Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

18 Leistungskatalog – Phantasma oder Realität?

Neu, 3. Auflage, Oktober 09

Hüte Dich vor Alten, denn sie haben nichts mehr zu verlieren

Chinesisches Sprichwort

Gesetzliche Grundlagen

Obligatorische Krankenpflegeversicherung OKP

Die OKP unterliegt Regelungen hinsichtlich der durch den Versicherer zu bezahlenden Leistungen, dies im Gegensatz zum UVG (vgl. Abschnitt 1.2.)

Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG)

Das 3. Kapitel/1. Abschnitt, Art. 24 – 31 regelt den Umfang des Leistungsbereichs, der 2. Abschnitt, Art 32 – 34 die Voraussetzungen für die Kostenübernahme. Für die vorliegenden Ausführungen ist vor allem Art. 32 relevant, der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (sog. WZW-Kriterien) der leistungspflichtigen Behandlungen stipuliert (Abs. 1) – und in Absatz 2 die regelmässige Überprüfung derselben…..

Art. 34 und 52 KVG regeln Analysen, Arzneimittel sowie Mittel und Gegenstände. Sie werden einem Sonderbereich zugewiesen, wo der Bund nicht nur die Zuweisung zur Kostenübernahme, sondern nach dem Prinzip der administrierten Preise auch die Tarifierungshoheit für sich in Anspruch nimmt

Verordnung über die Krankenversicherung (KVV)

Neben mehr verwaltungsgerichteten Bestimmungen zur Umsetzung des KVG werden in der KVV die vor Entscheid des EDI anzuhörenden Kommissionen hinsichtlich ihrer Aufgaben und Zusammensetzung geregelt (Art 33 – 35 und Art 37a – 37 f KVV).

Von Bedeutung für diesen Artikel ist insbesondere die (neu aus zwei zu einer Kommission vereinigte) Eidgenössische Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen, Art 37d KVV, der die Erarbeitung von Grundsätzen, Datenschutzfragen im Zusammenhang mit der Leistungsbezeichnung sowie die Festlegung von Kriterien für die Beurteilung von Leistungen ( gemeint sind wohl die Umsetzung der WZW-Kriterien, wobei seltsamerweise nicht auf Art. 32 KVG sondern auf Art 33 KVG verwiesen wird) ins Aufgabenbuch geschrieben wird (Art 37 d., Abs 1, lit. a – c KVV).

Diese Kommission besteht aus 20 Personen, die schwergewichtig Vertreter der Leistungserbringer und Leistungsträger sind, mit Vertretungen der „Versicherten“, der Kantone und natürlich der Ethik. (Nicht erwähnt wird die geradezu schon selbstverständliche „Ausgewogenheit“ von Geschlecht und regionaler Herkunft, die bei der Auslese zu eigentlichen Eiertänzen führen kann).

Expertenstatus wird nur für genau eine Person verlangt, seltsamerweise für eine „Person der Dozenten und Dozentinnen der Laboranalytik“. Damit ist indirekt gesagt, was die Hauptaufgabe dieser Kommission(en) ist: Die verkürzte und administrativ vereinfachte Vernehmlassung bei den interessierten Kreisen. Immer noch wartet aber jedermann auf einen Erlass der Kriterien WZW gemäss lit.c, die über das „Handbuch“ des BAG hinaus verbindlich wäre.

Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV), insbesondere Anhang 1

In der KLV, insbesondere Anhang 1, geht es zur Sache. Die Leistungen werden kategorisiert nach

  • Leistungen, für die aufgrund der WZW-Kriterien die Kostenübernahme, allenfalls unter bestimmten Voraussetzungen, bejaht wurde
  • Leistungen, die noch in Abklärung stehen, die aber unter bestimmten Voraussetzungen und bei definiertem Umfang (allenfalls zeitlich limitiert) der Leistungspflicht unterstellt sind
  • Leistungen, deren Erbringen und Verrechnung an besondere professionelle Qualifikationen des Leistungserbringers geknüpft sind
  • Leistungen, für die die Kostenübernahme abgelehnt wurde

Damit entsteht eine eklektische Mischung von Positiv- und Negativliste, deren Problematik vor allem sichtbar wird, wenn das Procedere zur Festlegung der Leistungspflicht in die Betrachtung einbezogen wird.

Unfallversicherung (Bundesgesetz über die Unfallversicherung, UVG)

Die Unfallversicherer sind frei, welche Leistungen sie bezahlen wollen oder nicht. Sie sind im Rahmen des Naturalleistungsprinzips als Behandlungsverantwortliche durch keine gesetzlichen Vorgaben gebunden. Nur Art. 48 UVG stipuliert eine Verpflichtung zur „zweckmässigen Behandlung“ „unter Rücksichtnahme auf den Versicherten und seine Angehörigen“ – was dies auch immer heissen möge.

Privatversicherung

Auch die Privatversicherer kennen selbstredend keinen Pflichtleistungskatalog. Es dürfte als Rarität bezeichnet werden, dass ein Privatversicherer für eine bestimmte Leistung die Zahlung verweigert. Wenn dies je der Fall ist, so bezieht sich dies immer auf einen Einzelfall und nicht systematischen Richtlinien.

