Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

40 Medizinische Prävention

Update, 3. Auflage, Dezember 08

Rechtliche Grundlagen

KV

Prävention wird nach gängigen wissenschaftlichen Definitionen als Krankheitsverhütung verstanden. Prävention im Sinne einer generellen Vermeidung eines schlechteren Zustandes umfasst alle zielgerichteten Massnahmen und Aktivitäten, die eine bestimmte gesundheitliche Schädigung verhindern, weniger wahrscheinlich machen oder verzögern. Primärprävention wird meist auf ganze Populationen angewandt, in denen mögliche Träger von Risikofaktoren vorkommen. Die entsprechenden Programme oder Leistungen werden meist vom Staat übernommen. Sekundärprävention wird auf eine Zielgruppe mit hoher Prävalenz von Risikofaktoren angewandt. Ein Teil dieser Präventionsmassnahmen wird von den Krankenversicherern übernommen. Tertiärprävention zielt darauf ab, Rückfälle oder Rezidive bestehender Erkrankungen zu vermeiden. Diese Massnahmen betreffen Personen, die zuvor erkrankt waren, und werden als Behandlung aus der Grundversicherung übernommen. Die individuelle ärztlich-medizinische Prävention zählt gemäss KVG (Art. 26) zu den Pflichtleistungen aus der Grundversicherung auch wenn kein Verdacht auf eine Erkrankung besteht Viele kleine präventivmedizinische Interventionen wie z.B. Blutdruckmessungen oder Beratungen werden als selbstverständliche gute klinische Praxis betrachtet und verstehen sich nicht als präventivmedizinische Leistungen, welche gemäss Art. 26 KVG abgegolten werden.

KVG

Art. 26 KVG, Art. 33 Abs. 2 KVG

KLV

Art. 12 – 12e KLV

UV

Keine besonderen Bestimmungen.

Nicht medizinische Prävention vgl. Hinten, 30.4.

IV

Keine besonderen Bestimmungen.

Impfungen werden von der IV grundsätzlich nicht übernommen, auch wenn diese einen "therapeutischen" Charakter haben.

MV

Art. 62 MVG

Keine besonderen Bestimmungen.

Gerichtsurteile

Das eidgenössische Versicherungsgericht hat sich wiederholt zur Abgrenzung von medizinischen Massnahmen gemäss Art. 25 KVG zur medizinischen Prävention im Sinne von Art. 26 KVG geäussert:

