Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

SGV Manual

Wann ist in der Schwangerschaft zur Diagnose einer monogenen Erkankung eine Untersuchung mittels Hochdurchsatzsequenzierung indiziert?

Autor: Prof. Dr. med. Isabel Filges

Oktober 2022

Reviewer: Dr. med. Ursula Schafroth

Hintergrund:

Hochdurchsatzsequenzierungen (HTS) (= Begriff in der Analysenliste; in der klinischen Praxis auch next generation sequencing, Panel-/Exomsequenzierung genannt) werden heute zunehmend auch in der Schwangerschaft nach unauffälligem Microarray durchgeführt, da die Diagnose einer genetischen Grunderkrankung

  • eine bessere Aussage zur Prognose erlaubt als der Ultraschall allein,
  • das Management der Schwangerschaft und Entscheidungen zur perinatalen Versorgung beeinflusst,
  • eine präzisere Information für mögliche Entscheidungen für oder gegen eine vorzeitige Beendigung der Schwangerschaft liefert.

Eine monogene Erkrankung wird durch eine einzelne Veränderung (=Mutation oder pathogene Variante) in der DNA-Sequenz eines einzelnen Gens verursacht. Mehrere oder viele verschiedene monogene Erkrankungen können jedoch ein identisches klinisches Symptombild haben. HTS erlaubt gleichzeitig viele Gene zu sequenzieren, sodass die eine ursächliche Variante und damit Diagnose identifiziert werden kann.

Eine erhöhte Nackentransparenz und/oder anderweitige fetale Anomalien im pränatalen Ultraschall stellen eine Risikoerhöhung für monogene Erkrankungen dar, insbesondere, wenn keine Chromosomenstörung als Ursache nachgewiesen wurde.

Die zusätzliche Diagnoserate für eine monogene Erkrankung mit HTS liegt nach gegenwärtiger Kenntnis im Mittel bei etwa 30%. HTS sind aufwändige Untersuchungen. Das Abwarten von Zusagen von Kostengutspracheanträgen ist in der klinischen Praxis nicht möglich, wenn ein Ergebnis der Untersuchung möglichst noch vor der 24.Schwangerschaftswoche vorliegen soll. Gleichzeitig muss die Qualität des Ultraschalls, die klinische Indikationsstellung und genetische Beratung der Patientin gesichert werden, um die Aussagekraft der Untersuchung zu maximieren und/oder unnötige Untersuchungen oder schädliche Folgen zu vermeiden.

Gemäss KLV, Art 13d besteht die Indikation für eine invasive Diagnostik (Chorionbiopsie, Amniozentese)…..»bei Schwangeren, bei denen aufgrund des Ultraschallbefundes, der Familienanamnese oder aus einem anderen Grund ein Risiko von 1:380 oder höher besteht, dass beim Fötus eine ausschliesslich genetisch bedingte Erkrankung vorliegt….“

Dieses Risiko ist u.a. dann gegeben, wenn im Ultraschall fetale Anomalien nachgewiesen werden. Gemäss AL wird daher eine Microarray-Untersuchung (6107.35) unter folgender Limitation vergütet: „Limitation….. d. erhöhte Nackentransparenz (> 95. Perzentile) oder anderweitige fetale Ultraschallanomalien nach Ausschluss der klassischen Trisomien an fetalem Material….“

Die Einordnung der gemessenen fetalen Nackentransparenz in mm ist abhängig vom Schwangerschaftsalter (Aussagekraft normiert auf das 1.Trimenon in der 11+0 bis 13+6 SSW, entspricht 12.-14.SSW) und von der gleichzeitig gemessen fetalen Scheitel-Steiss-Länge. Eine Erhöhung, und damit Vergleichbarkeit, wird daher durch Perzentilenwerte (Erhöhung >P95) angegeben (wie z.B. auch bei der Einordnung der kindlichen Körpermasse in der Pädiatrie) und ist für ein Kostengutsprachegesuch ausreichend.

