Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

Rheumatologie

Der Vertrauensarzt wird konfrontiert mit Fragen zu Abklärung und Therapie entzündlicher und degenerativer Krankheiten des muskuloskelettalen Systems. Insbesondere interessieren die allgemeine und lokoregionäre Schmerztherapie, umstrittene Therapien wie Chondroprotektiva und Viscosupplementation sowie Physio- und Ergotherapie. Die Wirksamkeit von Massnahmen im Rahmen der chronischen Schmerzsyndrome ist seit Jahren umstritten. Dies betrifft speziell die Wirbelsäulen-nahen Infiltrationen.

Abklärung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

Studien zu PET und PET/CT haben sich gehäuft, v.a. bei Entzündungen der grossen Gefässe, insbesondere der Riesenzellarteriitis. Hier erweist sich das PET/CT für Diagnostik und Aktivitätsbeurteilung als hilfreich. Es ist wünschbar, dass diese Untersuchung in dieser Indikation auch zur PL wird, nachdem sie für Fieber unklarer Genese (FUO) und «Raumforderung» zugelassen (9.2 Anhang 1 KLV) ist. Als Alternative bietet sich die Angio-Magnetresonanzuntersuchung an.

Medikamentöse Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

Biologika und synthetische Substanzen wie die Januskinase-Hemmer haben die Rheumatologie seit 1999 revolutioniert, sowohl hinsichtlich therapeutischem Potenzial wie hinsichtlich Kosten. Die Indikation hält sich an die kriterienbasierte, ausgewiesene Diagnose sowie aktuelle Krankheitsaktivität (CRP, BSR) und die SL-Limitatio. Mitbestimmend sind immer die vorgängig durchgeführten medikamentösen Therapien. Alle Biologika in der SL sind mit einer Limitatio versehen, die zuweilen den neuesten wissenschaftlichen Daten nachhinkt. Selbst wenn Fachärzte von einer erweiterten Indikation (Off-Label Use) überzeugt sind, bleibt die Beurteilung durch den Vertrauensarzt vorbehalten (Art. 71a KVV), wofür die notwendige Literatur beigelegt werden muss. Bei entzündlichen Orphan Diseases ist die Einzelfallprüfung gefordert. Hierfür muss man sich mangels kontrollierter Studien meistens auf kleine Fallserien abstützen.

Von vielen Biologika sind Biosimilars auf der SL registriert. In Analogie zu den Generika, deren Einsatz im Prinzip obligatorisch ist (Art. 38a KLV), sollte jede neue Therapie nach Möglichkeit mit Biosimilars gestartet werden.

Fibromyalgie-Syndrom (FMS)

Das FMS ist charakterisiert durch Ganzkörperschmerzen, Druckschmerzhaftigkeit der Weichteile und Begleitsymptome wie Schlafstörungen, Müdigkeit, Erschöpfungsgefühl, Kopfschmerzen, Abdominalbeschwerden, Miktionsstörungen, Schwellungsgefühl, Parästhesien und Raynaud-artige Beschwerden.

Pathogenetisch geht man von einer zentralen Sensibilisierung aus, welche die erniedrigte Schmerzschwelle erklärt. Das Krankheitsbild kann durch psychische und somatische Faktoren getriggert werden; generell wird es zunehmend als Stresserkrankung verstanden. Typische psychische Trigger sind Episoden von Ausgeliefertsein, z.B. sexueller Missbrauch. Somatische Trigger können Unfälle, Operationen sowie entzündlich-rheumatische Erkrankungen sein. Es bestehen starke Überlappungen mit der psychiatrischen Diagnose der somatoformen Schmerzstörung. Häufig sind psychiatrische Komorbiditäten wie eine Depression oder Angststörung assoziiert.

Die drei therapeutischen Säulen sind Ausdaueraktivitäten (aerobes Training), Stressreduktion (Erlernen von Entspannungstechniken) und medikamentöse Massnahmen, die auf die Begleitsymptome (z.B. Schlafstörung) abzustimmen sind. Analgetisch haben einfache Analgetika und Tramadol eine gewisse (zumeist aber überschätzte) Wirkung. Besser wirksam sind tiefdosierte Antidepressiva (trizyklische am besten untersucht). Opioide sind kontraindiziert, wenn keine zusätzlichen starken somatischen Nozigeneratoren vorhanden sind, zumal Opioide die zentrale Sensibilisierung verstärken können (Opioid-induzierte Hyperalgesie).

