Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

SGV Manual

Geriatrische Akutrehabilitation (GAR): Wann und für welche Dauer ist sie die richtige akut-stationäre Behandlungsform?

Autor: Dr. med. Thomas Münzer

August 2020/reviewed November 2022/November 2023

Reviewer: Dr. med. Ursula Schafroth

Kriterien der geriatrischen Akutrehabilitation (GAR)

Oberstes Behandlungsprinzip der Geriatrie ist die Rückkehr in die vorbestehende Wohnform. Die GAR ist die Zusammenfassung von stationär erbrachten interprofessionellen Leistungen bei einer Patientin oder einem Patienten. Dafür müssen gemäss CHOP Katalog bestimmte Kriterien erfüllt werden:

Akutspitalbedürftigkeit

Übergeordnetes, interprofessionell festgelegtes Behandlungsziel

Alltagsrelevante Einschränkung im Rahmen von mindestens drei der folgenden geriatrischen Bereiche/Syndrome:

  • Kognition beispielsweise auch akutes/abklingendes Delirium
  • Mobilität, Sturzgefahr, Schwindel
  • Kontinenz (Stuhl oder Urin)
  • Ernährung (Mangelernährung) und Sarkopnie, Gebrechlichkeit
  • Depression, Angststörung
  • Seh- oder Hörstörung
  • Polypharmazie (mehr als 5 Medikamente)
  • Chronische Schmerzen
  • Psychosoziale Problematik

Eine Modifikation der Kriterien oder Interpretationshilfen (Auslegungshinweise) werden regelmässig vom BAG über Rundschreiben für Kodierer publiziert.

Wie viele Therapieeinheiten sind die Regel?

Die Zahl der Therapieeinheiten deren Dauer und die involvierten Therapieformen sind als Mindestmerkmale zur Erfüllung der Prozedur vorgegeben. Die GAR wird von Ärztinnen oder Ärzten geleitet, die den FMH Allgemeine Innere Medizin und den Schwerpunkt Geriatrie erreicht haben (Behandlungsanleitung). Alle Patientinnen und Patienten in der GAR werden regelmässig im Team besprochen. Die Besprechungen sind nachweisbar dokumentiert. Zudem muss eine Mindestzahl von zehn Therapien/Woche erreicht werden. Derzeit akzeptierte Therapieformen sind: 

A) Physiotherapie/Physikalische Therapie

B) Ergotherapie

C) Logopädie/fazioorale Therapie und/oder Ernährungsberatung/Ernährungstherapie

D) (Neuro)psychologie/ärztliche Psychotherapie

Acht Therapieeinheiten pro Woche müssen als Einzeltherapie durchgeführt werden.

Wie lange dauert eine GAR?

Die Prozedur wird im CHOP Katalog formal unterteilt in Behandlungstage, die Abstufung erfolgt in: bis 6 Tage, 7-13 Tage, 14-20 Tage und 21 oder mehr Behandlungstage. Die Dauer der Behandlungen hängt vom klinischen Verlauf und der funktionellen Verbesserung der Patientinnen oder Patienten ab.

Die Aufenthaltsdauer hängt nicht ausschliesslich vom Fortschritt in den Therapien, sondern auch von sehr vielen individuellen und unvorhersehbaren Faktoren ab. So kann ein viraler Infekt bei einer Person ein schweres Delirium triggern, was eine geplante Entlassung verzögert, weil das Delir die Funktion stark beeinflusst. Trotzdem muss die Therapie weiterlaufen, um dem drohenden funktionellen Defizit entgegen zu wirken. Auch können akute Ereignisse (beispielsweise ein akuter Gichtschub), die bei einer älteren Person ohne funktionellen Einbussen problemlos toleriert werden, bei geriatrischen Patienten verheerende Effekte haben.

In der Geriatrie gilt das Prinzip: nicht länger als nötig. In der Regel liegen die GAR Dauern innerhalb der mittleren Verweildauer der jeweiligen Prozedur (14 Tage). Derzeit erachten wir in den meisten Fällen Aufenthaltsdauern rund um 14 Tage als zweckmässig Aufgrund des unterschiedlichen Ansprechens auf die Therapie kann es zu Verzögerungen kommen, die aus klinischer Sicht zu begründen sind.

Bestimmte Krankheitsbilder die für oder gegen eine GAR sprechen?

Da die GAR als Prozedur auf die Wiederherstellung und Erhaltung der Funktion (Ziel Rückkehr in die bisherige Wohnform ohne funktionelle Einbusse) darstellt, können Patientinnen und Patienten mit allen Krankheiten oder nach unterschiedlichen operativen Eingriffen, die zu einer funktionellen Einbusse führen, von der GAR profitieren. Entscheidend ist hierbei, dass die Einbusse und die Funktionsverbesserung nachvollziehbar dokumentiert werden.

Wer Profitiert nicht von der GAR?

