Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

15 Ökonomische Aspekte

Neu, 3. Auflage, Mai 09

Vorbemerkungen

Gegen Krankheit, Unfall oder Invalidität kann man sich genau genommen gar nicht versichern, sondern nur gegen die wirtschaftlichen Folgen dieser Risikolagen. Eine Lebensversicherung versichert nicht das Leben sondern nur das Risiko des Todesfalls, bei dessen Eintreten eine Geldzahlung fällig wird. Versicherungen sind per se wirtschaftliche Konstrukte, deren Hauptzweck die Umverteilung von Finanzmitteln im Rahmen von Solidargemeinschaften darstellt.

Diese Überlegungen gelten sowohl für Sozialversicherungen als auch für Privatversicherungen, welche sich mit gesundheitlichen Risiken befassen. Der prinzipielle Hauptunterschied zwischen Sozial- und Privatversicherungen liegt nicht auf der Leistungsseite sondern auf der Finanzierungsseite. Privatversicherungen sind freiwillig und erheben möglichst risikogerechte Prämien, während Sozialversicherungen unfreiwillig sind und (von wenigen Ausnahmen abgesehen) keine risikogerechte Prämien erheben.

Zwei Arten von Fragen sind für Versicherungen zentral: Erstens, wer muss wie viel einzahlen und zweitens, wie viel zahlt die Versicherung unter welchen Bedingungen an wen aus? In diesem Handbuch geht es hauptsächlich um den zweiten Fragenkomplex.

In zahlreichen Versicherungen, die Gesundheitsrisiken versichern, ist die eigentliche Leistung eine Geldzahlung und es muss nur festgestellt werden, ob jemand dafür qualifiziert ist oder nicht. Rentenleistungen sind Beispiele dafür. Im Falle derjenigen Versicherungen, welche Gesundheitsleistungen und damit verbundene Kosten versichern, geht es auch darum festzustellen, welche derartigen Leistungen überhaupt zu zahlen sind und was ein angemessener Preis dafür ist. Dass es im Bereich der Gesundheitsleistungen um mehr als nur die Geldzahlung selber geht wird sehr deutlich beim sogenannten Naturalleistungsprinzip, wie es das Unfallversicherungsgesetzt (UVG) kennt. Dort ist nicht die Bezahlung der Leistung gefordert, sondern die Erbringung der Leistung selber.

Auch beim Krankenversicherungsgesetzt (KVG), welches das Kostenerstattungsprinzip kennt, geht es um die Frage, welche Heilungskosten in welchem Fall bei welchen Personen zu übernehmen sind und welche nicht. Dafür sind verschiedene Kriterien bestimmt worden, die erfüllt sein müssen. Für sämtliche Sozialversicherungen, die Gesundheitsleistungen übernehmen, gilt, dass nur Leistungen bezahlt werden sollen, welche neben anderen Kriterien auch das Kriterium der Wirtschaftlichkeit erfüllen.

Dieses Kapitel befasst sich mit ausgewählten ökonomischen Aspekten, die aus Sicht der Versicherungsmedizin relevant sein können. Nicht weiter thematisiert in diesem Kapitel wird die so genannte Versicherungsökonomie, bei der es schwergewichtig um Risikoüberlegungen und damit verbunden um die Finanzierung dieser Risiken geht.

Ökonomisches Denken und der Begriff der Wirtschaftlichkeit

Ausgangslage des ökonomischen Denkens ist die Vorstellung, dass einerseits die menschlichen Bedürfnisse unbegrenzt, andererseits die zu deren Befriedigung stehenden Mittel knapp sind. Wir leben nicht im Schlaraffenland, wo alles im Überfluss vorhanden ist. Das Wort Ökonomie stammt vom griechischen Begriff ‚Oikos’ ab, welcher Wirtschaften oder Haushalten bedeutet. Ökonomisches Denken bezieht sich auf rationale Wahlentscheidungen in einer Situation der relativen Knappheit.

Ein Wahlentscheid bedeutet, dass mindestens zwei Alternativen zur Verfügung stehen, wodurch gleichzeitig eine Entscheidung für etwas aber auch eine Entscheidung gegen etwas gefällt wird. Mit diesem Verzicht verbunden sind sogenannte Opportunitätskosten, die durch den Verzicht auf die nächstbeste Alternative entstehen. Beispielsweise bei Gesundheitsleistungen entstehen Opportunitätskosten in Form der eingesetzten Ressourcen wie Zeit und Geld, die sonst anderweitig hätten verwendet werden können. Einerseits hätten diese Ressourcen für etwas anderes im Gesundheitswesen selber eingesetzt werden können, andererseits aber auch in ganz anderen Bereichen. Diese Situation illustriert das geflügelte Wort von Milton Friedman: „There is no such thing as a free lunch.“

Ökonomisches Denken bedeutet aber nicht etwa, dass etwas einfach möglichst tiefe Kosten haben respektive möglichst billig sein soll. Wirtschaftlichkeit bedeutet vielmehr, dass es auf das Verhältnis von Kosten (Input) und Wirkung/Ergebnis (Output) ankommt.

