Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

Orthopädie der Gelenke (Schulter, Ellbogen, Hüfte, Knie und Füsse)

A: Allgemeine Bemerkungen

Der klinische Alltag wird durch zwei Fragen bestimmt:

Was tue ich? Das Richtige oder das Falsche? Es geht um die Frage der Indikation. Die Einschätzung der Evidenz aus der Literatur ist das Kerngebiet der Indikationsqualität.

Wie tue ich es? Gut oder schlecht? Es geht um die Frage der Struktur und des Prozesses. Das Falsche kann noch so gut operiert werden, es wird nicht gut oder bestenfalls trotz Eingriff gut.

Ampelkonzept

Es sind die WZW-Kriterien anzuwenden. Hilfreich für eine Entscheidung wäre eine Liste mit Eingriffen, die problemlos durchgewinkt werden können (grün), die bei eindeutig fehlender Evidenz abgelehnt werden sollen (rot) oder die mit zu diskutierender Indikation und unklarer Evidenz eine gereifte Einzelentscheidung erfordern (orange).

Als Faustregel für das Ampelkonzept soll die Erfahrung aus der Literatur gelten:

Grün

Aus ethischen Gründen sind keine randomisierten Studien (Operation versus Nichtoperation) möglich: z.B.: Totalprothese bei schwerer Hüftarthrose, Osteosynthese bei Femurfraktur, arthroskopische Beseitigung einer Knieblockade durch interponierten Meniskus, Quadriceps- oder Patellarsehnenruptur, frische Rotatorenmanschettenruptur mit Pseudoparalyse.

Orange

Indikation diskutabel, Evidenzlage unklar. Grundsätzlich würde die Studienlage die Unterlassung eines Eingriffes rechtfertigen. Die Entscheidung liegt beim Verantwortlichen. Zumeist sind es elektive Eingriffe, bei welchen die Indikation zur Operation i.a. nicht dringlich gestellt werden muss und konservative Massnahmen ebenfalls erfolgreich sein können. Daraus folgt, dass weniger invasive Therapien unbedingt Vortritt haben sollen (wzw). Die Beurteilung des Verlaufsprofils erlaubt die Reifung der Indikation. Der Leistungserbringer muss grundsätzlich den Nutzennachweis aus der Literatur vorlegen. Beispiele: distale Radiusfraktur, Calcaneusfraktur, Achillessehnenruptur, Rotatorenmanschettenschaden ohne Manschetteninsuffizienz, Meniskusschaden mit anhaltender spezifischer Symptomatologie.

Rot

Fehlender Nutzennachweis: z.B. OSG-Bandruptur, Knie-Innenband- oder Kreuzbandruptur (ebenso die Reoperation nach Transplantatversagen), acromio-claviculäre Sprengung Grad I-III. Abweichungen müssen mit guten Argumenten zwischen dem Leistungserbringer und dem VA ausdiskutiert werden.

Der künftige Fortschritt in der Medizin liegt auch im Weglassen des Unnötigen. Dem VA kommt die Aufgabe zu, sich zu den Indikationen aus fachlicher und methodischer Sicht kompetent zu äussern. Stets hat der Intervenierende den Nutzennachweis zu erbringen, nicht der VA den fehlenden.

Denkschulen in der Orthopädie

Die mechanistische Denkschule basiert auf einer mechanistisch angedachten Hypothese auf den Grundlagen von Ursache und Wirkung (Pathogenese). Da in der Orthopädie viele Winkel und Längen gemessen werden können, erscheinen die Wirkungshypothesen zunächst auch einleuchtend. Durch eine Winkelkorrektur mittels Osteotomie soll das Problem behoben oder durch den Sehnenersatz soll ein gelockertes Gelenk stabilisiert werden. Die Heilung beginne kurz nach und wegen des Eingriffes, ähnlich einer verbesserten Situation, wenn beim Auto der Keilriemen ersetzt worden ist. Die Prognose wird durch das chirurgische Handeln bestimmt. Die Heilung wird als Umkehr der Ursache-Wirkungs-Hypothese verstanden.

Die biologische Denkschule basiert auf der Erkenntnis, dass die Natur jeden Tag versucht, ein neues gesundheitliches Gleichgewicht herzustellen. Die Heilung beginnt im Moment der Krankwerdung oder des Unfallereignisses. Ein operativer Eingriff ist so lange eine zusätzliche Körperschädigung, bis der methodisch saubere Nachweis gelungen ist, dass er dem natürlichen Heilungsverlauf überlegen ist. Das Denken richtet sich nach der biologischen Antwort und möchte den Nutzen auch aus den Studien mit patientenrelevanten Endpunkten ablesen können. Die Prognose wird in erster Linie durch den Schweregrad der Schädigung, aber auch durch die Kräfte der Salutogenese bestimmt.