Bei starker Ausprägung des FMS mit Aktivitäts- und Partizipationseinschränkungen ist ein multidisziplinäres Management einschliesslich Psychiatrie angezeigt.

Alleinige passive physiotherapeutische Massnahmen sind nicht sinnvoll. Dauerphysiotherapie ist nicht empfohlen, da sie die Chronifizierung fördert beziehungsweise unterhält. Physiotherapie ist nur sinnvoll, um die Hebung des Aktivitätsniveaus zu bahnen und um allfällige zusätzliche strukturell bedingte Affektionen des Bewegungsapparats zu behandeln.

Wirbelsäulen-nahe Infiltrationen bei Rückenschmerzen

Die Diskussion der Wirksamkeit Bildgebung-gestützter Wirbelsäulen-naher Infiltrationen bei Rückenschmerzen, insbesondere Nervenwurzelinfiltrationen beim radikulären Syndrom und Facettengelenksinfiltrationen bei der Spondylarthrose, ist lang und umstritten. Eine neue Übersichtsarbeit äussert sich kritisch gegenüber Nervenwurzelinfiltrationen und sieht Indikationen für die epidurale, lumbale Infiltration (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30858075). Kristalline Glukokortikoidpräparate sind für epidurale Infiltrationen kontraindiziert und in der SL zum Teil explizit auf intraartikuläre Injektion limitiert. Sowohl aus heilmittelrechtlicher als auch sozialversicherungsrechtlicher Überlegung ist deren Einsatz für Wirbelsäulen-nahe Infiltrationen abzulehnen.

Die Wirksamkeit der Infiltrationsanästhesie, lokal und regional (lokale und segmentale Neuraltherapie) (2.3 Anhang 1 KLV) beruht auf komplementärmedizinischen Erfahrungen.

Osteoporose

Gemäss WHO wird Osteoporose für postmenopausale Frauen osteodensitometrisch definiert durch einen T-Score der LWS, des Schenkelhalses oder der Hüfte (gesamt) von -2.5 und tiefer. Ist entweder die LWS oder die Hüfte nicht verwertbar, wird der Unterarm herangezogen. Bei dieser Definition gilt es zu berücksichtigen, dass sie keine eigentliche Erkrankung, sondern einen Risikofaktor für Frakturen definiert. Von Osteoporose als Erkrankung kann erst gesprochen werden, wenn eine Fraktur spontan oder durch ein inadäquates Trauma (Fragilitätsfraktur) an dafür typischen Prädilektionsstellen (thorakolumbale WK, distaler Unterarm, Hüfte, proximaler Oberarm, Sakrum) aufgetreten ist.

Ein T-Score-Wert von -1.0 besagt, dass die Knochendichte der betroffenen Person eine Standarddeviation unterhalb derjenigen von gesunden jungen Frauen liegt. Eine solche Abweichung bedeutet eine Verminderung der Knochenmineralsubstanz um etwa 10%. Die Osteodensitometrie beschreibt zusätzlich einen Z-Score. Ein Wert von -1.0 bedeutet eine Verminderung der Knochendichte um eine Standarddeviation gegenüber altersgleichen Personen.

Bei Vorliegen einer verminderten Knochendichte sind stets zugrundeliegende Knochenerkrankungen auszuschliessen. Entsprechende Laboruntersuchungen sind zu empfehlen bei Männern ohne offensichtliche Ursache und bei Frauen mit einem Z-Score < -1.0.

Für die Therapieindikation ist nicht allein die Knochendichte, sondern das geschätzte absolute 10-Jahresrisiko entscheidend (https://medicalforum.ch/article/doi/smf.2017.03062). Zu dessen Schätzung stehen verschiedene Tools zur Verfügung, am häufigsten verwendet wird das FRAX-Tool der WHO. In der Schweiz wird eine Indikationsschwelle von 25% empfohlen (https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/183-001.html), im Bereich von 15-25 % ist der Therapieentscheid relativ.

