Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

SGV Manual

Liposuction bei Lipödem: wann ist Leistungspflicht der Krankenkasse gegeben?

Autor: Dr. med. Daniel Münch (FMH Chirurgie), Dr. med. Sandra Friedli (FMH Angiologie)

November 2023

Namens der Manualgruppe, Reviewer: Dr. med. Peter Eggenberger

Einleitung: Definition, Klinik, Stadien

Definition des Krankheitsbildes

  • Chronische Schmerzen (> 6 Mon.) bei disproportionaler Lipohypertrophie im Bereich der Extremitäten (meist der Beine, seltener der Arme)
  • Chronische Erkrankung mit familiär gehäuftem Auftreten
  • Fast ausschliesslich Frauen betroffen, Prävalenz unklar (bis 10% der weiblichen Population)
  • Beginn in Phasen hormoneller Umstellung (Pubertät/Gravidität/Klimakterium)
  • Bei > 50% der Betroffenen in Europa besteht eine Adipositas als Komorbidität
  • 80% der Patientinnen zeigen hohe psychische Belastung (ICD-10-F-Diagnose) vor der Diagnosestellung "Lipödem"

Klinische Merkmale zur differentialdiagnostischen Abklärung

 LipödemLipohypertrophieAdipositasLymphödem
Fettvermehrung+++++++++(+)
Disproportion++++++(+)+
Ödem++φ(+)+++
Druckschmerz+++φφφ
Hämatomneigung+++(+)φφ
Symbolerklärung: + bis +++: vorhanden; (+): möglich; φ: nicht vorhanden

In welche Stadien wird das Lipödem eingeteilt?

Stadium I (ICD: E88.20)Haut glatt, Subkutis verdickt, weich, feinknotige Fettstruktur
Stadium II (ICD: E88.21)Haut uneben, grobknotige Fettstruktur
Stadium III (ICD: E88.22)derbes Bindegewebe, deformierende Fettlappen

Die Einteilung in Stadien ist rein deskriptiv.

Therapie:

A) rein konservativ:

  • Komplexe physikalische Entstauungstherapie bestehend aus mind. 5 Säulen: man. Lymphdrainage (MLD), angepasste Kompressionsversorgung, Bewegungstherapie, Hautpflege, Patientenschulung, psychol. Betreuung, Ernährungsberatung/Coaching).
  • Gewichtskontrolle/-reduktion: eine Zunahme der Adipositas verschlechtert das Lipödem und oft nimmt durch den Jojo-Effekt nach initialer Gewichtsreduktion das Fettgewebe an den Extremitäten (insbes. der unteren Extremität) zu; medikamentöse Massnahmen zur Gewichtsreduktion.

B) Konservativ betreffend Lipohyperplasie:

  • Obige Massnahmen jedoch in Kombination mit einer bariatrischen OP oder medikamentöser Behandlung (GLP-1 Analogon) bei höhergradiger Adipositas (°II/III WHO) ohne primäre Liposuktion (diese kann aber im Verlauf sehr wohl sinnvoll sein).

C) chirurgisch:

  • Liposuktion des hyperplastischen schmerzhaften Fettgewebes, insbesondere bei normalgewichtigen bis übergewichtigen PatientInnen (Adipositas I° WHO).
  • Bei starken Schmerzen, die trotz konsequenter konservativer Therapie bestehen bleiben.
  • Ziel: längerfristige Schmerzfreiheit, verbesserte Lebensqualität.

Was sollte im Kostengutsprachegesuch für eine Liposuction dokumentiert sein?

Anamnese - subjektivBeschwerden (Charakter, Intensität, zeitlicher Verlauf), sportliche Aktivitäten, Gewichtsverlauf
Befunde - objektivGrösse, Gewicht, BMI, WHR (Waist-Hip-Ratio), ev. WTR (Waist-Heigh-Ratio), Volumenmessung (oder Berechnung) der Extremitäten – alternativ ev. standardisierte Umfangmessung, Fotos (vorne/seitlich/hinten, ganzer Körper, hängende Arme streng seitlich, neutraler Hintergrund)

Welche Kriterien sind Voraussetzung für eine positive Kostengutsprache einer Liposuction?

Kriterien, die für eine positive Kostengutsprache zwingend erfüllt sein sollten.