UVG (Art. 6, Abs. 2)

Die UVG-Revision 2017 hat die Ärzteschaft in die Pflicht genommen, die Qualität der Dokumentation markant zu verbessern, um den Versicherern eine bestmögliche Grundlage zu liefern, über den Schadenmechanismus und die Kausalität entscheiden zu können. Ein (sinnfälliges) Ereignis muss nicht mehr angegeben werden, es genügt die Nennung der Listendiagnose. Neu muss der Versicherer durch die Beweislastumkehr bei Vorliegen einer Listendiagnose den Nachweis erbringen, dass es sich „vorwiegend“ um eine degenerative oder krankhafte Manifestation handelt, wenn er sich aus der Leistungspflicht befreien will. Somit braucht es für eine versicherungsmedizinische Beurteilung Aufschluss über die Anamnese mit den Patientenmerkmalen (Disposition) und Expositionen (in Beruf und Freizeit), über den genauen Schadensmechanismus und das Schadensbild selbst, das sich aus einer funktionellen (Fähigkeitsbeurteilung) und einer morphologischen Komponente (klinisch und radiologisch) zusammensetzt. Sind diese Beurteilungsgrundlagen vorliegend, lässt sich leichter abwägen, ob der Schadensmechanismus in der Lage gewesen ist, das Schadensbild zu erzeugen.

Das Wort „vorwiegend“ degenerativ oder krankhaft sollte dabei so verstanden werden, dass das auslösende Moment (früher: sinnfälliges Ereignis) in weniger als 50% zum unerwünschten Ereignis führt. Als Beispiel diene der 60-jährige Seniorenfussballer, welcher seit Jahren immer wieder vom rechten Flügel Flanken schlägt und dann eines Tages bei gleicher Belastung plötzlich Knieschmerzen verspürt. Würde der gleiche Auslöser in über 50% zum unerwünschten Ereignis führen, wären die Kriterien der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erfüllt, es bestünde «vorwiegend» keine Erkrankung oder Degeneration.

Eine Orientierungsmöglichkeit bei Meniskusproblemen bildet der bezüglich klinischer Relevanz validierte „Knie-Trauma-Check“. Er orientiert sich einerseits mit der angegebenen Schnittstelle zwischen Unfall und Erkrankung an der Entscheidungspraxis vor 2017, anderseits hat er sich bereits in der ersten Probephase als nützlich erwiesen, um die degenerative Komponente plausibel zu machen (Link Dubs et al, SAEZ).

Eine analoge Entscheidungsgrundlage wäre auch für Rotatorenmanschetten-Schädigungen wünschenswert.

Dokumentation

Die Einschätzung der Dokumentationsqualität muss Bestandteil der Aktenbeurteilung sein. Damit schützt sich der VA vor ungerechtfertigten Einwänden, seine Beurteilung sei unvollständig und habe keine Beweiskraft, wenn die vorgelegte Dokumentation mangelhaft ist.

Gutachter und VA sind oft mit einer ungenügenden Dokumentation wesentlicher anamnestischer Angaben und klinischer Befunde konfrontiert. Leistungserbringer denken im Alltag weniger an spätere versicherungsmedizinische Abklärungen und fühlen sich auf der sicheren Seite, wenn technische Untersuchungen vorhanden sind. Diesbezügliche Defizite entstehen unbewusst (vernachlässigte Sorgfaltspflicht) oder bewusst (Tarifrelevanz).

Fazit: Die UVG-Revision hat eine Beweislastumkehr gebracht. Der Versicherer muss nachweisen, dass es sich vorwiegend um eine Degeneration oder Erkrankung handelt. Dies setzt voraus, dass der Leistungserbringer die entsprechende Dokumentation über die Vorgeschichte und die Angaben über degenerative Veränderungen liefert.

