Krankheitsverlaufes aufgrund epidemiologischer und klinischer Faktoren ohne oder mit Therapie.
Voraussage der Wirksamkeit einer therapeutischen Massnahme aufgrund spezifischer Marker oder molekulargenetischer Befunde beim einzelnen Patienten (z.B. Ansprechen auf Arzneimittel abhängig von ER/PR, Her2 bei Mamma-Ca bzw. MMR oder MSI bei Colon-Ca).
Entspricht einem Rückfall der Tumorerkrankung. (Lokalrezidiv oder lokoregionäre resp. Fern-Metastasierung).
Begriffe | Definitionen |
Mikrometastasen | Nur histologisch nachweisbare Metastasierung |
Makrometastasen | Klinisch und in bildgebenden Verfahren nachweisbare Metastasierung |
Solitärmetastase | Einzelne Metastase im gesamten Organismus |
Singuläre Metastase | Einzelne Metastase in einem Organ |
Anachrone Metastasierung | Auftreten einer Metastase vor dem Primärtumor |
Synchrone Metastasierung | Gleichzeitige Diagnose von Metastase und Primärtumor |
Metachrone Metastasierung | Auftreten von Metastasen nach dem Primärtumor |
Die Toxizität wird gemäss der „Common Terminology Criteria for Adverse Events“ (CTCAE) beurteilt (Link)
Begriffe | Definitionen |
Therapielinie | Behandlung mit einer Therapiemodalität oder Arzneimittelkombination |
Zyklus | Zeitintervall bis Wiederholung derselben Arzneimittelkombination |
Metronomisch | Tägliche/Wöchentliche kleine Dosierung einer Chemotherapie zB. MTX/Endoxan, Capecitabine |
RECIST-Kriterien | Beurteilung des Therapieerfolges |
CTC-Kriterien | Beurteilung der Therapietoxizität |
Therapieresistenz | Progression unter Therapie |
Therapieversagen | Therapieziel wird nicht erreicht. Progression nach initialem Therapieansprechen |
Viele onkologische Erkrankungen sind bei Diagnosestellung inkurabel. In dieser Situation werden onkologische Therapien in palliativer Intention mit den unten aufgeführten Therapiezielen eingesetzt:
Ansprechen kann meistens innerhalb von 8-12 Wochen beurteilt werden. Akute Toxizität wird nach Möglichkeit vermieden. Langzeit-Nebenwirkungen müssen wegen begrenzter Lebenserwartung nicht berücksichtigt werden.
Beispiele:
Die therapeutischen Massnahmen sind einzig auf die Linderung von Symptomen gerichtet ohne Beeinflussung des Verlaufs des Tumorleidens:
Die medizinischen Indikationen sowie die Anwendung der onkologischen Arzneimittel hinsichtlich Kombination wie auch Reihenfolge werden sowohl in der Swissmedic-Zulassung als auch der SL-Aufnahme definiert. Darin wird die Reihenfolge der Therapien als «Therapielinie» aufgeführt.
Firstline: | Erste Therapielinie |
Secondline: | ab Umstellung der Therapie (wegen Progression, ungenügenden Ansprechens oder Toxizität) |
Dabei gelten untenstehende Grundsätze:
Die Therapiesequenz definiert die Reihenfolge der Therapiemodalitäten.