Dabei unterscheidet man das Maximumprinzip und das Minimumprinzip. Beim Maximumprinzip geht es darum, mit gegebenen Kosten eine möglichst grosse Wirkung zu erzielen. Beim Minimumprinzip geht es darum, eine gegebene Wirkung mit möglichst geringen Kosten zu erreichen.

Die Verbesserung des Verhältnisses von Kosten zu Wirkung ist eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit. Der Begriff der Rationalisierung beschreibt ebenfalls diesen Zusammenhang einer solchen Verbesserung des Kosten-Wirkungs-Verhältnisses.

Der Begriff der Rationierung hingegen bezieht sich auf eine Situation, in der eine an und für sich Wirkung erzielende respektive Nutzen stiftende Leistung nicht erbracht wird. Märkte zum Beispiel sind Rationierungsmechanismen, indem nur diejenigen Nachfrager, die über genügende Zahlungsfähigkeit- und -willigkeit verfügen, ein bestimmtes Gut oder eine bestimmte Dienstleistung erhalten. Im Gesundheitswesen hat man aus gutem Grund den Zuteilungsmechanismus des Marktes grösstenteils ausgeschaltet. Die Leistungen kosten im Moment des Konsums für das Individuum häufig nichts. Dadurch entsteht das Problem, dass ein Gut oder eine Dienstleistung aus Sicht des Nachfragers den Preis Null hat und dadurch die Nachfrage grösser sein wird als wenn der Preis, der in der Regel mindestens die Kosten decken sollte, gezahlt werden müsste. Im Gesundheitswesen besteht dadurch die Tendenz, bis zur so genannten Sättigungsmenge zu konsumieren. Eine solche Situation ist ökonomisch gesehen nicht sinnvoll, da volkswirtschaftlich gesehen zu viel konsumiert wird.

Genau genommen wäre nun jede Reduktion bezogen auf diese Sättigungsmenge eine Rationierung, da eine an und für sich Nutzen stiftende Leistung nicht erbracht wird, auch wenn beispielsweise die Wirkung noch so klein und die Kosten noch so gross sind. Dadurch wird sichtbar, dass die Forderung „Rationierung im Gesundheitswesen darf nicht sein!“ aus ökonomischer Sicht nicht sinnvoll ist. Die Frage ist nicht, ob rationiert werden soll oder nicht, sondern nur wie rationiert werden soll. Ökonomen würden denn auch nicht von Rationierung sondern von effizienter Ressourcenallokation (gleichbedeutend mit Verhinderung von Verschwendung) sprechen.

Dadurch ist auch gesagt, dass ökonomisches Denken und Ethik nicht in einem Widerspruch stehen müssen. Ein sorgfältiges Umgehen mit knappen Ressourcen hat eine ethische Dimension und Verschwendung wäre unethisches Handeln.

Wirtschaftlichkeit im Kontext von Wirksamkeit und Zweckmässigkeit

WZW aus gesundheitsökonomischer Sicht

Das Kriterium der Wirtschaftlichkeit erscheint in der Formulierung des Art. 32 KVG als Drittes zusammen mit Wirksamkeit und Zweckmässigkeit. Somit hängt es mit den beiden anderen zusammen und sollte deshalb nicht isoliert betrachtet werden.

Von grosser Bedeutung ist zunächst die Unterscheidung der Ebene der Betrachtung (vgl. Abb. 1). Geht es um die Prüfung dieser Kriterien im Allgemeinen oder im Einzelfall? Die Formulierung im Gesetz ist für beide Ebenen relevant. Die Prüfung im Allgemeinen betrifft die Systemebene und die Frage, ob eine Leistung grundsätzlich von der Sozialversicherung übernommen wird oder nicht. Es geht also um die Frage der Aufnahme in den Leistungskatalog und die Kostenerstattung der Leistung. Hier sind die Kriterien Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen beziehungsweise auf der Systemebene relevant. Beide Kriterien hängen auch unmittelbar zusammen.