B: Gelenkregionen

1. Schulter und AC-Gelenk

Eine schmerzhafte Schulter wurde früher mit der Diagnose «Periarthritis humeroscapularis» versehen und in der Regel konservativ behandelt. Seit Jahren bemüht man sich um eine anatomisch präzisere Lokalisation der Pathologie. So entstand der Begriff des Impingement-Syndroms mit seinem schmerzhaften Bogen im Abduktionsintervall von 60 bis 110° als Zeichen eines subacromialen Klemmphänomens. Eine Schädigung in der Sehnenplatte der Schulterblattmuskulatur mit unterschiedlichem Ausmass der „Riss“-Grösse etablierte sich als Standardursache. Das Impingement per se ist aber keine Diagnose! Analog zum Meniskusproblem am Knie entstand eine Kausalitätsdiskussion, wenn ein Sturz als schmerzauslösendes Ereignis angegeben werden konnte. Mit altersentsprechend zunehmendem Vorkommen von asymptomatischen partiellen oder transmuralen Defekten sollte der Begriff der Sehnenveränderungen und bei schmerzhaften Schultern derjenige einer Sehnenschädigung verwendet werden (ICD-Klassifikation M75).

Von einer Rotatorenmanschettenruptur sollte streng genommen nur gesprochen werden, wenn es unfallbedingt zu einem nachgewiesenen frischen Riss der Sehnenplatte gekommen ist (ICD S46). Letztere gilt als Listendiagnose und tritt gemäss Neer nur in ca. 5% der Rotatorendefekte auf. Traumamechanisch braucht es dazu eine heftige exzentrische Belastung wie bei einer Schulterluxation. Ein direkter kontusioneller Sturz auf die Schulter kann keine frische Rotatorenmanschettenruptur auslösen (Literatur: Ludolph et al: Kursbuch der ärztlichen Begutachtung, 2016, www.ecomed-storck-de). Bei Kausalitätsgutachten kann zumeist weder ein Unfall noch eine vorbestehende Abnützung weggedacht werden. So gilt es, durch sorgfältiges Abwägung den Schadensmechanismus und die früheren Expositionen (Over Head Tätigkeiten) in ein möglichst ausgewogenes Verhältnis zum funktionellen und morphologischen Schadensbild zu bringen. (Beikert et al, Zusammenfassung Artikel "Begutachtung des Rotaroenmanschettenschadens der Schulter nach Arbeitsunfällen).

Operation oder konservativ – Timing

Ampel grün für eine Sehnenreinsertion, wenn bei vorgängig guter Schulterfunktion durch ein Ereignis das Bild einer Pseudoparalyse entstanden ist und der Patient innert Wochenfrist den Arm bei freier passiver Beweglichkeit nicht mehr aktiv über 40° nach vorne anheben kann. Radiologisch liegt zumeist ein Humeruskopfhochstand bis zum subacromialen Kontakt vor. Ähnliches gilt, wenn wegen einer nach vorne luxierten Bizepssehne im Zusammenhang mit einer vorderen Sehnenschädigung des Subscapularis die Schulter relevant schmerzhaft störend bleibt.

Bei den übrigen Fällen mit Rotatorenmanschettenschäden kann zunächst auf orange gestellt werden. Das Verlaufsprofil unter Physiotherapie gibt Aufschluss über den spontanen Heilungsverlauf und die kompensatorische muskuläre Rehabilitierbarkeit.

Andere Ursachen von impingementartigen Schulterschmerzen:

  • Tendinitis calcarea (selbstlimitierend, meist ohne passive Einschränkung)
  • Capsulitis retractiva (selbstlimitierend, i.d.R. Einschränkung der passive Beweglichkeit, frozen shoulder)
  • AC-Gelenk-Symptomatik (oberer painful arc 90°-120° Abduktion, Adduktionsschmerz und Druckschmerz über AC-Gelenk, rasches Verschwinden nach i.a. LA-Injektion)
  • Beginnende Omarthrose glenohumeral (Beweglichkeitseinschränkung aktiv und passiv)

Man staunt oftmals über den günstigen Spontanverlauf von Schulterschmerzen, auch beeinflusst durch den spontanen Mehrgebrauch der Gegenseite. Die verbesserte Zuordnung der Schädigungslokalisation und die Entwicklung der arthroskopischen Technik haben einem neuen operativen Interventionismus die Tür geöffnet.

Tendinitis und frozen shoulder sind selbstlimitierende Krankheiten, welche spontan innert 6-12 Monaten verschwinden, in hartnäckigen Fällen kann es 2 Jahre dauern.

Bei der Tendinitis calcarea erlaubt die konventionelle radiologische Kontrolle eine Aussage über die Kalkdynamik. Scharf begrenzte, ovaläre, homogene Verkalkungen weisen auf einen Ruhezustand hin. Jegliche Veränderung der Kalkstruktur kann ein Ansatz zur Selbstauflösung sein, meist einhergehend mit verstärktem Schmerzschub. In dieser Phase kann therapeutisch alles gemacht werden: es kommt so oder so gut. Subacromiale Steroidinfiltrationen können ausreichend sein, bevor invasive Massnahmen diskutiert werden.