Begriffe | Definitionen | Beispiele |
Konkomitierend | > 2 Therapiemodalitäten gleichzeitig | Kleinzelliges Bronchuskarzinom / Oesophaguskarzinom / ORL-Karzinome / Rektumkarzinom |
Sequenziell | Therapiemodalitäten nacheinander, auch wichtig bezüglich Reihenfolge bei medikamentöser Therapie (Resistenzentwicklung) | M. Hodgkin / Mammakarzinom adjuvant |
Bimodal | Therapie beinhaltet insgesamt zwei Therapiemodalitäten | Kleinzelliges Bronchuskarzinom |
Trimodal | Therapie beinhaltet insgesamt drei Therapiemodalitäten | Oesophaguskarzinom |
Multimodal | Therapie beinhaltet insgesamt > eine Therapiemodalität | Mammakarzinom / Oesophaguskarzinom / Rektumkarzinom |
Zytostatika waren die ersten und sind heute noch die am meisten angewendeten antineoplastischen Arzneimittel. Sie wirken unspezifisch auf die Zellteilung und weisen eine sehr geringe therapeutische Breite auf. Sie schädigen häufig und früh Knochenmark und Schleimhäute. Sie werden als Monotherapie und in Kombination als Polychemotherapie angewandt. Gute Erfolge werden erzielt bei malignen hämatologischen Erkrankungen, Keimzelltumoren sowie bei multimodalen Therapien in Kombination mit Chirurgie und Radiotherapie.
Antihormonelle Medikamente werden erfolgreich beim Prostatakarzinom und beim hormonrezeptorpositiven Mammakarzinom angewendet. Sie wirken entweder über die Hypophyse oder peripher über die Hormonproduktion.
Proteinkinaseinhibitoren hemmen intrazelluläre Tyrosin- und Serin-Threonin-Kinasen und blockieren dadurch die kaskadenartige Signalübertragung von intrazellulär gelegenen Zellmembran-Rezeptoren zum Zellkern. Sie werden z.B. bei Leukämien, Myelofibrose, Nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC), Nierenzellkarzinom und Melanom eingesetzt.
Monoklonale Antikörper (MAK) sind gegen Tumorantigene, Liganden oder extrazelluläre Rezeptoren gerichtet. Die einzelnen MAK hemmen Rezeptoren, greifen in die inter- (Check-Point-Inhibitoren) und intrazelluläre Signalübermittlung und die Komplementkaskade ein oder Beeinflussen die Zytotoxizität. Viele MAK können aufgrund des Wirkungsmechanismus bei verschiedenen Tumoren eingesetzt werden. Viele dieser Einsatzmöglichkeiten sind oft nicht registriert, weshalb eine OKP-Pflichtigkeit in diesen Fällen nach den Regeln des «off label use», «off limitation use» oder „unlicensed use“ besteht (siehe auch Kapitel "Arzneimittel").
Die Nomenklatur der Arzneimittel folgt international vereinbarten Richtlinien (Link). Für biologische und biotechnisch hergestellte Substanzen gelten spezielle Richtlinien (Link). Beispiele:
–a- | von der Ratte stammend |
–o- | von der Maus stammend |
–i- | von Primaten stammend |
–e- | vom Hamster stammend |
–u- | humaner monoklonaler Antikörper |
–xi- | chimärer (human/fremd) monoklonaler Antikörper |
–zu- | humanisierter monoklonaler Antikörper |
Substanzklasse | Substanzgruppen | Beispiele | Beispiele / Wirkmechanismus / Angriffspunkte | |
Zytostatika | Alkylantien | Platinderivate / Oxazaphosphorine / N-Lost-Derivate | Cisplatin, Carboplatin / Cyclophosphamid / Melphalan | DNA |
Zytostatika | Antibiotika | Anthrazykline / Anthracendione | Doxorubicin / Mitoxantron | DNA |
Zytostatika | Antimetaboliten | Antifolate / Purinantagonisten / Pyrimidinantagonisten | Methotrexat (MTX) / Fludarabinphosphat / 5-Fluorouracil (5-FU) | Nukleinsäuren |
Zytostatika | Alkaloide | Vincaalkaloide / Taxane | Vinorelbin / Docetaxel, Paclitaxel | Mitose (Mitoseinhibitoren) |