  • K 55/05
  • Die diagnostischen Massnahmen gemäss Art. 25 Abs. 1 KVG unterscheiden sich von den Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten im Sinne von Art 26 Abs. 1 KVG dadurch, dass Erstere stets im Zusammenhang mit der Untersuchung oder Behandlung einer manifesten Erkrankung oder eines konkreten Krankheitsverdachtes stehen. Für diagnostische Massnahmen besteht daher im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung eine Leistungspflicht nur dann, wenn das versicherte Risiko (Gesundheitsstörung) entweder bereits eingetreten ist oder mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit einzutreten droht. Demgegenüber haben präventive Massnahmen zur Früherkennung von Krankheiten zum Ziel, ein gesundheitliches Risiko aufzudecken, bevor es eintritt oder einzutreten droht. Sie sind deshalb von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung unabhängig vom Vorliegen einer Krankheit oder eines Krankheitsverdachtes zu übernehmen.
  • In casu sollte abgeklärt werden, ob bei der Versicherten ausser dem Protein S-Mangel ein weiterer hereditärer und genetischer Risikofaktor für die Entstehung von Thrombosen vorliegt oder nicht. Die streitige genetische Untersuchung erfolgte unabhängig von einer bereits eingetretenen Krankheit oder einem konkreten Krankheitsverdacht. Sie hatte einzig zum Zweck, die Existenz eines erhöhten Thromboserisikos aufzudecken. Demgemäss handelt es sich nicht um eine diagnostische Massnahme, sondern um eine Untersuchung zur Früherkennung des mit der Thrombophilie verbundenen gesundheitlichen Risikos. Mangels Aufnahme dieser Untersuchung als Präventivmassnahme in die entsprechende Positivliste des Art. 12 KLV besteht hiefür im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung keine Leistungspflicht.
  • K 23/04
  • Sperma-Kryokonservierung im Falle des an Morbus Hodgkin erkrankten Versicherten ist keine Massnahme zur Behandlung einer sekundären Krankheitsfolge. Es trifft zwar zu, dass die Beseitigung sekundärer krankheitsbedingter Beeinträchtigungen therapeutischen Charakter hat und grundsätzlich ebenfalls Krankheitsbehandlung im Sinne von Art. 25 Abs. 1 KVG darstellt; indessen setzte eine Übernahme unter diesem Titel voraus, dass die Sterilität bereits vorliegt, was beim Beschwerdeführer noch nicht der Fall ist. Wird bloss die Behandlung möglicher zukünftiger Krankheitsfolgen vorweggenommen, liegt wiederum eine nur im Rahmen des Art. 26 KVG von der Grundversicherung zu tragende Massnahme der Prävention vor.
  • BGE 107 V 101 (altrechtlich, aber nach wie vor gültig)
  • Die Pflichtleistungen umfassen nicht nur Massnahmen, die der Beseitigung körperlicher oder psychischer Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes dienen. Es gehören dazu auch Vorkehren, mit welchen der Eintritt eines drohenden Gesundheitsschadens oder die Verschlimmerung eines bestehenden Leidens verhindert werden soll. Voraussetzung ist, dass bereits ein krankhafter Zustand vorliegt. Keine Leistungspflicht besteht bei rein vorsorglichen Massnahmen, die im Hinblick auf eine bloss mögliche künftige Schädigung durchgeführt werden. Dementsprechend gilt beispielsweise die Appendektomie zwar auch dann als Pflichtleistung, wenn wiederholte Blinddarmreizungen (oder allenfalls auch die blosse Verdachtsdiagnose auf solche) eine Operation als medizinisch indiziert erscheinen lassen, aber nicht wenn die Operation rein vorsorglich, etwa im Hinblick auf einen Aufenthalt in einer Gegend ohne gesicherte medizinische Versorgung, durchgeführt wird.

Insbesondere: Präventionsmassnahmen gemäss Art. 12 – 12e KLV

Die vergütungspflichtigen ärztlich durchgeführten oder angeordneten Massnahmen sind abschliessend in Art. 12 – 12e KLV aufgelistet. Es handelt sich also um eine Positivliste, welche nur eine beschränkte Anzahl medizinischer Präventionsmassnahmen in den Leistungskatalog aufgenommen hat (vgl. hierzu auch den oben erwähnten K 23/04).