Bei der frozen-shoulder hängt der Zwang zu therapeutischen Massnahmen vom Leidensdruck und vom Ausmass der Behinderung ab. Es gibt Stimmen, die eine Physiotherapie als kontraproduktiv, andere als nutzbringend erachten. Innerhalb einer vernünftigen Zeit von 6-12 Wochen Physiotherapie sollte es möglich sein, die Ansprechbarkeit (WZW) einzuschätzen. «Rabiatere» Methoden sind die geschlossene und arthroskopische Schultermobilisation in Narkose.

Fazit: Es besteht bei Schulterproblemen nur in seltenen Fällen eine dringliche Operationsindikation.

Schulterluxation

Die Indikation zur routinemässigen operativen Stabilisierung postprimär nach Reposition ist umstritten. Verschiedene Faktoren beeinflussen das Reluxationsrisiko: z.B. Schweregrad der luxationsspezifischen Schädigung, konstitutionelle Bandlaxität. Solange die Chancen intakt sind, ohne Operation beschwerdefrei aktiv kompensieren zu können und ein bedarfsgerechter, verzögerter Eingriff sich nicht gross vom Aufwand eines Primäreingriffs unterscheidet, sollte ein primär konservatives Vorgehen der Standard sein. Wiederum davon ausgehend, dass der Schweregrad der Schädigung die Prognose erheblich bestimmt, ist auch bei Frühoperierten mit späteren Funktionseinschränkungen zu rechnen.

Bei chronischen Instabilitäten entscheiden wiederum die Fähigkeitsverluste im angepassten schädigungsbedingten Bereich mit Berücksichtigung der Berufs- und Alltagsanforderungen. Hinsichtlich Wiedererlangung der ursprünglichen Sportfähigkeiten, speziell bei Wurfsportarten, sind die Erwartungen an das Resultat mit zurückhaltender Vorsicht zu formulieren. Ampel zunächst sicher auf orange.

Fazit: Es besteht bei Schulterluxationen nur bei nicht reponierbaren Luxationen, meistens im Zusammenhang mit subkapitalen Frakturen, eine dringliche Operationsindikation. Je nach Verlaufsprofil kann unter Prüfung der weniger invasiven Therapiemassnahmen eine elektive Operationsindikation reifen.

AC-Luxation

Es werden nach Tossy-Rockwood fünf Schweregrade unterschieden: Grad I: Bänder intakt, Grad II: nur AC-Bänder relevant gerissen (dorsoventrale Verschieblichkeit im AC-Gelenk), Grad III –V: Ruptur der coraco-claviculären Bänder, d.h. der Schultergürtel senkt sich ab (Klaviertastenphänomen). Die Schweregrade I-III können konservativ behandelt werden. Es gibt keine Vergleichsstudien mit dem sauberen Nutzennachweis durch die Operation. Mit der Zeit verschwindet die allenfalls kosmetisch störende Buckelbildung über dem lateralen Clavicula-Ende weitestgehend von selbst. Bei stark störenden Restschmerzen im ehemaligen Sprengungsgebiet hat man immer noch eine Rückzugsvariante durch die laterale Clavicularesektion um 2 cm, nicht nur bei Unfallfolgen, sondern auch bei therapieresistenter AC-Arthrose.

Fazit: AC-Luxation Grad I-III rechtfertigt in der Regel keine Operation.

2. Hüftgelenk

Die Diskussionen rund ums Hüftgelenk sind seit den letzten zwei Jahrzehnten durch die Hypothesen der primären Hüftarthrose-Entstehung geprägt. Unter dem Begriff des femoroacetabulären Impingements (FAI) hat sich die operative Frühbehandlung morphologischer Veränderungen am Hüftgelenk, sei es offen durch die chirurgische Hüftluxation, sei es durch die arthroskopische Technik, einen festen Platz gesichert. Unterteilt wird in ein Cam-Impingement (Femurdeformität) und ein Pincer-Impingement (Pfannenrandschädigung), was auch in Kombination vorkommen kann. Durch die präzise Messung von Röntgen- und MRI-Bildern sind gewissen reaktiven Veränderungen prognoserelevante Pathologien zugeteilt worden, welche durch Bremsklotzwirkung das Klemmen und dadurch die Entstehung der Hüftarthrose begünstigen würden. Unter solchen Prämissen wären diese mechanisch störenden Gewebsanteile zu beseitigen.

