Der Vertrauensarzt wird konfrontiert mit Fragen zu neueren Operationstechniken wie interventionell-radiologischen Methoden oder Beckenbodenchirurgie, zur Kostenbeteiligung für Mutterschaftsleistungen und ab der 13. Schwangerschaftswoche für allgemeine Leistungen und Pflegeleistungen bei Krankheit sowie durch die erweiterte Kostenübernahme bei den vorgeburtlichen genetischen Untersuchungen und den fetaltherapeutischen Massnahmen. Die Diskrepanzen zwischen den gesetzlichen Bestimmungen und den fachlichen Empfehlungen zur gynäkologischen Vorsorgeuntersuchung (Zervixabstrich) und zur elektiven Sectio führen oft zu Diskussionen.
Zervixzytologie („PAP-Abstrich“) (Art. 12e Bst b KLV):
Gesuche zur Kostenübernahme für Labienplastiken sind abzulehnen, auch bei Begründung Dyspareunie oder Störung bei sportlicher Aktivität (z.B. Radfahren) (LINK zu PRAC). Bei extremer Asymmetrie oder nach traumatischer Narbenbildungen der Labien kann ausnahmsweise eine Kostenübernahme empfohlen werden. Eine Bilddokumentation sollte mit Rücksicht auf die betroffene Frau nur im Falle eines Wiedererwägungsantrags angefordert werden.
Hymenalspaltungen oder Introituserweiterungen bei kongenitaler Verengung sind äusserst selten medizinisch indiziert. Gesuche zur Kostenübernahme müssen dementsprechend klar begründet werden. Dagegen können narbenbedingte Dyspareunien nach meistens geburtsbedingten Verletzungen Krankheitswert besitzen und eine Kostenübernahme rechtfertigen.
Eine Hospitalisierung ist angezeigt bei Eingriffen mit Resektionen am Myometrium (Septumresektion, Myomektomie, Radiofrequenzablation und Embolisation von Myomen) und bei hysteroskopischer Endometrium-Resektion. In diesen Fällen ist eine stationäre postoperative Überwachung während 24 Stunden wegen der erhöhten Gefahr eines Einschwemmsyndroms und zur Kontrolle postoperativer Schmerzen geboten.
Therapeutisch-laparoskopische Eingriffe mit ausgedehnteren Adhäsiolysen u/o Organ(teil)resektionen oder Laparoskopien wegen Extrauterinschwangerschaften bedürfen einer stationären Betreuung.
Gesuche für Sterilisation nach abgeschlossener Familienplanung, welche z.B. mit Unverträglichkeit oder Kontraindikation eines Ovulationshemmers wegen Venenproblemen begründet werden, sind abzulehnen. Nur krankhafte Zustände, nicht aber Risikofaktoren, begründen eine LP.
Die Refertilisierung stellt in der Regel keine PL dar (siehe Kapitel "Urologie").
Alltagstaugliche Kriterien zur Festlegung einer LP aus den uneinheitlichen Definitionen und Angaben charakteristischer Symptome in der Fachliteratur abzuleiten ist schwierig. Die Messung der Gesamtblutungsmenge (pathologisch > 150 ml) ist nicht realisierbar. Die Frequenz von Tampon-/Bindenwechseln häufiger als z.B. 2stündlich mag trotz Subjektivität ein akzeptabler Indikator sein. Zweckdienlich erscheint es v.a. auch die Feststellung von Koageln im Menstruationsblut gelten zu lassen.
Mirena® IUP mit 52mg Levonorgestrel (SL, Limitatio). Im Gegensatz dazu sind die niedrigdosierten IUP (13.5 mg und 19,5 LNG) keine LP.
Die Behandlung von Blasenstörungen durch Physiotherapeutin oder Hebamme ist PL. In der Regel hat eine Serie à 9 Behandlungen zu genügen. Die Behandlung rechtfertigt in der Regel nicht das Verrechnen einer aufwändigen Sitzung (Pos. 7311).
In der Regel werden Diagnostik und Therapie nach Ausbleiben einer Schwangerschaft nach einem Jahr und bei einer über 35jährigen Frau nach 6 Monaten regelmässigen und ungeschützten Geschlechtsverkehrs eingeleitet. Die Sterilität hat Krankheitswert, deren Behandlung somit PL. Die Diagnostik geht bei der Frau und beim Mann je zu Lasten des eigenen Krankenversicherers.