Das primäre und wichtigste Kriterium ist das der Wirksamkeit. Dabei geht es um die Frage, ob eine bestimmte Leistung tatsächlich zu einem gewünschten Effekt führen kann. Gemäss Art. 32 KVG sollte dies mit wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen werden. Führt man für die Überprüfung der Wirksamkeit von Leistungen wissenschaftliche Studien durch, so spricht man von „Evidence Based Health Care“. Manchmal wird zusätzlich zwischen der Wirksamkeit unter kontrollierten Bedingungen (engl.: Efficacy) wie sie eben typischerweise in klinischen Studien herrscht und der Wirksamkeit unter realen Bedingungen (engl.: Effectiveness) unterschieden. In der Regel ist die nachgewiesene Wirksamkeit unter kontrollierten Bedingungen besser als unter realen Bedingungen, da im ersten Fall meistens die Auswahl der Patienten präziser, die Durchführung der Intervention besser kontrolliert und die Compliance der Patienten höher ist.

Erst wenn die Wirksamkeit etabliert ist, lässt ich in einem zweiten Schritt überhaupt die Frage der Wirtschaftlichkeit prüfen. Eine Leistung, die nicht wirksam ist, kann auch nicht wirtschaftlich sein. Eine Leistung, die hingegen wirksam ist, kann sich entweder als wirtschaftlich oder als nicht wirtschaftlich herausstellen. Dies hängt eben vom Kosten-Wirkungs-Verhältnis ab. Oder mit anderen Worten: Wie viel beträgt die zusätzliche Wirkung respektive der zusätzliche Nutzen im Verhältnis zu den zusätzlichen Kosten? Insofern ist das Kriterium der Wirtschaftlichkeit ein sekundäres Kriterium, allerdings ein strengeres als das Kriterium der Wirksamkeit. Gemäss Gesetz sollte nun eine Leistung, die die beiden Kriterien erfüllt, in den Leistungskatalog aufgenommen werden.

Kann es funktionieren?Wie ist das Kosten-/Nutzen-verhältnis?
Im AllgemeinenWirksamkeitWirtschaftlichkeit
Im EinzelfallZweckmässigkeit

Abbildung 1: WZW-Kriterien

Die Kriterien Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit werden in dieser Betrachtung im Allgemeinen und sozusagen für den statistischen Durchschnittsfall beantwortet und beziehen sich somit auf die Ebene des Gesundheitssystems. Anders verhält es sich mit dem Kriterium der Zweckmässigkeit, das sich auf den Einzelfall bezieht. Eine Leistung, die grundsätzlich wirksam und wirtschaftlich ist, muss somit im Einzelfall zusätzlich auf ihre Zweckmässigkeit überprüft werden. Um das Kriterium der Zweckmässigkeit zu erfüllen muss eine Leistung im konkreten Einzelfall erstens geeignet sein, die angestrebte Wirkung hervorrufen zu können und zweitens auf eine Art und Weise erstellt werden, die den wirtschaftlichen Einsatz der Ressourcen berücksichtigt. In dieser Begriffsdefinition enthält das Kriterium der Zweckmässigkeit sowohl eine Komponente der Wirksamkeit als auch eine Komponente der Wirtschaftlichkeit jeweils bezogen auf den Einzelfall.

  • Eine zweckmässige Leistung ist erstens eine, bei der gilt, dass für den konkreten Einzelfall eines Patienten mit einer bestimmten Indikation die zu erwartenden gewünschten Wirkungen insgesamt die erwarteten Nebenwirkungen übersteigen. Eine unzweckmässige Leistung ist somit eine, bei der man erwartet, dass sie dem Patienten nichts nützt oder im Extremfall gar schadet. Damit ist der Aspekt der Zweckmässigkeit angesprochen, der mit der Frage der Wirksamkeit korrespondiert, angewendet auf den konkreten Einzelfall.
  • Eine zweckmässige Leistung ist zweitens eine, die auch im Einzelfall auf eine wirtschaftliche Art und Weise erbracht wird. Kann also die gleiche Wirkung zu wesentlich tieferen Kosten erbracht werden, lässt sich die teurere Art der Leistungserstellung nicht rechtfertigen. Kann beispielsweise eine Leistung ambulant zu wesentlich tieferen Kosten erbracht werden als stationär (bei gleichem erwarteten Outcome), dann ist die ambulante Leistungserstellung auch zweckmässig. Ist die Wirkung respektive der Nutzen für den Patienten bei zwei möglichen Arten der Leistungserbringung unterschiedlich, so sollte der Kostenunterschied in einem angemessenen Verhältnis zum zusätzlichen Nutzen sein. Dadurch ist der Aspekt der Zweckmässigkeit abgedeckt, der mit der Frage der Wirtschaftlichkeit korrespondiert, angewendet auf den konkreten Einzelfall.