Voraussetzungen und Kriterien zur Beurteilung der Leistungspflicht

WZW Kriterien: Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit

Die WZW-Kriterien wurden weder auf Gesetzes- noch Verordnungsstufe je konkretisiert. Nur das erwähnte Handbuch des BAG liefert gewisse Hinweise, die aber nie als abschliessender Algorhythmus verstanden werden können, wobei auf dessen Problematik bereits hingewiesen wurde. Diese missliche Situation ist nicht primär dem BAG anzulasten; hier haben der Gesetzgeber und die für die Verordnungen zuständige Instanz, das EDI, versagt: Weder im Gesetz noch selbst in den Materialien finden sich Hinweise darauf, in welcher Richtung denn die Fahrt gehen sollte. Das EDI hat, wohl nicht zuletzt wegen völlig fehlender gesetzlicher Vorgaben, die Konkretisierung auch nicht bahnbrechend vorangetrieben

Ersetzt wurde im total revidierten KVG der Begriff der „Wissenschaftlichkeit“ durch den Begriff der Wirksamkeit; aus den Materialien geht hervor, dass – ausgelöst durch Interventionen des damaligen Ständerates Plattner, von Haus aus Physiker, die Problematik des ersten Begriffs erkannt wurde und man sich nicht in wissenschaftstheoretische Diskurse verwickelt sehen wollte. So wurde auf den wesentlich interpretationsbedürftigeren Begriff der Wirksamkeit rekurriert - mit der Folge, dass die Wissenschaft nun gleichsam durch die Hintertüre den Raum wieder betreten hat. Und sonst? Nichts. Die WZW-Kriterien waren einfach kommentarlos da. Basta.

Nachfolgend sollen die einzelnen Begriffe im Einzelnen ausgeleuchtet werden:

Wirksamkeit

Diagnose und Diagnostischer Irrtum

Jede Wirksamkeitsbeurteilung setzt in der konkreten Anwendung das Erkennen der pathologischen Situation, also eine richtige Diagnose voraus. Diagnostischer Irrtum – falsche Diagnose, nicht oder zu spät gestellte richtige Diagnose - tritt aber in 5% (Radiologie) bis 20% oder mehr in anderen Fachgebieten (4 ) auf. Dies ist für die Wirksamkeitsbeurteilung – meist verkannt – von zentraler Bedeutung

Wahrheit und Kausalität

Simpel formuliert: Arzt und Patient wollen wissen, ob es – in ihrer Diktion – „wahr“ ist, dass eine bestimmte Methode Heilung bringt. Wahrheit ist ein metaphysischer Begriff, der sich einer empirischen Grundlegung und Überprüfung entzieht. Auch der logische Konstitutionalismus der Wiener Schule – z.B. eines Rudolf Carnap - noch der „transzendentale Lingualismus“ des jungen Wittgenstein, die Wahrheit als Funktion zu definieren versuchten, vermögen in der täglichen Realität zu befriedigen. Dies erklärt, dass der strenge Kausalitätsnachweis in den letzten Jahrzehnten immer mehr durch Modelle und Simulationen verdrängt wurde, die „Wahrheiten“ als Wahrscheinlichkeiten definieren.

Der mit dem Begriff Wirksamkeit immer noch geforderte Kausalitätsnachweis hat von diesen Entwicklungen nicht Kenntnis genommen. Er basiert auf logistisch definierten Wahrheitsfunktion und ist prinzipiell nur deduktiv zu leisten (1 ) – eine Forderung, die für die theoretische Physik methodisch wesentlich einfacher ist als für Biologie oder gar die sog. Geisteswissenschaften, die alle auch in der Medizin von Bedeutung sind.

Die Medizin basierte in grössten Teilen immer auf dem Versuch eines induktiven Kausalitätsnachweises im Sinne der Verallgemeinerung bzw. eines verallgemeinernden Konditionals nach der Formel, wenn A, dann B (A->B). Oder anders formuliert: der mit einer ausgefeilten Statistik untermauerte Versuch, von Koinzidenzen auf Regularitäten zu schliessen. Konkret: Hier liegt die Wurzel des methodischen Irrtums, aus Korrelationen auf Kausalität zu schliessen. Wenn „virale Rhinitis“ und „rote Nase“ auch eine hochsignifikante Korrelation zeigen, kann - zum Leidwesen vieler Alkoholkranker - daraus nicht geschlossen werden, dass das Phänomen „rote Nase“ immer durch eine virale Rhinitis ausgelöst wird .

Induktion kann zu Hypothesen führen; deren „Wahrheit“ als Wahrheitsfunktion definiert kann nur durch einen rigiden deduktiven Kausalitätsnachweis belegt werden, was in der Medizin aber äusserst schwierig bzw. methodisch aufwendig ist, weshalb in der Regel auf die sog. statistische Relevanz rekurriert, womit sich aber ein weites Feld neuer Probleme auftut.

Exemplarisch wurden diese Probleme am versuchten Nachweis der Wirksamkeit alternativmedizinischen Methoden (sog. PEK Projekt), der, auch aus anderen hier nicht zu diskutierenden Gründen scheitern musste, selbst wenn er methodisch sauber und professionell konzipiert gewesen wäre.