Kritisch betrachtet sagt dieses spannende pathogenetische Modell nichts über die Ätiologie aus. Zudem gibt es symptomlose Träger von morphologischen Merkmalen, symptomatische ohne diese Merkmale. Bislang werden die Operationsresultate in Fallseriestudien untersucht, ein Vergleichskollektiv ohne Operation fehlt. Das Konzept lebt immer noch von der Hypothese. Zudem könnte die postoperative Entlastung als solche einen schmerzlindernden Effekt zeigen, wie dies bei den Osteotomien der unteren Extremität mutmasslich auch mitspielt. Die Ampel ist somit auf orange zu stellen: es sind kongruente anamnestische, klinische und bildgebende Angaben aus der Krankengeschichte zu fordern. Die Entfernung eines eindeutig devitalisierten und klar klemmenden Knorpellappens des Hüftkopfes dürfte eher sinnvoll sein als eine aufwändige Knorpelzelltransplantation oder eine Osteophytenabtragung (Bump am Schenkelhals) bei einer eingeschränkten Innenrotation, die eine Tätigkeit als Unihockeytorhüter einschränkt.

Fazit: Die Evidenzlage erlaubt noch nicht, die operative Behandlung des FAI als Ursachenbehandlung anzusehen.

3. Kniegelenk

Alle rekonstruktiven Eingriffe an Knorpel (Microfracturing, AMIC, Mosaikplastik), Meniskus (CMI bzw. kollagene Meniskusimplantate, Allograft) und an Bändern (DIS, autologe oder homologe Sehnentransplantate) zeigen in der Literatur keine überzeugende Evidenz einer Überlegenheit gegenüber dem natürlichen Verlauf. Die Vergleichsstudien befassen sich zumeist mit dem Vergleich von zwei verschiedenen Operationstechniken oder verschiedenen Ersatzmaterialien und kommen dann zum Schluss, dass beide Vorgehensweisen gleichwertig gut seien. Beide Methoden können ebenso im Vergleich zur Nichtoperation gleich schlecht sein. Es werden Register aufgebaut, welche ein verlässliches Abbild über die Behandlungsresultate geben sollen. Dabei werden leider nur die Operierten erfasst, was eine vergleichende Beurteilung der Erkrankten mit und ohne Operation verunmöglicht.

Fazit: Die Resultate nach oben genannten Operationsmethoden sind bis heute dem natürlichen Verlauf nicht überlegen.

Meniskuschirurgie

Um eine plausible Indikation zur Meniskuschirurgie belegen zu können, muss der Einzelfall möglichst klinisch meniskusspezifisch dokumentiert sein (z.B. Torsionsempfindlichkeit, umschriebener Gelenkspaltschmerz, episodenhafter Verlauf).

Traumatisch oder degenerativ?

Das unkritisch verwendete Wort eines „Risses“ des Meniskus präjudiziert eine Traumarelevanz. Gemäss den Erkenntnissen von Ludolph handelt es sich bei einem isolierten Meniskusschaden in der Regel um eine relevante Vordegeneration, die eher in der peripheren Meniskusaufhängung beginnt. Da der Meniskus zum Ausweichen neigt, kann er nur als sekundärer Stabilisator anerkannt werden, so dass für die Traumarelevanz obligat Begleitschäden an den primär direkt betroffenen benachbarten Bandstrukturen und/oder schwerere Bone bruises als Zeichen der Kontusion nachgewiesen sein müssen.

Eine plötzliche Schmerzentstehung entspricht einem Ereignis, was aber noch lange nicht heisst, dass sich ein Unfall ereignet hat. Ein plötzlich aufgetretener Schmerz kann wie bei einem Herzinfarkt Ausdruck einer akuten Erkrankung bei vorbestehender, bisher asymptomatischer Schädigung sein.

Eine semantische Herausforderung

Gemäss Ludolph ist zu unterscheiden zwischen Meniskusveränderung (asymptomatisch), Meniskusschädigungen (symptomatisch) und Meniskusriss (frische Unfallfolge). In der Regel ist dem Meniskus im MRI oder bei der Arthroskopie nicht verbindlich anzusehen, ob es sich tatsächlich um eine frische Ruptur handelt. Man sollte sich auf den Begriff einer Signalveränderung oder Kontinuitätsunterbrechung beschränken. Das Vorliegen einer Meniskusschädigung liegt viel häufiger vor als ein Meniskusriss. Wenn nun offensichtlich eine Meniskusschädigung (ICD-10-Klassifikation M23) vorliegt, handelt es sich nicht um eine Listendiagnose. Bei den Listendiagnosen heisst es: Meniskusriss (entspricht ICD-Code S83.2). Es gilt also lediglich, den richtigen ICD-Stempel aufzudrücken, um sich einer bemühenden semantischen Diskussion zu entziehen.