WZW in der Rechtsanwendung

In Gerichtsprozessen geht es um Einzelfälle und damit sind die Kriterien auf dieser Ebene zu prüfen. Dabei besteht natürlich ein Bezug zur Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen. Selbstverständlich kann auch für den Einzelfall beurteilt werden, ob eine Leistung überhaupt grundsätzlich wirksam und grundsätzlich wirtschaftlich sein kann. Wird dies verneint, wäre die logische Schlussfolgerung, dass dies auch nicht für den vorliegenden Einzelfall zutreffen kann.

Die juristische Praxis in der Schweiz prüft die drei Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit in dieser Reihenfolge (vgl. BGE 127 V 138, S146f.). Bei der Frage der Wirksamkeit wird ebenfalls auf die Wirksamkeit im Allgemeinen abgestützt, die als erstes gegeben sein muss. Dann wird als nächstes die Zweckmässigkeit im Einzelfall geprüft und schliesslich die Wirtschaftlichkeit im Einzelfall. Damit weicht die juristische Begriffsverwendung leicht von der gesundheitsökonomischen ab. Im juristischen Sinn wird die Zweckmässigkeit nur bezüglich Wirksamkeitskomponente (kann es funktioneren?) geprüft. Die Frage der Wirtschaftlichkeit wird ebenfalls für den Einzelfall geprüft, nicht aber im Allgemeinen. Hier würde man aus gesundheitsökonomischer Sicht ebenfalls von einem Aspekt der Zweckmässigkeit sprechen.

Gesundheitsökonomische Evaluation

Die Frage der Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen wird in der Gesundheitsökonomie durch sogenannte gesundheitsökonomische Evaluationen wissenschaftlich untersucht. In der Gesundheitsökonomie haben sich verschiedene Grundtypen von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen etabliert (Abb. 2). Dabei können zwei Hauptkategorien von Evaluationen unterschieden werden: nicht vergleichende und vergleichende Evaluationen.

Nicht vergleichende Evaluationen befassen sich nur mit den Kosten ohne dass sie das Ergebnis respektive die Wirkung in Betracht zu ziehen. Vergleichende Studien betrachten Kosten und Wirkung gleichzeitig.

Gesundheitsökonomische Evaluationen
nicht vergleichendvergleichend
Kosten-Analyse(Cost-Analysis)(Cost-of-llness-Analysis)Kosten-Kosten-Analyse(Cost-Minimization-Analysis)Kosten-Nutzen-Studie(Cost-Benefit-Analysis)Kosten-Effektivitäts-Analyse(Cost-Effectiveness-Analysis)Kosten-Nutzwert-Analyse(Cost-
Utility-Analysis)

Abbildung 1: Gesundheitsökonomische Evaluationen

Nicht vergleichende Evaluationen

Kostenanalyse

Der einfachste Typ einer gesundheitsökonomischen Evaluation ist eine reine Kostenanalyse. Dabei werden Kosten je nach Perspektive berechnet und aufaddiert. Beispielsweise können damit alle Kosten, die in einem Krankenhaus für eine bestimmte Fallgruppe (DRG) entstehen, berechnet werden.

Krankheitskostenstudien (Cost-of-Illness-Studies)

Krankheitskostenstudien berechnen die Gesamtkosten einer bestimmten Krankheit oder eines Risikofaktors für einen bestimmten Zeitraum (meistens ein Jahr). Typischerweise wird dabei eine volkswirtschaftliche Perspektive gewählt, was bedeutet, dass sämtliche Kosten aufaddiert werden unabhängig davon, wo in der Gesellschaft sie anfallen (im Gesundheitssystem, beim Arbeitgeber, beim Individuum etc.). Es werden folgende Kostenarten berechnet und addiert:

  • Direkte Kosten: Kosten des Ressourcenverbrauchs im Gesundheitssystem (z.B. Kosten für Spital, Arzt, Medikamente)
  • Indirekte Kosten: Kosten des Produktionsausfalls durch Absentismus (Abwesenheit von der Arbeit) und Präsentismus (Anwesenheit aber reduzierte Leistungsfähigkeit)
  • Intangible Kosten (Verlust an Lebensqualität z.B. durch Schmerz, Angst)

Keine Kosten aus gesamtgesellschaftlicher Sicht stellen die Zahlungen der Sozialversicherungen dar. Ökonomen bezeichnen diese Leistungen als Transfers, da es sich um Zahlungen von einem Wirtschaftssubjekt zu einem anderen handelt.

