Mai 2020
Reviewer: Dr. med. Herbert Bosshart
Bundesgerichtsurteil vom 24. September 2019 (8C_22/2019).
Bei Vorliegen einer gesicherten Listenverletzung besteht gemäss Art. 6 Abs. 2 UVG die gesetzliche Vermutung, dass der Unfallversicherer im Zusammenhang mit der in Frage stehenden Listenverletzung leistungspflichtig ist. In diesen Fällen kann sich der Unfallversicherer von seiner Leistungspflicht befreien, indem er nachweist, dass die Listenverletzung vorwiegend auf Abnützung oder Erkrankung zurückzuführen ist (Entlastungsbeweis).
Gemäss neu ergangenem Urteil des Bundesgerichts (8C_22/2019) handelt es sich beim Entlastungsbeweis um eine von medizinischen Fachpersonen zu beurteilende Abgrenzungsfrage, bei welcher das gesamte Ursachenspektrum der in Frage stehenden Körperschädigung zu berücksichtigen ist (Vorzustand, Umstände des erstmaligen Auftretens der Beschwerden). Dabei gilt es gemäss dem höchsten Gericht die verschiedenen Indizien, die für oder gegen Abnützung oder Erkrankung sprechen, aus medizinischer Sicht zu gewichten. Der Begriff «vorwiegend» wird im erwähnten Urteil mit «mehr als 50%» definiert; so hält das Bundesgericht fest, dass der Gegenbeweis des Unfallversicherers erbracht sei, wenn die Listendiagnose zu mehr als 50% auf «Abnützung oder Erkrankung» beruhe.
Zur Beurteilung des Entlastungsbeweises benutzen wir als Unfallversicherer das unten abgebildete «Schema Entlastungsbeweis». Das Vorliegen einer vorwiegend krankheits- bzw. abnutzungsbedingten Gesundheitsschädigung soll dabei anhand der aufgeführten Indizien ausführlich beschrieben und begründet werden. Je mehr der zu beurteilenden Indikatoren auf Abnützung oder Erkrankung hinweisen, desto eher muss von einer vorwiegend krankheits- bzw. abnutzungsbedingten Gesundheitsschädigung ausgegangen werden mit der Folge, dass sich der Unfallversicherer von der vermuteten Leistungspflicht entlasten kann. Besonderes Gewicht kommt dabei dem Ereignis resp. der Eignung des Ereignisses zu, die in Frage stehende Listenverletzung zu verursachen. In diesem Sinne hält das Bundesgericht im neuen Entscheid fest, dass sich der Entlastungsbeweis des Unfallversicherers zwangsläufig vereinfache, wenn sich kein initiales Ereignis erheben lasse oder lediglich ein solches von ganz untergeordneter resp. harmloser Art.
Indikatoren | traumatisch | Abnützung/Erkrankung |
---|---|---|
Ereignis | geeignet | nicht geeignet |
Verhalten/Fähigkeiten nach Ereignis (Funktionsverlust) | Aktivität abgebrochen, Einschränkung plötzlich | Aktivität fortgeführt, Einschränkung schleichend |
Vorzustand | nein | ja |
Patientenmerkmale, medizinische Risikofaktoren (Adipositas, Osteoporose, etc.) | unauffällig | auffällig |
Exposition (beruflich, sportlich) zum Beispiel repetitive Bewegungen/Belastungen, exzessiv Sport, etc. | nein | ja |
Schmerzverlauf | schwächer werdend | zunehmend |
Klinischer Befund | typisch | untypisch |
Bildgebung | Zeichen frischer Verletzung | Keine Zeichen frischer Verletzung |
Intraoperativer Befund | traumatisch | degenerativ |
Beurteilung/Schlussfolgerung | traumatisch oder vorwiegend Abnützung/Erkrankung? |
Schema analog "Regenbogenschema" aus Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane. Marcus Schiltenwolf Dierk F. Hollo, 6. Auflage, Fabienne Montandon, Ärztetagung AXA 2019
Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte
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