Status: Kriterien/FaktorenSituation vor HospitalisationGeriatrie
Sehr fit: Aktive, robuste Person, keinerlei funktionelle Einschränkungen, körperlich sehr aktivLebt autonom, keine geriatrietypische Multimorbiditätnein
Gut: Keine Polymorbidität oder aktive Krankheitssymptome, ist körperlich fit und aktiv, lebt autonom.Keine Einschränkungen in der Selbsthilfekompetenz, kaum oder minime, aber nicht alltagsrelevante Einschränkungen in einzelnen Bereichen, keine geriatrietypische Multimorbiditätnein
Weitgehend unabhängig: Gut kontrollierte Symptome trotz Polymorbidität, selbständig, gute Mobilität, geht noch spazieren. Kann Leben selbständig und ohne Fremdhilfe bewältigen. Eingeschränkte Selbsthilfekompetenz, geringe alltagsrelevante Einschränkungen in einzelnen Bereichen mit geriatrietypischer Multimorbiditätja
Weitgehend abhängig: Körperliche Beschwerden und Symptome verhindern normale AktivitätenBraucht gewisse Hilfe, fühlt sich müde, leicht erschöpft. Deutliche alltagsrelevante Einschränkungen mit geriatrietypischer Multimorbiditätja
Gebrechlich: Sehr langsam, braucht eventuell schon Spitex, schlecht kontrollierte Symptome, StürzeBenötigen Hilfe bei Dingen wie: Finanzen, Transport, Einkaufen, Medikamenten, Mahlzeitenzubereitung, Starke alltagsrelevante Einschränkung mit geriatrietypischer Multimorbiditätja

Ist die GAR wirksam?

Personen, die von Geriaterinnen oder Geriatern betreut wurden, haben weniger Dekubiti, weniger Stürze und eine geringere Delirhäufigkeit. Generell verkürzt Geriatrie den Aufenthalt und bringt mehr Menschen wieder nach Hause. Mehr Menschen leben nach einem Jahr noch zuhause und weniger Personen werden in ein Pflegeheim entlassen, weil sie pflegebedürftig sind. Daten aus Deutschland belegen eindrücklich, dass die 30-Tage Mortalität um 22% sinkt, wenn auf einer Orthopädischen Abteilung Geriatrie im Sinne eines Co-Managements angeboten wurde. Hier stieg allerdings die Aufenthaltsdauer um rund 5 Tage. Allerdings konnte auch gezeigt werden, dass die Zahl der Re-Hospitalisationen sinkt, wenn gebrechliche Patientinnen und Patienten in einer Akutgeriatrie waren. 

Begründungen für eine Pflegeheimbedürftigkeit nach einer GAR

  1. Der Pflegeaufwand nach Spitalentlassung kann durch ambulante Pflegeleistungen nicht gewährleistet werden.
  2. Das Behandlungsziel konnte aus Gründen des individuellen nicht in allen Punkten vorhersehbaren Verlaufes nicht erreicht werden.

In 70-80% der Fälle (eigene Zahlen) wird das Ziel Rückkehr nach Hause mit der GAR erreicht.

Wann ist eine geriatrische Rehabilitation nach einer GAR sinnvoll (Liste nicht abschliessend)?

IndikationBegründung
Zerebrovaskulärer Insult mit messbaren und dokumentierten Fortschritten/neurologischer Verbesserung im Rahmen der GAR (Barthel, Schlucken, Arm-Handfunktion, Kontinenz etc.)Das Ziel Rückkehr in die bisherige Wohnform ist mit weiterführender Rehabilitation realisierbar
Konservativ behandelte Frakturen (Schambein, Sacrum, Humerus) mit verzögertem messbaren und dokumentierten Verbesserung in der Mobilität und SchmerzenDas Ziel Rückkehr in die bisherige Wohnform ist mit weiterführender Rehabilitation realisierbar
Operativ versorgte Frakturen mit initialer Teilbelastung (sofern einhaltbar)Operativ versorgte Frakturen mit initialer Teilbelastung (sofern einhaltbar)
Während der Hospitalisation auftretendes akutes Ereignis (Pneumonie, Sepsis, kardiale Dekompensation oder ähnlich)Zusätzliches Ereignis verzögert Therapieeffekte, Reha ermöglicht ursprüngliches Behandlungsziel
Re-Operation, Aufenthalt auf Intensiv-oder ÜberwachungsstationZusätzliches Ereignis verzögert Therapieeffekte, Reha ermöglicht ursprüngliches Behandlungsziel
Abklingendes DeliriumEin akutes Delirium verzögert die Therapieeffekte, Reha ermöglicht ursprüngliches Behandlungsziel

Patientinnen und Patienten, bei denen nach Abschluss der Akutphase nachweislich Rehabilitationspotenzial besteht und die klinisch für eine weiterführende Rehabilitation stabil genug sind werden in der Regel angemeldet. Voraussetzung hierfür ist auch, dass die Person kreislaufstabil und entsprechend zusätzlich belastbar ist. Personen mit Weglauftendenz eignen sich meist nicht für Rehabilitationskliniken.

Literaturquelle:

Rapp K, Becker C, Todd C, Rothenbacher D, Schulz C, König HH, Liener U, Hartwig E, Büchele G:

The association between orthogeriatric co-management and mortality following hip fracture—an observational study of 58 000 patients from 828 hospitals. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 53–9. DOI: 10.3238/arztebl.2020.0053

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