Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

Off Label Use: Pragmatische Lösung eines komplexen Problems

von Dr. med. Jürg Nadig, Präsident SGMO, anlässlich Lancierung der gemeinsamen Arbeitsgruppe SGV/SGMO im off label use Onkologie im Juli 2010

Verschiedene Bereiche des off label use

Off label use ist die Anwendung eines zugelassenen Medikaments ausserhalb der im Packungsprospekt festgelegten Vorschriften. Off label use kann sich somit auf Indikation, Dosierung oder Verabreichung beziehen. Eine Änderung der von den Zulassungsbehörden anerkannten Vorschriften bedingt in der Regel eine Nachregistrierung. Diese muss durch wissenschaftliche Daten belegt sein. Der Onkologe ist in seiner täglichen Arbeit mit drei Bereichen vom Off label use betroffen: Die Zubereitung von Zytostatika zur Anwendung am Patienten ist im Packungsprospekt geregelt. Herceptin darf in der Schweiz für die meisten Indikationen nicht mit dem mitgelieferten Benzylalkohol aufgelöst werden, um haltbar zu sein. Eine Ampulle darf nur noch einmal angestochen werden. Der nicht verabreichte Rest ist zu verwerfen. Andererseits wollen einzelne Krankenkassen nur die Menge Herceptin bezahlen, die die Patientin aufgrund ihres Gewichtes benötigt. Die Anpassung der Dosierung an neue Studien findet oft keinen Niederschlag im Packungsprospekt. 5 FU war über lange Zeit nur für bestimmte Dosierungen zugelassen, weil es für die Pharmafirma nicht lohnend war, bei einem Nachahmerprodukt Nachregistrierungen zu finanzieren. Am meisten Schwierigkeiten treten aber bei der Indikation auf. Nachregistrierungen hinken oft hinter den Studienresultaten her, da der Zulassungsprozess Zeit erfordert. Preisverhandlungen als Folge der Indikationsausweitung verzögern die Kassenzulässigkeit nochmals. Bei sehr seltenen Krankheiten liegen kaum grosse Phase III Studien vor. Für diese Krankheiten wird die Indikation selten nachregistriert. Es gibt aber auch seit Jahren anerkannte Indikationen, die nicht nachregistriert werden, da der Patentschutz für diese Medikamente abgelaufen ist und die Firmen den Aufwand nicht auf sich nehmen wollen.

Rechtliche Grundlage zum off label use

Bereits seit Ende der 90 er Jahre des letzten Jahrhunderts regelt eine Verordnung des BAG diese Situation. Die Kostenübernahme durch die Krankenkassen war aber unterschiedlich. Dies widersprach dem Gebot der Gleichbehandlung. Ein Entscheid des Eidgenössischen Versicherungsgerichtes vom September 2004 präzisierte die Verordnung und legte fest, dass Medikamente, die zu einem Behandlungskomplex gehören oder bei einer lebensbedrohlichen Krankheit eingesetzt werden oder bei schwerer und chronischer Krankheit wirksam sind, von der OKP bezahlt werden müssen, wenn keine anderen Mittel zur Verfügung stehen und eine wesentliche kurative oder palliative Wirkung vorhanden ist. Dem Vertrauensarzt der Krankenkasse kommt bei der Beurteilung dieser Indikationserweiterung eine entscheidende Rolle zu.

Anw. ausserhalb SL-LimitationOff-label-use*Orphan indication*Compassionate useOrphan drug*
Grundsatz: keine Vergütung Grundsatz: keine VergütungVergütungkeine VergütungVergütung
Ausnahme: BehandlungskomplexAusnahmen: a) Behandlungskomplex oder b) lebensbedrohliche Situation---
-Voraussetzungen: wiss. Nachweis, medizinisch unbestritten, vertrauensärztliche ZustimmungVoraussetzungen: wiss. Nachweis, medizinisch unbestritten, vertrauensärztliche Zustimmung-Voraussetzungen: wiss. Nachweis, medizinisch unbestritten, vertrauensärztliche Zustimmung