Die alleinige Beachtung des Alters ist wegen der grossen Variabilität der Abnahme der Fertilität zur Begrenzung der LP nicht zulässig (9C_435/2015 und 9C_878/2015). Zur Entscheidungsfindung hinsichtlich einer Kostenübernahme sind weitere individuelle Kriterien zu berücksichtigen. Die Fertilität wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Hormonelle Parameter vermögen das Geschehen nur unvollständig abzubilden, bieten dafür den Vorteil einer brauchbaren Praktikabilität zur individualisierten Beurteilung. Denkbar ist, dass anstelle der verworfenen Alterslimite die sog. ovarielle Reserve (Anti-Müller-Hormon AMH, u.a.) als zusätzliches Kriterium eingeführt wird (alternativ z.B. die sonographische Dokumentation der Follikelreifung).
Im kritischen Altersbereich über 35 Jahren ist für das AMH ein max. 3 Monate alter Wert von ≥ 0,4 ng/ml zu fordern (cave: verschiedene Angaben in der Literatur 0,4–1,0 ng/ml; zudem unterschiedliche cut-off-Werte der Labors). In der Regel wird im Einzelfall die klinische Situation weitere Abklärungen bzw. das Beiziehen weiterer Parameter angezeigt erscheinen lassen, was hier nicht abschliessend aufgelistet werden kann.
Eine Hospitalisierung im Zusammenhang mit der Durchführung einer IVF ist keine PL. Dagegen ist die Therapie einer Komplikation jeder Art von Sterilitätsbehandlung – unabhängig von der ursprünglichen LP - PL.
Seit 2014 gilt die Bestimmung (Art. 64 Absatz 7 KVG), dass für die von Ärzten und Hebammen nach Art. 29 Absatz 2 KVG erbrachten Leistungen und ab der 13. SSW (d.h. ab 12 0/7 SSW) bis 8 Wochen nach der Geburt auch für allgemeine Leistungen und für Pflegeleistungen bei Krankheit nach Art. 25 und Art. 25a KVG keine Kostenbeteiligung erhoben werden darf. Wegen Unklarheiten bei der Umsetzung dieser Bestimmungen hat das BAG am 16. März 2018 ein Informationsschreiben publiziert.
Für die Risikobeurteilung bestehen keine speziellen Bestimmungen. So wird eine Risikoschwangerschaft nach dem Vorliegen eines oder mehrerer Risikofaktoren mit sehr unterschiedlichem pathogenem Potential definiert:
Bei mit * markierten Begriffen ist von einer pathologischen Schwangerschaft zu sprechen.
Bei therapeutischen Eingriffen am Uterus bei intakter Schwangerschaft (z.B. Cerclage, Eingriffen bei zwingend kontroll- u/o therapiebedürftiger Dysplasie der Zervix, Aufrichtung bei symptomatischer Retroversio uteri) wie auch bei diagnostischen Laparoskopien ist in der Regel eine stationäre Behandlung zu empfehlen.
Unter elektiver Sectio wird an dieser Stelle die geplante Kaiserschnittentbindung auf Wunsch der Schwangeren ohne medizinische Indikation verstanden. Es gibt viele gute Gründe grundsätzlich der vaginalen Geburt den Vorzug zu geben und dafür auch einzustehen.
Unabhängig von der auf weiten Strecken emotional geführten Debatte muss dennoch anerkannt werden, dass die Frage einer Erfüllung der WZW-Kriterien der Geburtsmodi unter Berücksichtigung der Langzeitgesundheit bzw. -morbidität einer Frau in unserem Gesundheitssystem nicht geklärt ist. Was den Vergleich der kurzzeitig anfallenden Kosten betrifft, so dürfen nicht die Kosten einer elektiven Sectio mit den Kosten einer unkomplizierten vaginalen Geburt inkl. der Wochenbettpflege verglichen werden. Es müssen die durchschnittlichen Kosten einer geplanten Sectio, welche auch einmal ungeplant vorzeitig durchgeführt werden muss, mit den durchschnittlichen Kosten der als vaginale Entbindungen geplanten, dann aber infolge einer während des Geburtsprozesses eintretenden Indikation als sekundäre Sectiones (ca. 5–20%, je nach Parität) oder vaginal-operativ beendeten Geburten verglichen werden. Die Infragestellung der Sectioindikation aus Kostengründen steht deshalb auf unsicherem Grund.