Krankheitskostenstudien haben häufig die Funktion Problembereich aufzuzeigen und zu sensibilisieren, wo gesamtgesellschaftlich viele Ressourcen verbraucht werden. Damit ist aber noch nicht gesagt, ob es auch sinnvoll ist, dort Massnahmen zu ergreifen. Das ist nur sinnvoll, wenn auch Interventionen existieren, die eben wirksam und wirtschaftlich sind.

Vergleichende Evaluationen

Vergleichende Evaluationen sind mit wissenschaftlichen Methoden erarbeitete Studien, die sich dadurch auszeichnen, dass sie sowohl Kosten (Inputs) als auch Konsequenzen (Outputs) miteinander vergleichen. Damit gilt auch, dass die Wirtschaftlichkeit nur mit vergleichenden Interventionen nachgewiesen werden kann. Diese Studien sind immer für statistische Typen erstellt und nicht für einen konkreten Einzelfall.

Die Kostenseite kann in allen vier Grundtypen monetär bewertet werden. Die Berechnung dieser Seite unterscheidet sich vom Prinzip her nicht. Die Studientypen unterscheiden sich durch unterschiedliche Arten der Bewertung der Konsequenzen, respektive des Outputs.

Um die Wirtschaftlichkeit zu prüfen sollte man von der Wirksamkeit unter realen Bedingungen (engl.: Effectiveness) ausgehen, da sonst die Wirtschaftlichkeit überschätzt wird.

Manchmal wird der Begriff Kosten-Nutzen-Analyse als Oberbegriff für alle vergleichenden Evaluationen verwendet. Es ist jedoch auch einer der vier Analysetypen, die nun im Folgenden kurz beschrieben werden. Neben den deutschen Begriffen ist jeweils auch der englische Fachbegriff aufgeführt. (Für ein detailliertes Studium sei verwiesen auf die einschlägige Literatur: Drummond 2005, Schöffski 2002).

Kosten-Minimierungs-Analyse (Cost-Minimization-Analysis)

Die Kosten-Minimierungs-Analyse kann dann angewandt werden, wenn zwei Interventionen das gleiche Ergebnis erzielen. In einem solchen Fall können lediglich die Kosten miteinander verglichen werden und diejenige Intervention mit den tieferen Kosten verfügt über die bessere Wirtschaftlichkeit. Implizit bezieht dieser Typ somit die Konsequenzenseite mit ein, weshalb sie auch zu den vergleichenden Analysen zählt.

Kosten-Nutzen-Analyse (Cost-Benefit-Analysis)

Ein klassischer Analysetyp in der Ökonomie ist die Kosten-Nutzen-Analyse (im engeren Sinn). Dabei werden sowohl die Kosten als auch das Ergebnis in monetären Grössen berechnet. Dies hat den Vorteil, dass Kosten und Ergebnis gegeneinander verrechnet werden können. Ergibt sich dabei ein positives Nettoergebnis, so erscheint die Massnahme aus ökonomischer Sicht als vorteilhaft.

Vom Prinzip her hat die Kosten-Nutzen-Analyse Ähnlichkeit mit der Investitionsrechnung. Es lässt sich deshalb damit auch ein Return on Investment (ROI) berechnen. Die Kosten-Nutzen-Analyse ist die einzige vergleichende ökonomische Analyse, welche auch nur für eine Intervention alleine berechnet werden kann. Vereinfacht gesagt gilt nämlich: Wenn der Nutzen einer Massnahme in Geld ausgedrückt grösser ist als die Kosten in Geld ausgedrückt, dann lohnt sich die Massnahme, sonst nicht.

Der Nachteil dieser Analyseform für das Gesundheitswesen ist die Tatsache, dass sich das Ergebnis vielfach eben gerade nicht monetär bewerten lässt, sondern in Form von verbesserten klinischen Werten, längerem Leben oder verbesserter Lebensqualität anfällt.

Kosten-Wirksamkeits-Analyse (Cost-Effectiveness-Analysis)

Die Kosten-Wirksamkeits-Analyse vergleicht die Kosten von zwei oder mehr Interventionen gerechnet in monetären Grössen mit dem Ergebnis in realen Grössen. Als so genannte reale Grössen kommen ganz unterschiedliche Indikatoren in Frage, beispielsweise gewonnene Lebensjahre, schmerzfreie Tage, Reduktion von Infektionen, Senkung des Blutdrucks. Damit diese Form der Evaluation durchgeführt werden kann, muss man sich allerdings auf einen einzigen Outcome-Indikator beschränken, da sonst die Vergleichbarkeit nicht möglich ist.