Im Sumpf methodischer Ungewissheiten pflegen seltsame Pflanzen Blüten zu treiben. In deren ästhetischer Hitliste darf zweifelsohne der neue Begriff der „Alltagswirksamkeit“ aus dem Hause BAG den ersten Platz beanspruchen. Abgesehen davon, dass er zu sarkastischen Fragen wie „Fallen Sonntage und allgemeine Feiertage auch unter den Begriff?“ oder „Sind Tage mit extremen klimatischen Bedingungen auch als Alltag einzustufen?“ provoziert, wird hier irreversibel der Abstieg des Diskurses in die massenmediale Blödelei vollzogen, wo sich nicht wenige Gesundheitspolitiker wohlig tummeln. Womit angedeutet ist, welcher faktische Schaden durch solches Nebelgranatenschiessen bewirkt werden kann.

In Konklusion: Die wenigen Ausführungen zeigen, dass der aktuell praktizierte Wirksamkeitsnachweis wissenschaftlich bzw. wissenschaftstheoretisch überholt ist und ein der aktuellen Wissenschaftstheorie entsprechendes Denken bzw. seinen Methoden abgelöst werden muss. Und: Die Annahme, man könne der Wissenschaft durch semantische Spielereien entgehen, ist ebenso lächerlich wie unsinnig.

Zweckmässigkeit

Der Begriff der Zweckmässigkeit ist mehrdeutig und hoch ambivalent. Was soll denn da gemeint sein: Wahrscheinlichkeit des Erfolgs in der einzelnen Behandlungssituation? Die Wirksamkeit bei der Anwendung „im Feld“, analog dem englischen Begriffspaar „Efficacy vs. Efficiency“? Oder hat der Schöpfer des Begriffs „Alltagswirksamkeit“ hier den geistigen Quell für seine Wortschöpfung gefunden?

Die sinnvollste Interpretation wäre wohl diejenige analog dem Begriff Efficiency, was auch erlauben würde, die konkrete Versorgungssituation und Qualitätserfordernisse einzubeziehen. Nur eben. : Die Kurie sollte nicht nur im stillen Gebet verharren, sondern sich mit klaren Worten an die Gläubigen wenden

Wirtschaftlichkeit

Methodik und ihre Biases

Es ist undenkbar, hier nur die Andeutung eines Überblicks zu geben, welche Methoden zur Beurteilung zur Anwendung kommen müss(t)en. Im Wesentlichen wohl Cost-Effectiveness- und Cost-Benefit-Analysen, die aufwendig sind, vom BAG selbst wegen fehlender personeller und finanzieller Ressourcen nicht durchgeführt oder beurteilt werden können, deren Vorlage vom Antragsteller aber verlangt wird. Das Gleiche gilt auch für die Kriterien Wirksamkeit und Zweckmässigkeit. Dies führt zu einem ausserordentlich problematischen Bias: Die meisten Antragsteller verfügen nicht über die Möglichkeit, solche Analysen selber durchzuführen. Sie kompilieren entweder die Literatur, was im Sinne einer wissenschaftlich fundierten Metaanalyse sehr anspruchsvoll (und damit teuer) ist, oder sie erteilen einen Auftrag an Dritte, der „gesponsert“ werden muss. Mit der Folge, dass sich dem Sponsor, meist der interessierten Industrie, die Möglichkeit eröffnet, unbemerkt in die Tasten zu greifen. Der Industrie, die systematisch die qualifizierten Leute in diesem Gebiete für ihre Firmen rekrutiert.

Ein weiterer Bias entsteht dadurch, dass für Leistungen und Methoden, die sehr kosteneffektiv sein können, kein interessierter Anbieter zu finden ist; ein konkreter Antrag wird damit verunmöglicht.

Zeitpunkt der Diagnose

Für die Beurteilung der Wirksamkeit wird in der Regel auf die Schlussdiagnose, d.h. die nach Abschluss der Behandlung fixierte Diagnose abgestellt. Entscheidend für den Behandlungsablauf und die Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und insbesondere Wirtschaftlichkeit der einzelnen Komponenten ist aber die Initialbeurteilung und die aus ihr resultierende „Eintrittsdiagnose“, die, wie jeder am Krankenbett Tätige weiss, erheblich von der Schlussdiagnose abweichen kann. Da Wirksamkeitsstudien nahezu immer auf Schlussdiagnosen beruhen, entsteht in einer grundsätzlich retrospektiven Sicht ein bezüglich der klinischen Situation völlig verzerrtes Bild: In dieser klinischen Situation ist die initiale Arbeitshypothese bzw. die Eintrittsdiagnose massgeblich, die bezüglich der realen Wirksamkeit massgeblich ist. Nebenbei: Dies ist ein Problem, das sich für die Anwendung von DRGs stellt, wo in der Regel die Schlussdiagnose(n) codiert werden. Die euphorischen Protagonisten haben wohl nicht den Anschein einer Ahnung, welcher Sprengsatz da im Rumpf ihres Schiffes steckt, mit dem sie – irgendeinmal – in See stechen wollen.

Das Problem ist lösbar, aber mit anderen bzw. neuen mathematischen Methoden wie Baye`sche bzw. probabilistische Mathematik. Es würde den Rahmen dieses Artikels aber bei Weitem sprengen, wollte man diesen Faden weiter verfolgen.