Fazit: Die Meniskusteilresektion wird weiterhin ihren Platz behalten. Die Indikation hängt von einer Kongruenz der anamnestischen, klinischen und bildgebenden Befunde ab, die der behandelnde Arzt vorlegen muss.

Meniskusnaht und Meniskusersatz

Im Wissen um die Bedeutung einer Vorschädigung vor einer akuten Kontinuitätsunterbrechung des Meniskus, muss auch die Literatur über den Nutzen von Meniskusnähten von Interesse sein. Wenn man davon ausgeht, dass das geschädigte Meniskusgewebe von verminderter biologischer Resistenz sein müsste, könnte man allenfalls die Wirkungsdauer einer Meniskusrefixation (Anker oder Naht) von den Ermüdungseigenschaften der implantierten Materialien abhängig machen, da man nicht mit einer definitiven Einheilung rechnen kann. Die Frage sei auch erlaubt, ob diejenigen Nähte (meist in der frischen Verletzungsphase), die zu einer Einheilung geführt haben, auch ohne Naht hätten einheilen können. Die Literatur zeigt in den wenigen Vergleichsstudien keinen schlüssigen Nutzennachweis, da immer eine Patientenselektion im Spiel ist.

Unter einem Meniskusersatz versteht man das Einbringen eines Kollagenimplantates (CMI) als Platzhalter oder den eigentlichen Ersatz mit Meniskusallograft. Beiden Prozeduren ist eigen, dass sie unter einer mechanistischen Denkweise entstanden sind und dass vor der Implantation in der Regel der Restmeniskus entfernt werden muss. Nur schon diese Massnahme allein könnte für die Schmerzverringerung verantwortlich sein! Eine randomisierte Studie mit dem Vergleich einer erweiterten Teilmeniskusentfernung mit CMI versus ohne CMI existiert nicht, wäre aber ethisch vertretbar.

Verdonk hat sich mit dem Einsatz des Meniskusallografts beschäftigt und kommt zum Schluss, dass bei guter Patientenauswahl (!) im Durchschnitt eine Zeitverzögerung von 17 Jahren von der Meniskusimplantation bis zum Einsetzen eines Kniekunstgelenkes erreicht werden kann. Wer sich gewohnt ist, dass in einer nicht ausgewählten Population die Latenz nach Teilmeniskusentfernung in der Grössenordnung von zwei bis vier Jahrzehnten liegen kann, wird Mühe haben, diese Indikation zu unterstützen. Verdonk räumt auch ein, dass die Studien nicht von ausreichender Qualität seien.

Fazit: Der wissenschaftliche Nutzennachweis bei der Meniskusnaht und beim Meniskusersatz fehlt bis heute.

Der Knorpelersatz

Seit Jahrzehnten bemüht sich die „orthobiologische“ Forschung, Knorpelschädigungen rekonstruktiv wieder rückgängig zu machen. Von der Transplantation von Knorpel-Knochenzylindern (Mosaikplastik) über die autologe Chondrocytentransplantation ( ACT) und die Abdeckelungen (AMIC) bis zum Microfracturing sind verschiedene Grade der Invasivität erprobt worden. Die meisten Studien sind Fallserien ohne Nutzennachweis. Typischerweise befassen sich die Vergleichsstudien mit verschiedenen Operationstechniken und nicht mit dem Vergleich zur Natural History oder zum einfachen Debridement instabiler Knorpellamellen. Am konsistentesten kann die randomisierte Studie von Knutsen et al. (Link Pubmed) angeführt werden, welcher die Patienten 14 Jahre nach Microfracturing oder autologer Chondrocytentransplantation nachuntersucht hat. Er scheint am Ast zu sägen, auf dem er sitzt und kommt im Originalton zur Schlussfolgerung.: „Despite developments and enthusiasm from both industry and surgeons, the evidence that these techniques are really improvements is lacking…. Perhaps we need to realize that the progress since that time regarding clinical results is not so impressive….Our findings raise serious concerns regarding the efficacy of these procedures in delaying osteoarthritis and preventing further surgery“.

Fazit: Der wissenschaftliche Nutzennachweis fehlt bis heute.