Manchmal werden in Studien die Kosten gerechnet und mehreren Ergebnis-Parametern gegenübergestellt. Dann spricht man von einer „Kosten-Konsequenzen-Analyse“. Dieser Typ lässt keine eindeutige Schlussfolgerung zu, da entweder eine arbiträre Gewichtung der Kriterien oder eine ausschliesslich qualitative Betrachtung und Abwägung von unterschiedlichen Vor- und Nachteilen vorgenommen werden muss.

Kosten-Nutzwert-Analyse (Cost-Utility-Analysis)

Die Kosten-Nutzwert-Analyse ist eine spezielle Form der Kosten-Wirksamkeit-Anlyse, die das Ergebnis in sogenannten Nutzwerten misst. Der Nutzwert sollte so konstruiert sein, dass er den Nachteil der Kosten-Wirksamkeits-Analyse, die nur eine einzelne Messgrösse verwenden kann, beseitigt.

Als Nutzwerte sind grundsätzlich verschiedene Grössen denkbar. Am weitesten verbreitet in gesundheitsökonomischen Evaluationen sind jedoch sogenannte QALYs. Diese Abkürzung steht für Quality Adjusted Life Years, also qualitätsbereinigte Lebensjahre. QALYs haben den Vorteil, dass sie grundsätzlich für alle Leistungen an Patienten im Gesundheitswesen eingesetzt werden können und damit die Vergleichbarkeit von völlig unterschiedlichen Leistungen betreffend Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit ermöglichen.

Das Prinzip der QALYs basiert sehr vereinfacht gesprochen auf der Grundidee, dass jede Gesundheitsleistung darauf abzielen sollte, (mindestens) eine der beiden Dimensionen Lebenszeit oder Lebensqualität eines Patienten zu verbessern. QALYs sind eine Masszahl, die aus den beiden Dimensionen gebildet werden. Die eine Dimension bildet die Lebenszeit in Jahren und die andere Dimension die Lebensqualität, welche auf einer Skala von 0 (=Tod) bis 1 (perfekter Gesundheitszustand) liegen kann. Die beiden Werte Lebenszeit und Lebensqualität werden dann multipliziert, wodurch sich ein Wert für ein lebensqualitätsbereinigtes Lebensjahr (QALY) ergibt. Beispielsweise ergeben 5 Lebensjahre bei perfekter Gesundheit (5 x 1) 5 QALYs. Ebenso ergeben 10 Lebensjahre bei einem Gesundheitszustand von 0.5 (10 x 0.5) 5 QALYs. Beide Situationen sind somit in diesem Konzept gleichwertig. Das QALY Konzept ist eine starke Vereinfachung und so gibt es auch zahlreiche (teilweise durchaus gerechtfertigte) Kritikpunkte. Trotzdem hat sich das Konzept in der Praxis durchgesetzt und durchaus auch bewährt.

Abbildung 3 zeigt den Vergleich von zwei Situationen, einer mit Behandlung und einer ohne Behandlung. Die Flächen unter den Kurven stellen die QALYs grafisch dar. Häufig ist es so, dass durch eine Behandlung zunächst QALYs verloren gehen, mit dem Ziel diese später in Form von besserer Lebensqualität und längerem Leben mehr als zu kompensieren. Der Saldo aus allen gewonnenen und verlorenen QALYs ist dann das relevante Ergebnis der Behandlung im Vergleich zu einer Situation ohne Behandlung.

Abbildung 1: QALY

Als Ergebnis einer Kosten-Nutzwert-Analyse ergibt sich nun ein Wert der als „Kosten pro QALY“ dargestellt wird. Damit hat man ein Mass für die Wirtschaftlichkeit gewonnen, das sich vergleichen lässt. Wie gesagt, diese Methode hat verblüffende theoretische Eleganz, wobei mehrere methodische Probleme bestehen (man könnte diese als ‚Nebenwirkungen’ bezeichnen.)

Darstellung der Wirtschaftlichkeit und Grenzwerte

Eine Möglichkeit, Wirtschaftlichkeit bildlich darzustellen, bietet das so genannte Kosten-Effektivitäts-Diagramm (Abb. 4). Es besteht aus zwei Dimensionen: Ergebnisdifferenz und Kostendifferenz. Das Schema dient dem Vergleich einer Intervention (INT 1 oder INT 2) mit einer anderen (VERGL), die im Nullpunkt des Diagramms die Vergleichsintervention darstellt. Bei dieser Vergleichsintervention kann es sich um eine gegenwärtig häufig angewandte Intervention (Goldstandard) handeln oder um eine Nullintervention, also „nichts tun“.