Prozess zur Festlegung der Leistungspflicht

Gesetz wie Verordnung sprechen sich nicht darüber aus, wer Antrag auf Kostenübernahme einer Leistung stellen darf. Diese heikle Frage wird nur im erwähnten Handbuch des BAG – teilweise – angesprochen, dessen Verbindlichkeit nie einer richterlichen Überprüfung unterzogen wurde. Zur Abwehr einer Antragsflut wurde der Kreis der Berechtigten auf eidgenössische Organisationen der Leistungserbringer und Versicherer beschränkt, wobei zur Vereinfachung der Abläufe nur Leistungen in Diskussion gezogen wurden und weitgehend noch werden, deren Kostenübernahme von einer Leistungserbringerorganisation (was kaum je der Fall war und ist) oder Versicherern bestritten wurden. Es ist genau dieses Procedere, das den arbiträr – eklektischen Charakter von Anhang 1, KLV, erklärt.

Offen bleibt, ob dieses Vorgehen einer höchstrichterlichen Überprüfung standhalten könnte. Aus grundsätzlichen staatsrechtlichen Überlegungen lässt sich ja sehr wohl die Frage stellen, ob Hans Indergand aus dem Schächental nicht auch Antrag auf Übernahme der Kristalltherapie mittels Quarzkristallen aus dem Sunnig Wichel durch seine Krankenkasse stellen darf. Zumindest wäre zu fordern, dass die Beschränkung des Kreises von Antragstellern auf gesetzlicher Ebene explizit zu regeln ist.

In der realen Welt wurde die Kostenübernahme von Leistungen meist auf tarifarischer Ebene geregelt: Neue Leistungen wurden im Konsens der Parteien in die Leistungsnomenklatur aufgenommen. Nur Unbedarfte und Uninformierte, selten auch einmal solche, deren Leistungen nicht in die Nomenklatur Aufnahme gefunden hatten, wählten den Jahre dauernden Weg gemäss KVG -> KVV -> KLV. Es muss aber klar festgehalten werden, dass die in Tarmed aufgeführten Leistungen nicht eo ipso der Leistungspflicht unterliegen; für jede Leistung könnte im Prinzip die Leistungspflicht bestritten werden. Man mag dies als Mangel bezeichnen. Fakt ist, dass eine umfassende Leistungsnomenklatur à la Tarmed mit einer eklektischen und damit alles andere als vollständigen Negativ-Positivliste nicht kongruent sein kann – ganz abgesehen davon, dass gleiche Leistungen in den beiden Nomenklaturen sprachlich different sein können.

Dieses scheunentorweite Schlupfloch ist heute weitgehend verstellt, weil die „Tarmed-Partner“ bis jetzt ausser Stande sind, den Tarmed einer in den Grundsatzvereinbarungen verbindlich festgelegten kontinuierlichen Überarbeitung zu unterziehen, ein Desideratum, das sich inzwischen zur Forderung nach einer Totalrevision entwickelt hat. Diese immer unhaltbarere Situation wird – horribile dictu – den Bund als Tarifkonstrukteur auf den Plan rufen müssen.

In der real existierenden Medizin wurden diese Entwicklungen längst wahrgenommen. Verständlicherweise wird in solchen Situationen totalen Versagens der Zuständigen der Ausweg über sich einer Kontrolle entziehenden Analogietarifierung beschritten, „Schmuggelpfade“, die nur bei genauer Überprüfung aller Rechnungen, und dies auch nur teilweise, aufgedeckt werden können. Vorgehensweisen, für die insbesondere die Krankenversicherer nicht bekannt sind

Festlegung der Leistungspflicht im EU Raum und in den USA

Die europäischen Systeme zur Festlegung der Kostenübernahme durch die obligatorische Grundversicherung variieren von Land zu Land. Grundsätzlich können zwei Gruppen von Ländern unterschieden werden:

  • Länder mit staatlich reguliertem Gesundheitswesen, sei es durch den Staat selbst oder eine von ihm mandatierte und kontrollierte Agentur. Als Prototyp kann hier NHS angesprochen werden, der finanziert und die zulässigen Leistungen definiert. Praktisch wird dabei der Konsens mit den Leistungserbringern gesucht – was aber lange nicht immer gelingt. Eine immer grössere Rolle spielt NICE, dessen Kosten Nutzen Analysen entscheidungsrelevant sind.
  • Kontroll- oder Mitwirkungsmöglichkeiten bietet nur der parlamentarische Weg. Mit Modifikationen gilt die für Skandinavien, Frankreich und die Iberischen Länder
  • Mitteleuropäische Länder in der Tradition des „Bismarckschen“ Sozialversicherungssystems, also Deutschland, Österreich und die Schweiz. In Deutschland hat der Staat die operativen Kompetenzen weitgehend an die AOKs delegiert, die mit den kassenärztlichen Vereinigungen einen Leistungskatalog absprechen. Der Staat übt eine – sehr strategische – Kontrollfunktion aus. Dies kann aber nur als Stückwerk bezeichnet werden; gerade aufwendige, spitalgebundene Leistungen werden in der Regel bezahlt. Der Erlass eines Regelwerkes trat in den letzten Jahren in den Hintergrund, weil der Glaube weit verbreitet ist, die Einführung von DRGs werde die Leistungserbringer verhalten, nur „sinnvolle“ Leistungen zu erbringen. Sein Glaube ist des Menschen Seligkeit.
  • In den USA ist eine umfassende staatliche Regelung der sozialen Grundversorgung unbekannt – ganz einfach, weil es eine solche im umfassenden Sinn nicht gibt. Welche Leistungen bezahlt werden, vereinbart der Versicherer mit dem Versicherten. Was in praxi heisst: Der Versicherer bestimmt. Grundsätzlich gilt dies auch für die beiden wichtigsten staatlich bestimmten Versicherer Medicaid und Medicare.

