Mit dem letzten Newsletter habe ich Sie über das neue HWS-Grundsatzurteil des Bundesgerichts orientiert (U 394/06 vom 19.2.08, inzwischen publiziert als BGE 134 V 109). Seither sind einige Folge-Urteile erlassen worden, in welchen u.a. etwas konkreter dazu Stellung genommen werden musste, wie die drei neu formulierten Adäquanzkriterien zu handhaben sind. Tendenziell ist dabei erkennbar, dass das neue Kriterium der "erheblichen Beschwerden" relativ schnell als erfüllt betrachtet wird, das neue Kriterium der "erheblichen AUF trotz ausgewiesener Anstrengungen" hingegen in der Regel verneint wird. Beim Kriterium der "fortgesetzt spezifischen, belastenden ärztlichen Behandlung" halten sich die Urteile pro und contra in etwa die Waage. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang exemplarisch folgende Urteile (geordnet nach Kriterien):
Kriterium erfüllt, wenn
Kriterium nicht erfüllt, wenn
Kriterium erfüllt, wenn
Kriterium nicht erfüllt, wenn
Der Versicherte verlangte in diesem Fall mit Blick auf U 394/06 ein interdisziplinäres Gutachten. Dem hielt das Bundesgericht folgendes entgegen:
Die Frage der natürlichen Kausalität bedarf dann keiner weiteren Abklärung, wenn ohnehin der adäquate Kausalzusammenhang zu verneinen ist (Erw. 3, Absatz 3). Wenn unbestritten ist, dass die Schleudertrauma-Praxis zur Anwendung kommt, bedarf es keiner weiteren medizinischen Abklärungen (Erw. 3, Absatz 4).
Ein Antrag des Versicherten auf Durchführung weiterer Sachverhaltsabklärungen wird vom Bundesgericht mit der Begründung abgewiesen, es sei unwahrscheinlich, dass sich daraus zuverlässige Anhaltspunkte für eine organische Unfallschädigung ergeben könnten (Erw. 2).
Hier ging es um die Rechtswirksamkeit formloser Verfügungen, insbesondere betreffend den Fallabschluss. Gemäss Bundesgericht ist es in Anbetracht der sich einander gegenüberstehenden Interessen sowie unter Berücksichtigung des Verfassungsgrundsatzes von Treu und Glauben für den Regelfall gerechtfertigt, von einer betroffenen Person zu erwarten, dass sie innerhalb eines Jahres seit der unzulässigerweise im formlosen Verfahren erfolgten Mitteilung des Fallabschlusses an den Unfallversicherer gelangt, wenn sich dieser seither nicht mehr gemeldet hat. Eine längere Frist kommt allenfalls dann in Frage, wenn die Person - insbesondere wenn sie rechtsunkundig und nicht anwaltlich vertreten ist - in guten Treuen annehmen durfte, der Versicherer habe noch keinen abschliessenden Entscheid fällen wollen und sei mit weiteren Abklärungen befasst (Erw. 6.3.2).
Mit diesem Urteil hat das Bundesgericht hinsichtlich des Gegenvorschlagsrechts der Versicherten gemäss Art. 44 ATSG klargestellt, dass der Versicherungsträger zu den Gegenvorschlägen nur dann eingehend Stellung nehmen muss, wenn sich ergibt, dass mit Bezug auf den von ihm bestimmten medizinischen Sachverständigen berechtigte Ausstands- oder Ablehnungsgründe vorliegen. Die üblichen Untersuchungen im Rahmen einer medizinischen Begutachtung sind ohne konkret entgegenstehende Umstände generell als zumutbar zu erachten.
Der Versicherten wurde anlässlich einer ärztlichen Kontrolluntersuchung in der linken Ellenbeuge Blut entnommen. Dabei verletzte die Arztgehilfin den Nervus medianus. Die Suva bestritt das Vorliegen eines Unfalles. Der Versicherten wurde anlässlich einer ärztlichen Kontrolluntersuchung in der linken Ellenbeuge Blut entnommen. Dabei verletzte die Arztgehilfin den Nervus medianus. Die Suva bestritt das Vorliegen eines Unfalles.
Demgegenüber vertritt das Bundesgericht die Auffassung, weil für eine Verletzung des Nervus medianus nebst der Vene auch die dahinterliegende Bindegewebsaponeurose durchstochen werden muss, sei davon auszugehen, dass die Arztgehilfin in grober Weise nicht sachgerecht vorgegangen sei. Dass dieses Vorgehen ausserordentlich sei, zeige die Häufigkeit von 1:25'000. Damit sei aber eine grobe und ausserordentliche Ungeschicklichkeit im Rahmen der medizinischen Vornahme erstellt und der ungewöhnliche äussere Faktor zu bejahen.
Kommentar: Nach unserem Dafürhalten handelt es sich hier um ein Fehlurteil. Problematisch scheint uns insbesondere der Schluss von der Häufigkeit (bzw. Seltenheit) eines Vorgangs auf die Fehlerhaftigkeit des Handelns.
Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte
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