Erste Resultate

An der Mitgliederversammlung im November 2005 organisierte D. Betticher eine Weiterbildung zum Thema Off label use. Es diskutierten Vertreter der Swissmedic und der Kassen zusammen mit dem Juristen der FMH und einem Ethiker die verschiedenen Aspekte. Die Vertrauensärzte wünschten eine enge Zusammenarbeit mit der SGMO um sich bei diesen schwierigen Fragen beraten zu lassen. Jürg Zollikofer, der Präsident der Vertrauensärzte, und ich luden im Februar 2006, BAG, Santésuisse, Swissmedic, die Pharmaindustrievertreter und die Oncosuisse zu einem runden Tisch ein, um Lösungsansätze zu diskutieren. Die Pharmavertreter sagten eine Mitfinanzierung zu, während das BAG keine Mittel zur Verfügung stellen konnte. Die Vertrauensärzte und die SGMO bildeten gemeinsam eine paritätische Kommission aus je drei Vertretern unter der Leitung von Beat Seiler. Thomas Kroner als Onkologe zählte als Vertreter der Vertrauensärzte. Innnert eines halben Jahres erarbeite die Kommission Kriterien zur Beurteilung und diskutierte Grundsatzfragen. Im Zusammenarbeitsmodell sind die Onkologen die Berater der Vertrauensärzte. Die Onkologen stellen ihr Wissen den Vertrauensärzten konsiliarisch zur Verfügung. Dieses Konstrukt gleicht eigentlich der konsiliarärztlichen Tätigkeit, die wir auch gegenüber andern Fachdisziplinen erfüllen. Eine Homepage wurde eingerichtet Link. Dort sind die Empfehlungen zu verschiedenen Indikationen öffentlich zugänglich. Die vier Onkologen erarbeiteten zu verschiedenen Indikationen Empfehlungen, die wegen abgelaufenem Patentschutz kaum mehr nachregistriert wurden. Parallel dazu veranstaltete Thomas Kroner Fortbildungskurse für Vertrauensärzte. Beide Aktivitäten führten dazu, dass sich das Verhältnis zwischen den Onkologen und den Vertrauensärzten entspannte. Die Kostengutsprachen wurden einheitlicher. Obwohl die Kommission mit dem freiwilligen Einsatz der Mitglieder einen beachtlichen Leistungsnachweis erbrachte, waren weder Kostenträger noch die Pharmaindustrie bereit, die Kosten für die Arbeit der Gruppe zu übernehmen. Dies war umso störender, als sowohl die Versicherer als auch die Pharmaindustrie von der Arbeit einer solchen Kommission profitieren können. Offenbar spielten haftungsrechtliche Bedenken für ausländische Pharmafirmen eine wesentliche Rolle.

Ende 2008 stellte die Kommission deshalb ihre Arbeit ein. Dies war bedauerlich, da die Zusammenarbeit in einer vertrauensvoller kooperativen Atmosphäre stattfand.

Neustart 2010

2009 wurde von der Schweizerischen Gesellschaft der Vertrauensärzte (SGV) nach Lösungen gesucht. SGMO und SGV kamen überein, den Projektstart allenfalls selber zu finanzieren und die Kommissionsarbeit auszuweiten. Zudem erhält die SGV nun von der Pharmaindustrie einen unrestricted grant, mit dem die Arbeit der Kommissionsmitglieder finanziert wird. Neben der grundsätzlichen Beurteilung von neuen Indikationen erhalten die Vertrauensärzte die Möglichkeit, Fragen aus ihrem Tagesgeschäft direkt einem Onkologen stellen zu können und beantworten zu lassen. Dieses Ticketing-system soll von den Kassen mitfinanziert werden, da sie sich damit eigene Recherchen ersparen. Aufgrund der Anfragen erkennt die Arbeitsgruppe, in welchen Bereichen Handlungsbedarf für Grundsatzentscheide besteht.

Link zum Diagramm für die Beurteilung von nicht registrierten Indikationen

Ärztliche Kooperation trotz unterschiedlichen Aufgaben

Die Finanzierung für den Neustart und die Weiterführung der Arbeit sind fürs erste gesichert. Die Vorbereitungsarbeiten sind abgeschlossen. Die Kommission wurde auf zwei Mal sieben Mitglieder erweitert. Damit wird die Arbeit auf mehr Schultern verteilt. Die SGV und die SGMO sind überzeugt, dass so das Problem des Off label use in der Onkologie gelöst werden kann. Die konstruktive Zusammenarbeit in einem Klima von Respekt und Vertrauen zwischen zwei Partnern mit zum Teil unterschiedlichen Aufgaben ist beispielshaft. Sie zeigt, dass Ärzte miteinander tragfähige Lösungen auch ohne Unterstützung durch Behörden umsetzen können, wenn sie sich auf pragmatische Lösungen im Interesse des Patienten einigen.

Dr. med. Jürg Nadig MAE

Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie

Facharzt für Medizinische Onkologie und Innere Medizin FMH

Bannhaldenstrasse 7

CH 8180 Bülach

Telefon: 044 862 73 00

Fax:041 44 862 73 01

e-mail: juerg.nadig@hin.ch

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