Wird nun eine Intervention bezüglich Ergebnisdifferenz und Kostendifferenz mit einer anderen verglichen, so ergeben sich verschiedene Möglichkeiten, die sich alle dadurch auszeichnen, dass die zu vergleichende Intervention besser aber gleichzeitig auch teurer ist. Gesundheitsökonomisch weniger interessant sind weitere mögliche Fälle in denen etwas „teurer und schlechter“ oder „billiger und besser“ ist. Ersteres kann man ohne lange zu überlegen weglassen und letzteres ebenso ohne viel zu überlegen verwenden.

Viele Innovationen im Gesundheitswesen führen unter dem Stichwort „technischer Fortschritt“ zu höheren Kosten. Aus gesundheitsökonomischer Sicht müssen solche Interventionen genauer auf ihre Wirtschaftlichkeit geprüft werden. Eine Intervention kann „viel besser und nur leicht teurer“ sein als eine andere (INT 2). Dann ist sie wirtschaftlich. Sie kann aber auch „nur ein bisschen besser, aber sehr viel teurer“ sein (INT 1) und ist somit weniger wirtschaftlich.

In Abbildung 3 sieht man deutlich, dass das Kriterium der Wirtschaftlichkeit, das zwar weniger wichtige, dafür aber strengere Kriterium ist. Beide Interventionen (INT 1 und INT 2) erfüllen das Kriterium der Wirksamkeit aber nur die eine (INT 2) das Kriterium der Wirtschaftlichkeit.

Im Kosten-Effektivitäts-Diagramm sieht man auch sehr schön, dass Wirtschaftlichkeit eben nicht die Kostendifferenz alleine darstellt sondern das Verhältnis von Kostendifferenz zu Ergebnisdifferenz. In der Gesundheitsökonomie wird dieses Verhältnis als ICER (Incremental Cost-Effectiveness-Ratio) bezeichnet. Das Ergebnis einer Kosten- Nutzertanalyse kann beispielsweise sein, dass die neue Intervention (INT) im Vergleich zur bisherigen Intrevention (VERGL) Zusatzkosten von EUR 10'000 pro zusätzlich gewonnenem QALY ergibt. Demgegenüber wäre eine Intervention, deren ICER von EUR 5'000 pro QALY beträgt, wirtschaftlicher und eine solche, deren ICER EUR 50'000 pro QALY beträgt, weniger wirtschaftlich. Je steiler die Gerade wird, welche die neue Intervention mit dem Ursprungspunkt verbindet, desto weniger wirtschaftlich ist die Intervention.

Die Frage, wo die Grenze liegt, bei der eine Leistung aufgrund des Kosten-Nutzen-Verhältnisses als nicht mehr wirtschaftlich angesehen wird, ist der springende Punkt. Verwendet man eine Masszahl (ICER), die sich aus Kosten pro QALY bezieht, so erhält man ein Mass, das einen Geldbetrag pro Nutzeneinheit ausdrückt. In diesem Fall sind es qualitätsbereinigte Lebensjahre.

Abbildung 2: Kosten-Effektivitäts-Diagramm

Letztlich geht es um die Frage, welcher Geldbetrag pro (statisches) Menschenleben noch als wirtschaftlich angesehen werden kann und welcher nicht. Es geht also um einen Grenzwert. Dies ist keine ökonomische Frage, sondern eine politische. Die Frage eines eventuellen Grenzwerts („threshold“) und wo dieser liegt wurde in den letzten Jahren intensiv diskutiert. Tatsächlich hat man durch Beobachtung des Entscheidungsverhaltens von Gesundheitsbehörden bei der Zulassung von Medikamenten in England und Australien herausgefunden, dass dieser Wort dort ungefähr bei GBP 20-30'000 respektive AUD 40-80'000 pro QALY liegt. Liegt der Wert für ein Medikament darunter, so wird das Produkt in diesen Ländern in der Regel ohne grössere Probleme vergütet, wenn er darüber liegt nicht.

Damit wird also implizit ein Grenzwert pro statistisch gerettetem Menschenleben oder Lebensjahr eingeführt. Für viele Nicht-Ökonomen hat man damit bereits eine ethische Grenze überschritten, da ein Menschenleben gewissermassen ‚unbezahlbar’ ist. Wer eine solche Grenze als unethisch bezeichnet fordert aber letztlich, dass dieser Wert unendlich hoch sein könnte und verkennt damit, dass eben die Ressourcen in einer Gesellschaft begrenzt sind. Dieses Vorgehen ist darauf ausgerichtet, dass die Anzahl QALY’s maximiert werden soll. Wichtig ist der Hinweis, dass diese Überlegungen bei Fragen der Zulassung zum Leistungskatalog und bei Risikoabwägungen zum Tragen kommen.