Würdigung und zukünftige Entwicklung

Wettbewerb statt staatliche Regulation der Leistungspflicht – Fiktion und Realität

Anhänger Wettbewerbs- und Marktideologie für das Gesundheitswesen stehen administrierten Preisen und Leistungspflicht-Vorgaben skeptisch oder ablehnend gegenüber. Nach dieser Denkrichtung hätte der Konsument / Patient aus einem vielfältigen Angebot verschiedener Versicherungen, das auch Angaben über die bezahlten Leistungen und die Voraussetzungen für die Übernahme durch den Versicherer enthalten müsste, die ihm genehme Lösung auszuwählen.

Es ist hier nicht der Ort für eine grundsätzliche und kritische Auseinandersetzung mit diesem Modell, das zum Teil, und nur dort, in den USA verwirklicht ist – wobei sich das Glück der Betroffenen in durchaus mässigen Grenzen zu halten scheint. Es sei in diesem Zusammenhang an den sog. Managed Care Backlash erinnert.

In der Schweiz sind einer umfassenden Verwirklichung des Markt-Wettbewerb-Modells im Gesundheitssystem marginale Chancen einzuräumen, dies aus nachfolgend stichwortartig aufgeführten Gründen

  • Eine solidarische Grundversicherung einerseits, Markt und Wettbewerb andererseits, sind fundamental inkompatibel. Markt im Gesundheitssystem müsste der Solidarität massiven Abtrag tun, was von der grossen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird.
  • In der Bevölkerung bestehen grosse Vorbehalte gegen die Krankenversicherer, die sich unter anderem exemplarisch in der Volksabstimmung vom 1.6.2008 manifestiert hat. Es ist kaum denkbar, dass die Bevölkerung die Entscheidungsmacht darüber, welche Leistungen sie beanspruchen darf, diesen Krankenversicherern übertragen will. Je mehr diese Entscheidungsmacht durch Leistungspflichtvorgaben eingeengt würde, wäre ein echter Wettbewerb unterminiert und am Ende hinfällig.
  • Der zentrale Anspruch des Schweizer „Konsumenten“ / Patienten an sein Gesundheitssystem ist der unverzügliche Zugang, hohe Qualität der Leistung und insbesondere Sicherheit, und dass – und dies ist von zentraler Bedeutung - im sog. „Notfall“ unverzüglich gehandelt wird. Gegenüber diesen Ansprüchen ist die Lust darauf, durch Wahl des „geeigneten“ Gesundheitsangebots ein Schnäppchen zu machen, ( noch?) sehr gering, auch wenn die bedenkliche Entwicklung der Prämien viele in echte Bedrängnis bringt. Der „Kunde“ weiss sehr wohl, dass zwischen Ferienangeboten zwischen Karibik und Südsee einerseits, Versicherung bei Krankheit andererseits, fundamentale Differenzen bestehen. Niemand wird exogen und akut dazu gezwungen, unter misslichen Randbedingungen in die Südsee zu verreisen – ein Umstand, der den Wettbewerb im Gesundheitssystem – Dampfhochdruckplauderern offensichtlich schlicht entgangen ist .
  • Den Gesundheitspolitikern ist dies durchaus bewusst. Es war nicht nur die massive Opposition der Ärzteschaft gegen die Aufhebung des sog. Vertragszwanges, die die immer noch laufende KVG- Revision zur Hängepartie entarten liess. Den eidgenössischen Parlamentariern war und ist durchaus bewusst, dass die ursprünglich sehr stark von der Wettbewerbsideologie geprägte Revision nicht einem Anliegen der Bevölkerung entspricht, was sich in einer Referendumsabstimmung – sicher tätig durch die Ärzte und andere Leistungserbringer befördert – in einem Fiasko manifestieren müsste. Hier war die schon erwähnte Volksabstimmung 2008 ein Fanal, das einem Menetekel gleich an der Wand sichtbar ist.

Praktisch ist denn auch die Frage, Wettbewerb ja oder nein irrelevant. Die Frage geht vielmehr nach dem Wo und Wie von Wettbewerb im Gesundheitssystem. Es sind genau die im KVG einem Sonderbereich zugewiesenen, durch den Bund inkl Tarifierung voll administrierten Leistungen und Güter, Analysen, Arzneimittel sowie Mittel und Gegenstände, die, Erfüllung der WZW – Kriterien vorausgesetzt, wettbewerbstauglich wären. Beschränkte, sehr wirksame KVG kompatible Massnahmen mittels differenzierter Selbstbehalte, starben anschliessend eines sanften, kaum bemerkten Todes, weil Anbieter und staatliche Gesundheitsfunktionäre in symbiotischer Kumpanei diesen - wie alle Veränderungen irritierenden – Neuerungen ein Ende machten und zum „bewährten System zurückkehrten, wo der Staat, beraten durch als Experten auftretende Interessenvertreter, sagt, was Sache ist. Es ist kein Geheimnis, dass Gesundheitsfunktionäre des BAG dasselbe für den ganzen Leistungsbereich planen. Es sind ganz andere Dinge, was die Gesundheitsfunktionäre auf dem Balkon dem Volke sagen verglichen mit dem, was sie im Hinterhof wirklich tun. Solchen Scheinwettbewerb gab es bereits im real existierenden Sozialismus der weiland DDR.

