Regelmässig steht der Vertrauensarzt (VA) vor der Frage, ob eine medikamentöse Therapie die Voraussetzungen von Art. 71a-c KVV erfülle oder wann ein Leiden schwere und chronische Beeinträchtigungen zur Folge habe. Die Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte SGV will die Interpretationen zu den Kriterien eingrenzen, damit der Zugang für alle Versicherten nach gleichem Massstab erfolgt.Die SGV hat deshalb Empfehlungen verabschiedet, um die Eintrittskriterien in den Art. 71a-c KVV zu präzisieren.
Erst nach Beurteilung der Eintrittskriterien zu Art. 71a-c KVV erfolgt die Nutzenbewertung mit OLUtool.
Antrag | Kriterien im Art. 71a-c KVV | Prüfungen durch VA |
Arzneimittel | Behördliche Zulassung - on/off-Limitation - on/off-Label | Arzneimittel von swissmedic zugelassen oder von einem Land mit gleichwertig anerkanntem Zulassungssystem |
Arzneimittel | Keine andere wirksame und zugelassene Behandlungsmethode / Tödlicher Verlauf möglich / Schwere und chronische gesundheitliche Beeinträchtigung | Empfehlungen zum Eintritt in Art. 71a-c KVV |
Arzneimittel | Grosser erwartbarer therapeutischer Nutzen | OLUtool Onko und NonOnko |
Eine wirksame Behandlungsmethode kann medikamentös oder nicht-medikamentös erfolgen. Meist ist der VA mit Anträgen zu neuen Arzneimitteln konfrontiert, basierend auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie auf anerkannten Therapiestandards. In diesen Fällen ist die Zumutbarkeit der Anwendung im Einzelfall gegenüber einem gelisteten Arzneimittel aus der Spezialitätenliste (SL) zu beurteilen.
mOS/mPFS = medianes OS/PFS (50%) | ORR = Overall Response Rate (Complete + Partial Response) |
HR = Hazard Ratio (gemittelter Punktschätzer-Wert) | QoL = Quality of Life |
sAE = serious Adverse Events (Onko: Grad 3+4) | DFS = Disease Free Survival |
not reached = OS/PFS liegen über 50% der Kaplan-Meier-Kurve → mediane Marke von 50% wird nicht erreicht |
Die SGV erachtet ein Arzneimittel der Spezialitätenliste als nicht mehr zumutbare therapeutische Alternative, wenn die Überlegenheit der neuen Therapie, gemäss vorgenannten Kriterien, so erheblich ist, dass die Behandlung aus medizinischer Sicht nicht mehr lege artis ist.
Der Mangel bei diesem Passus besteht darin, dass der Zeithorizont fehlt. Unbestritten sind Krebsleiden, welche kurz- und mittelfristig zum Tod führen. Unklar wird es bei langen Krankheitsverläufen, oft im NonOnko-Bereich wie z.B. bei Herzinsuffizienz, Leberzirrhose oder bei chronischen Nierenerkrankungen. Dazu braucht es Mortalitätsdaten sowie Daten zur klinischen Patientensituation. Eine Rücksprache mit dem behandelnden Arzt kann hilfreich sein.
Mit der Medikation soll die durchschnittliche Lebenserwartung oder die Lebensqualität in der individuellen klinischen Situation eines Patienten relevant gesteigert werden.
Laut Art. 71a-c KVV wird erwartet, dass ohne Therapie mit der beantragten Medikation die Entwicklung einer schweren und chronischen gesundheitlichen Beeinträchtigung erfolgt.
Zu beachten ist, dass eine schwere und chronische Beeinträchtigung im Fokus steht und nicht eine chronische Krankheit. Der generelle Begriff "Beeinträchtigung" weist vor allem auf Teilaspekte von chronischen Krankheiten hin. So kann ein Funktionsdefizit als Teilaspekt einer Krankheit im Art. 71a-c KVV stehen wie z.B. der Erhalt der Gehfähigkeit bei einem neurologischen Leiden
Unter anderem droht eine schwere und chronische gesundheitliche Beeinträchtigung bei:
Der Umkehrschluss kann ebenso zu Art. 71a-c KVV qualifizieren:
Unterschieden werden die Bereiche Onkologie und Non-Onkologie. Die SGV empfiehlt das von einer Arbeitsgruppe entwickelte und vom Board und Vorstand bejahte Modell OLUtool Onko und OLUtool NonOnko.
![]() | ![]() | OLUtool NonOnko, Version 4.0, Ansicht und download als pdf / Finale Nutzenbewertung im Einzelfall |
![]() | ![]() | OLUtool Onko, Version 4.0, Ansicht und download als pdf / Finale Nutzenbewertung im Einzelfall |
Das OLUtool Onko und NonOnko löst punkto SGV-Empfehlung das frühere 9-Felder-Modell, das MediScore und das OLUtool, Versionen 2.0. sowie 3.2, 3.3 und 3.4 ab. Zur Version 3.4 (2022) wurde ein Skript erstellt, das zur vertieften Auseinandersetzung mit dem OLUtool konzipiert wurde (Link hier). Zu beachten: das Skript bezieht sich einzig auf die Version 3.4, nicht aber auf die aktuell geschaltete Version 4.0. Ein Skript-Update zur Version 4.0 ist geplant.
Beurteilt werden stets Einzelfälle, genauso wie es im Alltag des behandelnden Arztes auch nur individuelle Patienten gibt. Die Modelle ermöglichen im ersten Schritt eine Standardbeurteilung, worauf im zweiten Schritt ein Abgleich mit dem jeweiligen Einzelfall erfolgt. Zeigt der Einzelfall Gründe für ein Abweichen von der Standard-Modellbeurteilung auf, so gehört es zur normalen Aufgabe des Vertrauensarztes, diesen in seiner Beurteilung Rechnung zu tragen (z. B. Pädiatrie).
Die Initiierung und praktische Umsetzung wird von einem Board begleitet. Das Board, das aus Vertrauensärzten besteht, zieht dort Berater und Fachleute bei, wo es sinnvoll erscheint. Eine Begleitung und Evaluation der Umsetzung ist via SGV gewährleistet. Das Board fällt Beschlüsse per Mehrheitsentscheid. Ein Ausschuss bereitet die Themen zu Handen des Boards vor. Administrativ begleitet werden Board und Ausschuss von der Geschäftsstelle.
Die Nutzenbewertungsmodelle sind nicht statisch, sondern sie gehören weiter entwickelt. Die Diskussion soll nicht nur innerhalb der Vertrauensärzteschaft geführt werden. Wir laden die Stakeholder (z. B. Fachgesellschaften, Verbände der Pharma- oder der Spitalindustrie wie der Versicherer, Patientenorganisationen oder andere öffentliche und private Instanzen) dazu ein, Inputs zu Handen des Boards zu geben.
Senden Sie Ihre Vorschläge der Geschäftsstelle vorzugsweise in elektronischer Form zu.
24. März 2023
(Januar 2013/Updates July 13/Sep 15/Jan 17/May 18/Sep 18/Aug 19/Mar 20/Feb 21/Mar 23)
Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte
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