Für die Schweiz gibt es bisher keinen bekannten Fall bei dem eine an und für sich wirksame Intervention allein aus Gründen mangelnder Wirtschaftlichkeit nicht in den Leistungskatalog aufgenommen wurde. Dies könnte sich in Zukunft bei gleichzeitigem Wachstum der technischen Möglichkeiten, zunehmender Nachfrage, veränderter Demographie und knapperen Ressourcen ändern.

Die Rechtssprechung in der Schweiz und die Frage von wirtschaftlichen Grenzwerten

Das Instrumentarium der gesundheitsökonomischen Evaluationen eignet sich für die Beurteilung eines statistischen Patienten aber nicht eines konkreten Einzelfalls. Das Prinzip hingegen, dass Zusatzkosten und Zusatznutzen bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit gegeneinander abgewogen werden müssen, gilt auch für den konkreten Einzelfall.

Die Wirtschaftlichkeit wird somit auch im Einzelfall beurteilt, indem Zusatzkosten und Zusatznutzen von zwei Leistungen, die das gleiche Ziel verfolgen, miteinander verglichen und gegeneinander abgewogen werden.

Zur Illustration dieses Punkts eignet sich am besten der Blick in die Gerichtspraxis. Beispielsweise gibt es einige Bundesgerichtsentscheide zur Frage, ob in konkreten Fällen die teurere Spitex-Pflege oder die (für den Krankenversicherer) günstigere Heimpflege zu vergüten sei. Wenn das Bundesgericht zum Schluss kam, dass Spitex-Pflege wirksamer und zweckmässiger war, hat es Mehrkosten von bis zu einem Faktor 4 akzeptiert. Bei Fällen, in denen das Gericht „Gleichwertigkeit“ angenommen hat, hat es Mehrkosten von bis zu 50% akzeptiert (vgl. die detaillierte Rechtsprechung mit Hinweisen hierzu im Kapitel Geriatrie).

Health Technology Assessment (HTA)

Gesundheitsökonomische Analysen sind häufig Teil eines so genannten Health Technology Assessment (HTA). Dabei geht es um eine möglichst umfassende Evaluation von in der Regel neuen, teuren und umstrittenen Technologien im Gesundheitswesen. Der Technologiebegriff wird dabei sehr breit verstanden und beinhaltet alle präventiven, diagnostischen und therapeutischen Interventionen im Gesundheitswesen. HTA dient dabei als Entscheidungsgrundlage für den politischen Entscheid der Zulassung zur Vergütung zu Lasten des Gesundheitssystems (Reimbursement).

In einem HTA können je nach Fragestellung ganz verschiedene Fragen geprüft werden. Dazu gehören Fragen der Wirksamkeit und der Wirtschaftlichkeit aber auch ethische, soziale, rechtliche und politische Fragen.

HTA ist bereits heute in vielen Ländern sehr stark verbreitet und ausgebaut. Dies trifft insbesondere auf Länder zu, die ein staatliches steuerfinanziertes Gesundheitssystem haben, wie z.B. England, Australien, Kanada oder die skandinavischen Länder. In den letzten Jahren hat HTA aber auch in Sozialversicherungssystemen wie Deutschland oder Frankreich an Bedeutung gewonnen.

Zahlreiche Länder verfügen über eigene HTA-Agencies, welche diese Art von Studien durchführen. Einen guten Überblick gibt die Website der internationalen Organisation INAHTA, in welcher diese Agencies zusammengeschlossen sind www.inahta.org.

Die Schweiz verfügt über keine eigene HTA Agency und es ist in absehbarer Zeit auch nicht mit einer solchen Organisation zu rechnen. Sämtliche Organisationen, welche sich mit HTA befassen sind im Swiss Network for Health Technology Assessment (SNHTA) zusammengeschlossen, welches vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) koordiniert wird. www.snhta.ch

Man kann jedoch erwarten, dass die Methodik, wie sie HTA verwendet, in Zukunft auch in der Schweiz stärker zur Anwendung kommen wird.

Literatur

Bundesamt für Gesundheit (BAG) (2004) Wirtschaftlichkeit von Spitex Pflege. In: Kranken- und Unfallversicherung: Rechtssprechung undVerwaltungspraxis, S. 137-142. Bern: BAG

Schöffski, O. and Schulenburg, J.-M.v.d. (2002) Gesundheitsökonomische Evaluationen. Berlin: Springer.

Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

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