Der vordere Kreuzbandersatz

Die entsprechende Literatur enttäuscht mit einer Serie von Biases. Die Hypothese einer notwendigen Reparatur („Rekonstruktion“), um eine Arthrose zu verhindern, ist von mechanistischer Denkweise geprägt. Nur ein stabilisiertes Knie könne ein gutes Resultat sein. Gegenhypothesen unter biologischer Denkweise haben einen schweren Stand. Eine solche geht davon aus, dass die gemessene Stabilität kein patientenrelevanter Endpunkt, sondern ein Surrogat darstellt. Klinimetrisch für den Patienten entscheidend sind die (Sport-)Fähigkeiten, welche in der Kniechirurgie nur lupenrein in der Tegner-Skala (1-10) abgebildet werden können. Man kann ohne weiteres auf die gemischten Scores verzichten, welche durch die Endpunktvermischung das Potenzial der Selbsttäuschung (Score-Bias) in sich bergen (IKDC, KOOS, Lysholm). Nimmt man sich nun alle Studien der Literatur vor, welche den Tegnerwert vor dem Unfall (und nicht vor der Operation!) zum Ausgangswert nehmen und dann den Wert beim Follow-up gegenüberstellen, so bekommt man immer dasselbe Bild, ob operiert oder nicht: Durch das Ereignis verliert der betroffene im Durchschnitt 1,2 Punkte.(Link Vortrag Dubs 2018) Im Wissen um den natürlichen physiologischen Fähigkeitsverlust von einem Punkt in 20 Jahren kann der Geschädigte auch damit rechnen, dass er nach 30-40 Jahren nicht unbedingt ein Kunstgelenk bekommen muss.

Fazit: Es gibt keinen Nutzennachweis und somit keine absolute Indikation für den (sofortigen) VKB-Ersatz. Eine konservative Therapie über mindestens 9-12 Monate kann vorangestellt werden, um die Erholung der propriozeptiven Schutzfunktionen zu beurteilen, die eine verbindlichere Auskunft über die subjektiv empfundene Stabilität bringen als die instrumentelle oder manuelle Messung.

Die in den letzten Jahren vor allem industriell propagierte Dynamische intraligamentäre Stabilisation (DIS) innerhalb von drei Wochen ab VKB-Ruptur hat wieder neue Hoffnungen geweckt. Bei dieser strengen positiven Selektion des Patientengutes (quasi isolierte VKB-Ruptur ohne Begleitschädigungen in der Peripherie) muss die konservative Behandlung als Komparator zur Anwendung kommen. Im Herbst 2018 hat ein Kohortenvergleich (Krismer et al "Regeneration of the anterior cruciate ligament: Dynamic intraligamentary stabilization compared to regeneration in the natural course") mit Pseudo-Matching und Selektions-Bias gezeigt, dass sich die Resultate zwischen operativer und konservativer Behandlung nicht unterscheiden und bei allen operierten Fällen nach einem Jahr im MRI keine durchgehenden Fasern erkennbar waren. Die Erkenntnis, dass gute Resultate bei fehlendem Nachweis von funktionstüchtigen Fasern im MRI nach einem Jahr entstanden sind, zeigt einmal mehr, dass in der Orthopädie gute Resultate trotz des Eingriffs entstehen können.

Fazit: DIS ist konsequenterweise mit Ampel rot zu versehen.

Sehnenrupturen am Streckapparat

Bei Funktionsausfall der Quadriceps- oder Patellarsehne Ampel auf grün. Partielle Quadricepssehnenrupturen mit gut erhaltener Funktion Ampel auf orange.

Patellaluxationen

Sie müssen nicht primär operiert werden, also Ampel auf orange. Der heutige Trend fokussiert sich auf verschiedene morphologische Merkmale des Femoropatellargelenkes, was gerne zur Auslegung einer Dysplasie führt. Mit aufwendigen Stabilisierungsoperationen durch Erhöhung der lateralen Trochlea oder Vertiefung der Grube (Trochleaplastik) wird dann versucht, die „Norm“ wiederherzustellen. Wiederum: gute Hypothesen, der Patientennutzen ist (noch) nicht gesichert. Gegen die Insuffizienz des medialen Hilfsstreckapparates werden heute gerne Tenodesen empfohlen. Vorgängig müssten allerdings etliche Monate mit erfolgloser aktiver Physiotherapie über die Bühne gegangen sein. Sollte unter solchen Belastungen das Knie immer wieder anschwellen, wäre zunächst von einer femoropatellaren Knorpelschädigung auszugehen, was arthroskopisch Säuberungspotenzial hätte, um die Voraussetzungen für die muskuläre Rehabilitation zu verbessern. Verlagerungen an der Tuberositas tibiae sollten heute eigentlich der Vergangenheit angehören, die Langzeitfolgen auf das femorotibiale Gelenk und die Beinachsen sind ausreichend bekannt.

Fazit: es gibt keine absolute Indikation für ein primär operatives Vorgehen.