Leider wird die Indikation für eine antiresorptive Therapie gemäss Label und SL allein aufgrund eines T-Score-Wertes definiert, was im Einzelfall nicht immer sinnvoll ist. Beispielsweise ist das Frakturrisiko bei einer sportlichen frühpostmenopausalen Frau ohne weitere relevante Risikofaktoren nur sehr gering, auch wenn ein osteoporotischer T-Score vorliegt (z.B. -3.0). Andererseits haben ältere Menschen auch bei nur wenig verminderter Knochendichte (nur Osteopenie) oft ein hohes Risiko und sollten aus osteologischer Sicht behandelt werden.

Bei Frauen unter Aromatasehemmern ist die Anwendung von Denosumab PL, auch wenn osteodensitometrisch keine Osteoporose vorliegt. Weil nach Absetzen von Denosumab immer ein Bisphosphonat anzuschliessen ist, besteht dann die Problematik, dass für dieses Bisphosphonat keine LP besteht.

Für die osteoanabole Therapie stehen das Parathormon-Analogon Teriparatid und auch Biosimilars zur Verfügung (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31626995). Es sind die Limitationen der SL zu beachten. Im Einzelfall ist eine Kostenübernahme bei einer schweren Osteoporose (z. B. nach multiplen Wirbelkörperfrakturen) als primäre Therapie zu empfehlen. Ebenfalls kann eine Kostenübernahme in Einzelfällen für die Primärtherapie prä- und postoperativ bei Spondylodese einer osteoporotischen Wirbelsäule (auch ohne Frakturen) sinnvoll sein.

Chondroprotektiva

Chondroprotektiva wirken gering analgetisch und allenfalls funktionsverbessernd (am besten belegt für Gonarthrose); ob sie das Fortschreiten einer Arthrose hemmen können, ist umstritten. Trotzdem sind Präparate von Chondroitinsulfat, nicht aber Glucosamin oder die Kombination der beiden, auf der SL. Aufgrund eines 2019 erstellten HTA wird das BAG die WZW-Kriterien neu überprüfen.

Viscosupplementation

Für die intraartikuläre Behandlung mit Hyaluronsäure und Hylanen ist eine geringe, mit einer Latenz von etwa 1-2 Monaten auftretende schmerzlindernde Wirkung belegt. Die entsprechenden Produkte sind nicht leistungspflichtig. Siehe auch Anhang 1, Pt. 1.3 KLV.

Platelet rich plasma (PRP)

Die wissenschaftliche Datenlage für die Behandlung mit Thrombozyten-angereichertem, eigenem Blutplasma ist noch ungenügend, weshalb die Behandlung keine Pflichtleistung darstellt.

Stosswellentherapie

Bei der Stosswellentherapie werden Impulse mit hoch dosiertem Ultraschall durch einen Schallkopf an oberflächlich gelegene Körperstrukturen übertragen. Eingesetzt wird diese Therapiemodalität bei Sehnenansatzproblemen, vor allem beim Fersenschmerz (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6948318).Die Behandlung ist nicht leistungspflichtig bzw. explizit ausgeschlossen (1.3 Anhang 1 KLV).

Physiotherapie

(Tarifvertrag siehe auch www.physiosuisse.ch).

Ziele:

  • Verbesserung oder Erhaltung der muskuloskelettalen Funktionalität
  • Steigerung der kardio-pulmonalen Belastbarkeit
  • Schmerztherapie
  • ergonomisches Training

Es steht eine Vielzahl verschiedener sich stetig weiterentwickelnder aktiver und passiver Therapiemethoden zur Wahl. Die Methode wird vom Physiotherapeuten entsprechend der ärztlichen Zielsetzung gewählt. Passive Therapien dienen der Lockerung und primären Schmerzbekämpfung und sind als Langzeitmassnahme kaum als wirksam und zweckmässig zu betrachten. Die aktiven Therapien dienen dagegen der Wiederherstellung der Muskelfunktion (Kraftbalance und Belastbarkeit). Das Schwergewicht der therapeutischen Bemühungen liegt im aktiven Bereich. Ausnahmsweise können bei chronischen Schmerzproblemen, wie z.B. bei Fibromyalgie, passive Massnahmen Vorrang haben.