Aufgrund folgender Voraussetzungen ist eine Kostenübernahme der pränatalen HTS zweckmässig und sollte im Sinne der Patientin unter entsprechenden Bedingungen vorausgesetzt werden:

  1. Bei erhöhter Nackentransparenz und/oder anderweitigen fetalen Ultraschallanomalien und nach Ausschluss von Chromosomenstörungen durch einen chromosomalen Microarray (CMA) mittels diagnostischer Punktion, sehen die einschlägigen internationalen Fachgesellschaften (ACMG, ISPD, SMFM) die Indikation zur HTS für monogene Erkrankungen gegeben.
  2. Ein erhöhtes Risiko im Ersttrimestertest (ausser bei erhöhter NT) oder im NIPT sind keine primäre Indikation zur HTS (jedoch zur Untersuchung von Chromosomenstörungen).
  3. Review und Metaanalysen zeigen eine zusätzliche Diagnoserate von im Mittel 30% bei erhöhter Nackentransparenz und/oder anderweitigen fetalen Ultraschallanomalien. Beispiele spezifische Diagnoseraten: erhöhte NT 2-4%, erhöhte NT+ andere Anomalie 26%, Hydrops 25%, Multiple/Multisystem-Anomalien 31%, Skelettanomalien >50%, Neuromuskuläre Anomalien/Fetale Akinesie 37%, gastrointestinale Anomalien 4-8%, ZNS Anomalien 17%, Herzfehler 11%, Anomalien der Nieren und des Urogenitaltrakts 9%, echogene Nieren 72%, IUWR 4%, Omphalozele (auch als „klein“ bezeichnet, 2%. Speziell bei der Omphalozele (aber auch anderen Indikationen z.B. auch bei IUWR) können zusätzliche genetische Untersuchungen gleichzeitig oder im Verlauf indiziert sein. Genetische Mechanismen wie z.B. epigenetische/Methylierung beim Beckwith-Wiedemann-Syndrom (Omphalozele) können durch HTS nicht untersucht werden.Alle genannten Diagnoseraten liegen neben der gegebenen Indikation einer Ultraschallanomalie zusätzlich deutlich über dem Risiko von 1:380, das im KLV Art 13d verlangt wird.
  4. Zur Abrechnung können die entsprechenden AL-Positionen (Hochdurchsatzsequenzierung) zur Analyse verwendet werden, in der Regel > 100 Gene.
  5. Voraussetzung: Ultraschall durch Fachärzte und Fachärztinnen in Gynäkologie und Geburtshilfe, die für den „erweiterten Ultraschall „im Perinatalzentrum““ gemäss SGUMGG qualifizieren (Liste SGUMGG website: https://www.sgumgg.ch/site/images/Documents/Kurseleiter_Tutoren/Tutoren_Kursleiterliste_web_041121.pdf) sowie Indikation und Verordnung der Analysen und genetische Beratung nur durch Ärzte mit eidgenössischem Weiterbildungstitel "Medizinische Genetik"

Relevante Literatur:

International Society for Prenatal Diagnosis Updated Position Statement on the use of genome-wide sequencing for prenatal diagnosis. Van den Veyver IB, Chandler N, Wilkins-Haug LE, Wapner RJ, Chitty LS, ISPD Board of Directors. Prenat Diagn. 2022;42:796-803.

Diagnostic yield of exome sequencing for prenatal diagnosis of fetal structural anomalies: A systematic review and meta-analysis. Mellis R, Oprych K, Scotchman E, Hill M, Chitty LS.Prenat Diagn. 2022 Feb 15. doi: 10.1002/pd.6115. Online ahead of print.

Monaghan KG, Leach NT, Pekarek D, Prasad P, Rose NC; ACMG Professional Practice and Guidelines Committee. The use of fetal exome sequencing in prenatal diagnosis: a points to consider document of the American College of Medical Genetics and Genomics (ACMG). Genet Med. 2020 Apr;22(4):675-680. doi: 10.1038/s41436-019-0731-7. Epub 2020 Jan 8. PMID: 31911674.

International Society for Prenatal Diagnosis; Society for Maternal and Fetal Medicine; Perinatal Quality Foundation. Joint Position Statement from the International Society for Prenatal Diagnosis (ISPD), the Society for Maternal Fetal Medicine (SMFM), and the Perinatal Quality Foundation (PQF) on the use of genome-wide sequencing for fetal diagnosis. Prenat Diagn. 2018 Jan;38(1):6-9. doi: 10.1002/pd.5195. PMID: 29315690.

Reviewed SGV/SGMG AG 29.09.2022

Isabel Filges, 02.10.2022

Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

Fragen, Anregungen

Haben Sie Fragen, Bemerkungen oder Anregungen zur Gestaltung unserer Homepage?

Teilen Sie uns das doch bitte mit und kontaktieren Sie unsere Geschäftsstelle.

Geschäftsstelle

SGV
c/o MBC Markus Bonelli Consulting
Rudolf Diesel-Strasse 5
8404 Winterthur

Tel. 052 226 06 03
Fax 052 226 06 04

Email info@vertrauensaerzte.ch