Nicht in Frage gestellt werden darf die LP bei einer Resectio. Eine Entbindung bei St.n. Sectio stellt unabhängig vom gewählten Modus immer eine Risikogeburt dar. Für die Entscheidung zum Versuch einer vaginalen Entbindung besteht eine Liste von Voraussetzungen. Die Entscheidungsfreiheit der informierten Schwangeren darf nicht eingeschränkt werden. Es gilt zu bedenken, dass die Wahrscheinlichkeit einer sekundären Resectio je nach Kollektiv bei ca. 20–40% liegt und die Folgen der gefürchteten, glücklicherweise seltenen Uterusruptur für Mutter und Kind gravierend sein können. Die sekundäre (Re-)Sectio ist eindeutig die risikoreichere Operation als die primäre (Re-)Sectio. Die gynécologie suisse unterstützt den vorsichtig geleiteten Versuch zur vaginalen Geburt bei St.n. Sectio, stuft aber diesen Zustand gleichzeitig als relative Indikation zur Resectio ein (https://www.sggg.ch/fuer-frauen/patientinneninformationen/).
Screening auf Trisomien 21, 18 und 13 mittels Ersttrimestertests (ETT) nach entsprechender Information, unter Gewährung des Selbstbestimmungsrechts und unter Einhaltung weiterer Bedingungen als Teil der Schwangerschaftsvorsorge ist PL (Art. 13 KLV). Resultiert aus dem ETT ein Risiko für eine dieser Trisomien von ≥ 1:1000 (z.B. 1:850), so unterliegt auch der nicht-invasive pränatale Test (NIPT) der LP. Es handelt sich dabei um einen „fortgeschrittenen“ Screeningtest und nicht um einen definitiven diagnostischen Test. Mit dieser Technik kann auch nach weiteren Aneuploidien sowie nach strukturellen Chromosomenanomalien gesucht werden (nicht PL).
Zur Bestätigung/Ausschluss eines pathologischen NIPT- Befundes ist eine invasive pränatale Diagnostik indiziert und PL. Numerische Grundlage (cut-off) für weitergehende, d.h. invasive genetische Untersuchungen bildet das Risiko einer 35-jährigen Schwangeren von 1:380 am Termin für eine Trisomie 21 ihres Kindes. Ein Alter der Schwangeren von ≥ 35 Jahren zum Zeitpunkt des errechneten Geburtstermins begründet per se die LP einer invasiven pränatalen Diagnostik.
Als ausgesprochen hilfreiche Orientierungshilfe hat sich das bereits einmal erwähnte Dokument „Informationsschreiben: Leistungen bei Mutterschaft und Kostenbeteiligung“ des BAG vom 16. März 2018 erwiesen (Link).
Hinweis zu den Kontrollen in der Risikoschwangerschaft:
Hinweise:
Hinweise:
Hinweise zu den Indikationen für genetische Abklärungen mittels Karyotypisierung, evtl. ergänzt durch Microarrays (array CGH) oder mittels molekulargenetischer Analyse:
Hinweise zu den Indikationen:
Medikamentöse, transplazentare Behandlungen in der Regel OLU, Kostenübernahme zu empfehlen.
Invasive Interventionen in dafür spezialisierten Zentren, z.B. therapeutische Amniozentese, Laser-Intervention bei Feto-fetalem Transfusionssyndrom, therapeutische Fetozentese, offene oder endoskopische Fetalchirurgie sind PL.
Bei entsprechender Indikation in der Risikoschwangerschaft. Hinweis: Ab Erreichen des Termins, d.h. ab 40 0/7 SSW, beginnt die Überwachung bei Terminüberschreitung. Damit ist ab diesem Zeitpunkt auch bei sonst risikoarmer Schwangerschaft die LP gegeben.
Bei klarer Verletzung der gesetzlichen Auflagen zur Arbeitsplatzsicherheit Schwangerer ist vom betreuenden Arzt ein Arbeitsverbot zulasten des Arbeitsgebers auszusprechen und nicht eine Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen (Art. 35ff ArG). Voraussetzung ist allerdings, dass die Schwangere in einem dem ArG unterstellten Betrieb arbeitet.
Pränatale Diagnostik und Therapie: Mitarbeit PD Dr. med. Siv Fokstuen
September 2019
Dr. med. Gero Drack
Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte
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