Kuhhandel an Stelle methodischer Präzision

In einem Gesundheitssystem, wo der gesundheitspolitische Diskurs zunehmend von der Ideologie des kollektiven Warmduschens jeder Änderung im Grund zutiefst abholder Kumpane als raison d`être et raison d‘état degeneriert, sind analytisches Denken und Primat der methodischen Präzision nicht gefragt. Es ist genau dieses Milieu interne der Nährboden für Kuhhandel aller Art zwischen Interessengruppen, der – vor allem hinter den verschlossenen Türen der sog „Expertenkommissionen“ - nach dem Prinzip „Gibst Du mir die Wurst, so lösch ich Dir den Durst“ - Urstände feiert.

Dies manifestiert sich exemplarisch daran, wie in praxi mit den WZW-Kriterien zur Sache gegangen wird. Zweifelsohne ist das strenge Kausalitätsprinzip als Basis für die Beurteilung der WZW-Kriterien, vor allem der Wirksamkeit, aus wissenschaftstheoretischen wie medizinisch praktischen Gründen einem kritischen Wandel unterworfen. Dies kann und darf aber nicht bedeuten, dass methodische Schlamperei und Raubrittertum der Interessenpolitik die immer grösseren Lakunen zu ökologisch – ökonomischen Nischen umbaut.

Als Beispiel sei die Gleichsetzung von Korrelation mit Kausalität erwähnt, die schon nachgerade zum „methodischen“ Standard geworden ist. Die leidvollen Erfahrungen um die Alternativmedizin seien nach dem demokratischen Prinzip „Vox Populi – Vox Dei“ nicht noch einmal ausgerollt. Dies um so mehr, als kein Tag vergeht, ohne dass neue Exempel dem Betrachter der Szene den Unterkiefer nach caudal fallen lassen. So entblödet sich das ehrenwerte BAG nicht, in einer Verlautbarung die zeitlich korrelierende Veränderungen der Rauchgewohnheiten von Jugendlichen mit der Aktivitäten der Tabakprävention – völlig unwidersprochen – als Wirksamkeitsnachweis eben dieser Präventionsprogramme darzustellen. Im üblichen „Newsspeech“ wird dies selbstredend nicht explizit als Wirksamkeitsnachweis sondern „positive Entwicklung“ abgefeiert.

Die unbewältigte Komplexität und Dynamik der WZW Kriterien

In Anhang 1, KLV, Abschnitt 1.3. wird die Kostenübernahme der Ballonkyphoplastie bejaht. Dies lässt offen, ob die einfache Injektion von Zement oder Polymethylmethacrylat (PMMA) in frakturierte Wirbel auch abzugelten ist und - für den Fall der Ballonkyphoplastie BKP) - welches der beiden Injektionsmittel anerkannt ist (oder beide). Man kann - durchaus zu Recht – einwenden, dies sei der Entscheidung des Operierenden zu überlassen, der ohnehin meist nur noch BKP durchführt und durch die Schweizerische Gesellschaft für Orthopädie oder die Schweizerische Gesellschaft für Neurochirurgie zertifiziert sein muss. Die daraus zu folgernde Liste zertifizierter Operateure ist nicht einsehbar, was offen lässt, ob sie überhaupt existiert. Eine seltsames Verständnis des für die gesamte Verwaltung verbindlichen Öffentlichkeitsprinzips, dem Alptraum jedes Bundesbeamten.

Die Indikationen für den Eingriff entsprechen den Richtlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Spinale Chirurgie; sie sind relativ weich und fordern das Vorliegen Analgetica-resistenter Schmerzen und / oder eine „Deformität“ des Wirbelkörpers. Jeder Arzt weiss, dass damit der Indikationsbogen zum Zerreisen weit gespannt ist.

Der Gesetzgeber delegiert mit diesem Vorgehen die Handhabung der Kostenübernahme de facto an eine privatrechtliche Fachgesellschaft. Dies ist durchaus sinnvoll unter Einhaltung bestimmter Kautelen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Richtlinien periodisch überarbeitet werden und zu einem bestimmten Zeitpunkt sich sehr verändert präsentieren könnten. Ist der Regulator zu informieren? Oder handelt es sich um eine „ewig währende“ Delegation? Hier sind die juristisch heiklen Aspekte einer solchen Delegation angesprochen.

Damit sind wir beim Kern der Sache, der in Art 32. Abs.2 KVG geforderten periodischen Überprüfung. Mit Sicherheit kann gesagt werden, dass dies nur eklektisch erfolgen kann, weil das BAG nicht über die notwendigen personellen Ressourcen für eine regelmässige Überprüfung (Zeitintervall?) aller in Anhang 1, KLV positiv beurteilten Leistungen verfügt, ein Katalog, der jährlich grösser wird.