Gonarthrose

Der Begriff Arthrose ist sehr schlecht definiert. Die einen sprechen von einer Arthrose, wenn eine Knorpelschädigung dargestellt werden kann, andere, wenn ein Gelenk weh tut oder wenn der Schweregrad der spezifischen klinischen Manifestation mit dem Schweregrad der chondralen Abnützung in der Bildgebung korreliert und mit dem Verlust von körperlicher Leistungsfähigkeit ausreichend plausibel verbunden ist. Hinzu gehört obligat auch die klinische Beurteilung der Hüftbeweglichkeit. Leider sind solche Angaben nur selten in den orthopädischen Krankengeschichten enthalten und es kommt demnach auch vor, dass am Knie operiert wird, der Knieschmerz aber wegen der Hüftarthrose unterhalten wird.

Was die operative Seite betrifft, darf man sich in Erinnerung rufen, dass die Resultate umso besser werden, je besser die Indikation ist. Nichtinvasive Massnahmen sollen vorher ausprobiert werden. Nach einem Kunstgelenkersatz gibt es keinen Weg zum Gelenkerhalt zurück.

Allgemein darf gelten, dass eine operative Veränderung einer vorliegenden Morphologie (z.B. durch Korrekturosteotomien) erst dann begründet werden kann, wenn sie sich asymmetrisch präsentiert. Wenn die „Deformität“ auf der Gegenseite gleichermassen in Erscheinung tritt und asymptomatisch ist, ist die Indikation zur Korrektur kritisch zu hinterfragen. Patienten mit Restschmerzen nach medialer Teilmeniskusentfernung sollen keine valgisierende Achskorrektur bekommen, wenn auf der Gegenseite eine symmetrische Beinachse besteht. Der Weg in die Eskalation ist vorgespurt.

Fussoperationen

Sprunggelenksbänder

primäre Bandnaht am OSG: Ampel auf rot.

Wenn das Sprunggelenk länger synovial gereizt bleibt und intraartikuläre Hindernisse im Sinn von devitalisiertem und funktionslosem Gewebe schädigungsgerecht störend imponieren, hat eine arthroskopische Säuberung einen guten Stellenwert, speziell wenn eine intraartikuläre Cortisoninstillation das Problem nicht hat lösen können. Eine sekundäre Bandersatzoperation kann unter Umständen indiziert sein, wenn eine mindestens dreimonatige Physiotherapie mit Schulung der propriozeptiven Schutzfunktionen oder ein Taping als ungenügend betrachtet werden muss.

Achillessehne

Mittlerweile gibt es mehrere Systematic Reviews und Meta-Analysen, welche die operative Behandlung der konservativen Therapie gegenüberstellt. Oft sind die angeführten Studien nicht vergleichbar und methodisch nicht von gewünschter Qualität, so dass eine Meta-Analyse aus «Sand kein Gold machen kann». Die Rerupturrate ist der wichtigste Endpunkt. Die Unterschiede zwischen konservativ und operativ betragen zwischen 2 und 10% zugunsten der Operation. Das heisst, man muss 10-50 Patienten operieren, um eine Reruptur zu vermeiden.

Fazit: Eine konservative Therapie bringt nahezu gleiche Ergebnisse.

Rück- und Vorfussoperationen

Sie sind in der Regel Wahleingriffe und werden wegen Schmerzen durchgeführt. Die Diagnose eines Knick-Senkfusses oder eines Hallux valgus bezeichnet für sich allein noch keine Krankheit. Wie so oft, hängt eine Operationsindikation nicht von den Winkelsurrogaten ab. Es finden sich alternative Heilverfahren (Spiraldynamik, manuelle Triggerpunkttherapien, Schuhanpassungen). Der Nachweis von schmerzhaften Hyperkeratosen weist auf eine fokale Thematik hin.

Fazit: Bei Wahleingriffen am Fuss ist orange dominierend.

Frakturversorgung am Fuss

Umstrittene Operationsindikationen: Calcaneusfraktur, stabile Malleolarfrakturen Typ A und B, Mittelfuss- und Zehenfrakturen.

Fazit: Dieses Manualkapitel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es steht unter dem Fokus, was operiert werden muss, im Gegensatz zu dem, was operiert werden kann. Zwischen «kann» und «muss» liegen Welten, auch bei deren Behandlungs- und Folgekosten. Es soll aber jedermann offenbleiben, die Gültigkeit seiner Hypothese durch methodisch sauberen Nutzennachweis in geeigneten Studien mit patientengerechten Endpunkten zu belegen.

Dr. med. Luzi Dubs
Dezember 2018

Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

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