Zytostatika | Enzyme | L-Asparaginase | Proteine | |
Antihormonelle Medikamente | GnRH-Analoga / Antiöstrogene / Aromataseinhibitoren / Gestagene / Antiandrogene | Goserelin / Tamoxifen / Letrozol / Examestan / Megestrolacetag / Bicalutamid | Zentral (Hypophyse) / Hormonrezeptor | |
Immunologika | Zytokine | Interferon α/β/γ / IL2 / TNF alpha | Interzelluläre Mediatoren von Immunzellen/mesenchymalen Zellen | |
Monoklonale Antikörper | Anti-Her2 / Anti-EGFR / Anti-CD20 / Anti-VEGF | Trastuzumab / Erbitux / Panitumumab / Rituximab / Obinutuzumab / Bevacizumab | ||
Checkpoint inhibitors | Anti-PD1 | Pembrolizumab | Blockade PD1-Rezeptor (Immunzelle) | |
Small molecules | Signaltransduktions-Inhibitoren | Rezeptor-Tyrosinkinasen / Intrazelluläre Tyrosinkinasen | Lapatinib / Erlotinib / Imatinib | Hemmung der spezifischen Proteinkinasen, andere Enzyme oder Effektormoleküle der intrazellulären Signaltransduktion (Angiogenese / Apoptose / Onkogene / Proliferation / Signaltransduktion / Zellzyklusregulation) |
Bei Therapie in kurativer Intention können einzig das Gesamtüberleben (OS) und die unter Berücksichtigung der Lebensqualität einen relevanten klinischen Nutzen abbilden.
Bei palliativer Indikation besteht das primäre Therapieziel in Lebensverlängerung, Symptomkontrolle und Stabilisierung bzw. Verbesserung der Lebensqualität. Deshalb sind das progressionsfreie Überleben (PFS) und die Lebensqualität die relevanten Parameter. Dabei ist wichtig, die Zeit bis zum Therapieansprechen (median time to response) zu berücksichtigen
Therapie in kurativer Intention: | OS |
Therapie in palliativer Intention: | ORR, PFS, OS |
Therapie zur Symptomkontrolle: | ORR, PFS, TTF (Time to treatment failure), median time to response |
Massnahmen | Voraussetzungen | Rechtsgrundlage | Grundsätze |
HPV-Impfung | BAG, kantonale Impf-programme | KLV 12a Ziff. k | Prophylaktische Impfungen |
Prophylaktische Mastektomie und/oder Adnexektomie | Trägerinnen mit BRAC1/2-Genmutationen/-deletionen | KLV 12b Ziff. e | Prophylaxe von Krankheiten (Primärprävention) |
Coloskopie | Familiäres Coloncarcinom | KLV 12d Ziff b | Frühzeitige Erkennung von Krankheiten bei Risikogruppen (Sekundärprävention) |
Untersuchung der Haut | Familiär erhöhtes Melanomrisiko | KLV 12d Ziff c | Frühzeitige Erkennung von Krankheiten bei Risikogruppen (Sekundärprävention) |
Mammographie, MRI Mamma | Frauen mit mässig bis stark erhöhtes Brustkrebsrisiko, BAG-Referenzdokument | KLV 12d Ziff d | Frühzeitige Erkennung von Krankheiten bei Risikogruppen (Sekundärprävention) |
Genetische Beratung | Population und Krankheiten definiert | KLV 12d Ziff f | Frühzeitige Erkennung von Krankheiten bei Risikogruppen (Sekundärprävention) |
Gyn.Vorsorge, inkl. PAP-Abstrich | 1x/Jahr (2x), dann alle 3 Jahre | KLV 12e Ziff b | Frühzeitige Erkennung von Krankheiten in der allgemeinen Bevölkerung (Sekundärprävention) |
Screening-Mammographie | Ab 50.Altersjahr alle 2 Jahre | KLV 12e Ziff c | Frühzeitige Erkennung von Krankheiten in der allgemeinen Bevölkerung (Sekundärprävention) |
Früherkennung Colonkarzinom | 50-69jährig: Hämoccult, alle 2 J. / Coloskopie, alle 10J. | KLV 12e Ziff d | Frühzeitige Erkennung von Krankheiten in der allgemeinen Bevölkerung (Sekundärprävention) |
Februar 2018, Dr. med. Yvonne Hummel
Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte
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