So darf man gespannt sein, was nach den zwei neusten, zum ersten Mal randomisierten und einfach verblindeten Studien zur Wirksamkeit der BKP geschieht ( 2, 5 ) Diese Studien schaffen – sicher nicht unwidersprochen oder abschliessend - eine völlig neue Ausgangslage: Die Pflichtleistungsbeurteilung, die 2004 ff. auf kleineren, den neuen Studien nicht äquivalenten Studien basierte, muss nun ausgehend davon, dass die BKP den WZW-Kriterien nicht mehr genügt, Nein lauten. Und was geschieht dann: Wirkungseintritt wann, unter Berücksichtigung des Umstandes, dass Ballonkyphoplastiker über Nacht arbeitslos werden? Wer wird wie informiert, wieder unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die meisten Ärzte nicht jährlich den Anhang 1 , KLV lesen werden? Und muss die Evaluation der BKP fortgeführt werden?

Fragen über Fragen, die nun konkret beantwortet werden müssen, was wiederum aufzeigt, wie die gesetzlich geforderte Überprüfung der KLV gehandhabt wird – wobei nicht auszuschliessen ist, dass aufgrund dieses Artikel nur gerade die BKP überprüft wird – was ja auch ein lustiges Ergebnis wäre.

Corporate Medizin oder die neue Ausrichtung der Leistungspflicht

Die Festlegung der Leistungspflicht ist aktuell auf den einzelnen Leistungserbringer ausgerichtet. Immer mehr Leistungen müssen aber von einem Kollektiv von Leistungserbringern erbracht werden, weil der Einzelne weder über die umfassende Fachkompetenz noch die notwendige Infrastruktur verfügt. Das aktuelle, aus den Zeiten der Einzelpraxis und ihres Betreibers stammende Modell, das auch im Spitalbereich, der noch vor 100 Jahren in Form des Belegarztsystems zur Anwendung kam, muss heute als medizinisch wie auch juristisch überholt bezeichnet werden.

Dieses Problem ist nicht dadurch klein zu reden, dass man einfach den Hauptverantwortlichen bezeichnet, der dann abrechnungsberechtigt ist und der den Rest dann zur Zufriedenheit aller organisiert. Unkontrolliert lässt das System im Grunde jedem Missbrauch Tür und Tor offen: In Realität wird schon die Hauptverantwortung häufig delegiert; kein Mensch ausserhalb weiss, ausser durch puren, aber in der Regel folgenlosem Zufall, ob das nach WZW Kriterien zu fordernde qualifizierte Team am Werk war. Als qualifizierender Arzt kann ich, wenn möglich noch an verschiedenen Orten, unqualifizierte Fumelanten aus welcher Weltgegend auch immer an den Tisch stellen, die für mich den Job machen. Ich bin genug damit beschäftigt, alle Rechnungen zu stellen und einzutreiben. Gibt es in der Schweiz nicht? I wo.

Die ganze Problematik muss auf dem Hintergrund einer Entwicklung auch des Schweizerischen Gesundheitssystems hin zur Corporate Medicine gesehen werden ( 3 ). Dies von hochaktiven Finanzierern und ihren Spital- und Praxisketten auch in Europa vorangetriebene System wird zu einem weitgehenden Verschwinden des selbständig eine Praxis betreibenden Arztes führen. Eine Entwicklung, die wahrscheinlich auch in den sog. Ärztenetzwerken eintreten wird. Leistungspflichts Abklärung wie auch jeder leistungspflichtige Leistungen bezeichnende Katalog werden als Adressaten immer mehr eine Institution haben, medizinisch wie juristisch.

Corporate Medicine ist grenzüberschreitend. Auch wenn aktuell in der EU noch die nationale Souverenität der Staaten gilt, ist diese, nicht zuletzt durch die Rechtssprechung des EU Gerichtshofs ( vgl. sog. Krohl – Becker Entscheide und ähnliche)längst scheunentorgross gelöchert. Wer sich in den Hinterhöfen von Bruxelles etwas auskennt, weiss, dass die dort tätigen Gesundheitstechnokraten (und sie sind tätig), in schöner Harmonie mit den Protagonisten der international tätigen Corporate Medicine, längst einen einheitlichen Versorgungsraum EU planen und ebenso stückweise wie unbemerkt Stück für Stück Realität werden lassen. In diesem Modell bleiben den einzelnen Staaten weniger Kompetenzen als unseren Kantonen (die auf der Brüsseler Karte nicht vermerkt sind). Wenig spricht dafür, dass sich die Schweiz einer Erweiterung der bilateralen Verträge – bei einem Beitritt zur EU stellt sich die Frage schlicht nicht mehr – verschliessen würde (oder auch nur möchte)

Positivliste ….und Rationierung

Niemand kann heute sagen, wann die vorhin angedeuteten Entwicklungen in der Schweiz Realität werden. Es wäre deshalb völlig verfehlt, die Hände in den Schoss zu legen und auf Bruxelles zu warten. Die Schaffung einer umfassenden und funktionierenden Positivliste ist unerlässlich, weil ohne eine solche Positivliste das Gesundheitssystem Schweiz, angetrieben durch den wissenschaftlichen wie auch, und man möchte sagen vor allem, unwissenschaftlichen Fortschritt nicht mehr finanzierbar ist, dies im Grunde heute schon. Wer glaubt, mit einer Praxisgebühr hier, etwas Senkung der Analysenpreise da und der Medikamentenpreise dort dieses Finanzierungsproblem lösen zu können, muss von geradezu kataplektischer Blindheit geschlagen, im klinischen Sinne oligophren oder böswillig sein. Eine vierte Differentialdiagnose ist nicht denkbar.