 

 

Siehe hierzu auch KLV Anhang 1 

Link zu Anhang 1 KLV

  • Hauptkriterium: Schmerzen spontan (dumpf, drückend, ziehend, stechend), im Tagesverlauf zunehmend. Es besteht (gemäss aktuellem Wissensstand) keine Korrelation zwischen Schmerzen und Stadium bzw. Gewicht!
  • Disproportionale, symmetrische Fettgewebsvermehrung an den Beinen (in 30% Arme mitbetroffen), seltener an den Hüften/Gesäss, nicht am Bauch.
  • BMI < 35 (falls BMI > 35: sollte in erster Linie die Behandlung der Adipositas in Betracht gezogen werden).
  • Wenn Schmerzen auf konservative Therapie (KPE) von mind. 12 Monaten Dauer nicht ansprechen; die MLD steht gemäss aktuellen Erkenntnissen eher im Hintergrund und ist in der Regel nicht wöchentlich erforderlich. MLD ohne Kompression ist generell obsolet. Ziel: Initiierungsphase; dann Erhaltungsphase.
  • Kostengutsprachegesuch durch 2 unabhängige Fachärzte (interdisziplinär), die nachweislich über eine grosse Erfahrung mit Lipödempatientinnen verfügen (FA Angiologie, FA Dermatologie, FA Chirurgie mit Nachweis einer gewissen Anzahl an Liposuktionen).
  • Entscheid unabhängig vom Stadium (nicht Stadium III abwarten).
Kriterien, die für eine positive Kostengutsprache nicht zwingend vorliegen müssen
  • Neigung zu Hämatomen
  • Orthostatische Ödeme
  • Hautirritationen an den Oberschenkel-Innenseiten
  • Fehlstellungen der Beine/Einschränkungen beim Gehen
  • Psychische Probleme

Welche Kriterien schliessen eine Kostengutsprache aus?

Adipositas (insbesondere BMI 35 und mehr)
  • kein Druckschmerz, keine Disproportion, keine Hämatomneigung
  • Fettvermehrung gleichmässig und stammbetont
  • Zunächst medikamentöse / operative Massnahmen zur Gewichtsreduktion
Lymphödem
  • In der Regel schmerzlos, oft einseitig
  • Hände und Füsse mitbetroffen, Stemmerzeichen positiv
kosmetische Indikation
  • störende Fettpolster im Sinne von Figurproblemen

Fakten zur Liposuction

OperateurFacharzt einer chirurgischen Disziplin mit profundem Wissen in der Technik der Liposuction.
AnästhesieLokalanästhesie mit Prämedikation/Sedation (mehr Sicherheit, Patient kann sich selber ideal positionieren, daher optimaler OP-Zugang, sofortige Mobilisation); Vollnarkose nur in Ausnahmefällen.
ambulant/stationärIn der Regel ambulant, wenn Betreuung durch Angehörige 24-48h und keine relevanten Co-Morbiditäten. Stationär in Ausnahmefällen.
Technik

Geeignete Techniken:

  • Wasserstrahl-assistierte Liposuction WAL
  • Vibrations-assistierte Liposuktion VAL
Anzahl EingriffeIndividuell variabel; je nach Lipödem-Stadium, Körpergewicht, Alter, Begleiterkrankungen, Anzahl der Zonen (1-4 Eingriffe).
AbrechnungTarmed
Ziele
  • nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität
  • Schmerzfreiheit oder zumindest weitgehende Schmerzfreiheit
  • Verbesserung der Proportionen und der Beweglichkeit, Motivation zur Gewichtsreduktion
  • Reduktion konservativer Therapien, dadurch Kostenreduktion
  • Prophylaxe von Folgekrankheiten (an Gelenk, Haut)

Literatur

  • Münch D (2017) Wasserstrahlassistierte Liposuction zur Therapie des Lipödems. J Aesthet Chir 10:71-78.
  • Rapprich S, Baum S, Kaak I et al (2015) Therapie des Lipödems mittels Liposuction im Rahmen eines umfassenden Behandlungskonzeptes. Phlebologie 3:121-134.
  • Sattler G (2002) Liposuction in Lipoedema. Ann Dermatol Venerol 129:1S103.
  • Schmeller W, Hueppe M, Meier-Vollrath I (2011) Tumescent liposuction in lipoedema yields good long-term results. Brit J Dermatol 166:161-168.
  • Bertsch (2020) Consensus Document vol.29 J Wound Care
  • Baumgartner, Hüppe, Schmeller LymphForsch 19 (1) 2015

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