Nur eine ernsthafte Erkrankung oder eine Komplikation rechtfertigt eine Verlängerung der Behandlung über ein bis drei Serien (9 bis 27 Sitzungen) hinaus. Langzeittherapien sind bei neurologischen Krankheitsbildern mit Spastizität und Kontrakturgefahr, bei Multipler Sklerose (MS) oder bei Rheumatoider Arthritis (RA) sinnvoll. Chronische Rückenprobleme bedürfen ausserhalb einer Exazerbationsphase einer Trainingstherapie mit einer Einführungsphase mittels MTT und anschliessend Übergang zu selbstständigem Training.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die PT-Positionen keine Zeittarife sind, sondern den Schweregrad der Krankheit, die Verknüpfung der Pathologien und das Alter der Patienten berücksichtigen. Als komplexe Therapie (Pos. 7311) ist eine HWS- Problematik kombiniert mit PHS und „Tennisellbogen“ zu nennen. Dagegen wird ein Panvertebralsyndrom (BWS- und LWS-Problematik) mit der Position 7301 vergütet. Als Entscheidungsgrundlage gilt die Frage, ob es sich um einen kombinierbaren, sich ergänzenden Therapieansatz oder um zwei verschiedene Therapieansätze handelt. Bei primär komplexen Therapien wie z.B. motorische Entwicklungsprobleme können in der ersten Therapieserie die Pos. 7311, in den evtl. Folgeserien dann die Pos. 7301 verrechnet werden. (Entscheid paritätische Kommission). Langzeittherapien von 1 oder 2 Sitzungen/Woche sind betr. Evidenz kritisch zu hinterfragen. Bei chronischen Problemen dürften einzelne Sitzungsserien (z.B. 3x9/Jahr) als „Therapiestoss“ sinnvoller sein.

Spezielle Therapieformen in der Physiotherapie

Die muskuläre Elektrostimulation (Medicompex) hat meist die Wiederherstellung der Muskelkraft zum Ziel, und die Anwendungsfreudigkeit variiert je nach Schule. Der dazu benötigte Apparat ist in der MiGeL nicht enthalten, somit nicht leistungspflichtig. Allerdings wird diese Behandlung von UVG-Versicherungen oft übernommen. Grosser Vorteil ist, dass die Compliance des Patienten jeweils genau dokumentiert werden kann. Zum Teil erfüllen kombinierte TENS-Geräte auch diesen Zweck. Lymphdrainage setzt eine Lymphpathologie voraus (siehe auch Kapitel Angiologie).

Ergotherapie

Kostenübernahme der Ergotherapie Art. 6.1 KLV. Die Ergotherapie hat sich im Bereich der rheumatoiden Arthritis und der Rehabilitation der Hand etabliert. Bei ersterer wird frühzeitig nach Diagnosestellung das Erhalten der Funktionalität der Hand und bei letzterer deren Stabilisierung bzw. Wiedererlangen angestrebt. Häufig sind individuelle Schienen zur Behandlung notwendig, die Ergotherapeuten selber herstellen können. Die Anpassung von Hilfsmitteln ist eine weitere Domäne der Ergotherapie. Allerdings sind für Orthesen und Prothesen die Orthopädisten zuständig. Ebenso gilt zu beachten, dass viele Hilfsmittel bereits konfektioniert erhältlich und Einzelanfertigungen teilweise wesentlich teurer sind.

Domizilbehandlungen im Sinne von Hausabklärungen werden von der Krankenversicherung für wenige Sitzungen, jedoch nicht für ganze Serien übernommen. Allgemein gilt alleiniges neuropsychologisches Training durch Ergotherapeuten nicht als Pflichtleistung, da dies den Neuropsychologen vorbehalten ist (Art. 11a KLV).

Chiropraktik

Als Indikation für chiropraktische Therapie gelten Beschwerden des Bewegungsapparates, sofern diesen Krankheitswert zukommt (Art. 44 KVV und Art. 4 KLV).

Chiropraktoren gehören zu den universitären Medizinalberufen (Art. 2 MedBG). Sie können selbstständig klinische Untersuchungen und Therapien durchführen sowie Arzneimittel und diagnostische Massnahmen wie Röntgen, Laboranalysen und Physiotherapie verordnen sowie AUF-Zeugnisse ausstellen.

Für prophylaktische oder wachstumsbeeinflussende Therapieformen fehlen wissenschaftliche Wirksamkeitsnachweise. Deshalb sollen solche Therapien nicht als PL übernommen werden.

Dr. med. Adrian Forster, Dr. med. Marcel Weber
Februar 2020

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