Neben der im Grunde verkannten Notlage spricht noch ein Weiteres dafür, in der Schweiz sobald als möglich aktiv zu werden: Die umliegenden Staaten, insbesondere aber die Gesundheitsfunktionäre in Bruxelles, haben unklare Vorstellungen, mit welchen Instrumenten ein solches Gesundheitssystem zu konstruieren sei. Die Abertausenden von Seiten vielsprachig publizierter Papiere legen in ihrer absoluten Inhaltsleere mehr als beredtes Zeugnis davon ab. Wenn sich dann einmal in diesen Köpfen die Nacht vom Tag scheiden muss, tritt sofort die Handlungsmaxime 1 jedes Funktionärs in Kraft: Hüte Dich vor eigener Innovation; dies artet in Arbeit aus und führt zu Scherereien; kupfere besser das Internet auf mögliche Innovationen ab. Und hier läge die Chance der Schweiz, nicht zum ersten Mal ….

So sollen zum Abschluss die essentiellen Elemente einer Positivliste skizziert sein:

  • Aktuell umfassende jährlich vollständig zu überarbeitende Nomenklatur der der Zahlungspflicht unterliegenden Leistungen wie auch aller nicht vergüteten Leistungen.
  • Alle Leistungen müssen Diagnose bezogen sein (eine zentrale Forderung, der die Realität entgegensteht, weil das heute allgemein Verwendung findende ICD-System im Diagnoseteil veraltet ist).
  • Die Diagnose muss durch klinische Schweregrade, Ausmass des möglichen Lebensgewinns (inkl. Lebensqualität) ergänzt werden.
  • Methodisch muss auf die Anwendung des strengen Kausalitätsprinzips zu Gunsten von Wahrscheinlichkeitsmodellen und darauf basierenden Simulationen verzichtet werden. Anzumerken ist, dass solche Voraussetzungen in der Medizin nur in Andeutungen vorhanden sind – was ja nicht ausschliesst, dass man in anderen Gebieten lernen könnte.
  • Leistungen müssen – abgesehen von Leistungen die jeder Arzt erbringen können muss – an professionelle Voraussetzungen gebunden sein, die immer mehr auf Teams und Institutionen bezogen sein müssen. Dies wiederum erfordert, dass alle Leistungserbringer (auch Institutionen) bezüglich ihrer Qualifikationen nach aussen transparent sein müssen. Dies dürfte schwieriger sein, als alle Bankkunden mit Name, Geburtsdatum und Konto Nummer auf dem Internet aufzuschalten.
  • Zweckmässigkeit ist klar als Wirksamkeit in der täglichen Praxis (englisch Efficiency) zu definieren und zu beurteilen.
  • Wirtschaftlichkeit ist als Cost Benefit zu verstehen. Wenn verschiedene Methoden in Konkurrenz stehen, ist nach wissenschaftlich bekannten, hier nicht weiter auszuführenden, Methoden die Kostengünstigste zu wählen.
  • Ist dies nicht mit hoher Sicherheit möglich oder seitens der Patienten emotionsbesetzt, so kann das Instrument der differenzierten Selbstbehalte angewendet werden.

Wie gezeigt ist die Erarbeitung einer brauchbaren Positivliste personell wie finanziell ausserordentlich aufwendig. Bei zunehmend knappen staatlichen Mitteln ist die Gefahr gross, dass diese Arbeiten durch finanzkräftige Anbieter, vor allem die interessierte Industrie, nicht nur gesteuert sondern auch im Detail inhaltlich bestimmt wird.

Einziges „Antidot“ ist, dass der Staat die Kriterien für die Erarbeitung der notwendigen Studien vorgibt und das Ergebnis inhaltlich auch kontrolliert bzw. kontrollieren kann. Ohne internationale Zusammenarbeit ist dies schlicht nicht vorstellbar. Es wäre an der Zeit, dass die Schweiz die entsprechenden Verbindungen knüpfen würde, die sich bis jetzt auf lockere Kontakte im Bereich von Health Technology beschränken.

Eine Rationierung medizinischer Leistungen ist auch in der Schweiz unvermeidbar. Die Frage ist nicht mehr, ob dies ethisch akzeptabel sei. Je länger der unhaltbare Zustand andauert, um so mehr gilt das Diktum von Berthold Brecht, dass das Fressen eh vor der Moral kommt. Die einzige relevante ethische Forderung muss sein, dass Rationierung transparent und explizit, neutral und auf wissenschaftlicher Basis erfolgt. Man mag dies angesichts der mit Wucht aus den tiefsten Tiefen der Menschen aufsteigenden, sich freie Bahn brechenden und völlig irrationalen Emotionen als jeglicher Hinsicht naiv aufklärerisches Singen im Wald bezeichnen. Leute, die um die realen Gefährdungen dieses Gesundheitssystems wissen, sind Menschen im tiefen nächtlichen und gefahrenreichen Wald, die aber weiter laufen müssen, vielleicht mit etwas weniger Gesang und mehr nüchterner Analyse der wirklichen Probleme und Gefahren

Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

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