  • Untersuchung des Gesundheitszustandes und der normalen Entwicklung von Kindern im Vorschulalter. Total acht Untersuchungen;
  • Gynäkologische Vorsorgeuntersuchung: Die ersten beiden Untersuchungen inklusive Krebsabstrich sind im Jahresintervall und danach alle drei Jahre vorgesehen. Dies gilt bei normalen Befunden. Ansonsten werden die Untersuchungsintervalle nach klinischem Ermessen indiziert;
  • HIV-Test bei Neugeborenen HIV-positiver Mütter und bei Personen, die einer Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind, verbunden mit einem Beratungsgespräch, das dokumentiert werden muss;
  • Kolonoskopie bei familiärem Kolonkarzinom, wenn im ersten Verwandtschaftsgrad mindestens drei Personen befallen sind oder wenn eine Person vor dem 30. Altersjahr befallen ist;
  • Untersuchung der Haut bei familiär erhöhtem Melanomrisiko;
  • Diagnostische Mammographie bei einem Mammakarzinom bei der Mutter, Tochter oder Schwester oder nach klinischem Ermessen (bis zu einer präventiven Untersuchung pro Jahr);
  • * Mammographie-Screening: Ab dem 50. Altersjahr alle zwei Jahre im Rahmen eines Programms zur Früherkennung von Brustkrebses gemäss der Verordnung vom 23. Juni 1999. Die Leistungspflicht der Krankenversicherung für Mammographie-Screening im Rahmen von kantonalen Programmen war bis Ende 2007 befristet. Diese Regelung wurde um zwei Jahre bis Ende 2009 verlängert. Auf dieser Leistung wird keine Franchise erhoben;
  • Vitamin-K-Prophylaxe bei Neugeborenen (3 Dosen);
  • Vitamin-D-Gabe zur Rachitisprophylaxe während des ersten Lebensjahres;
  • In-vitro-Muskelkontraktur-Test zur Erkennung einer Prädisposition für maligne Hyperthermie bei Personen nach einem Anästhesiezwischenfall mit Verdacht auf maligne Hyperthermie und bei Blutsverwandten ersten Grades von Personen, bei denen eine maligne Hyperthermie unter Anästhesie bekannt ist und eine Prädisposition für maligne Hyperthermie dokumentiert ist;
  • Genetische Beratung: Die Indikationsstellung gilt für genetische Untersuchungen und dem Veranlassen der dazugehörigen Laboranalysen gemäss Analysenliste (AL) bei Verdacht auf das Vorliegen einer Prädisposition für eine familiäre Krebskrankheit bei Angehörigen ersten Grades von Patienten und Patientinnen mit hereditärem Brust- oder Ovarialkrebssyndrom, Polyposis Coli, hereditärem Coloncarcinom-Syndrom ohne Polyposis und Retinoblastom;
  • Befristet leistungspflichtig sind ärztlich geleitete Gruppenprogramme für adipöse und schwer übergewichtige Kinder und Jugendliche.

Impfungen

  • Impfungen und Booster gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Poliomyelitis, Masern, Mumps und Röteln bei Kindern und Jugendlichen bis 16 Jahre sowie bei nicht immunen Erwachsenen und Booster-Impfung gegen Tetanus und Diphtherie bei Personen über 16 Jahren;
  • Haemophilus-Influenzae-Impfung bei Kindern bis zum Alter von fünf Jahren;
  • Varizellen-Impfung bei nicht immunen Jugendlichen und Erwachsenen;
  • Meningokokken-Impfung: Gemäss dem «Schweizerischen Impfplan» ist die Impfung bis zum 20. Geburtstag empfohlen. Stand Januar 2008;
  • Impfung gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) bei einem Expositionsrisiko. Bei beruflicher Indikation ist die Impfung vom Arbeitgeber zu bezahlen;
  • Hepatitis A Impfung: Für Risikogruppen wie beispielsweise Personen mit chronischen Leberkrankheiten;
  • Hepatitis B Impfung bei Personen, die einer Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind. Bei einer beruflichen Indikation ist die Impfung vom Arbeitgeber zu bezahlen;
  • Passive Impfung mit Hepatitis B Immunglobulin bei Neugeborenen HBsAg-positiver Mütter;
  • (*) Impfung gegen Influenza: Eine jährliche Impfung bei Personen mit einer Grunderkrankung, bei denen eine Grippe zu schweren Komplikationen führen kann und bei über 65-jährigen Personen. Während einer Influenza-Pandemiebedrohung oder einer Influenza-Pandemie empfiehlt das BAG gemäss Art. 12 der Influenza-Pandemieverordnung vom 27. April 2005 weiteren Personen eine Impfung gegen Influenza. In diesem Fall wird keine Franchise erhoben;
  • * HPV-Impfung sofern diese im Rahmen von kantonal organisierten Programmen durchgeführt wird. Merkmale solcher Programme sind Information der Zielgruppen, beispielsweise wo sich Mädchen und junge Frauen impfen können, Qualitätsstandards im Sinne von Datenerhebungen zur korrekten Immunisierung mit drei Dosen und mit allfälligen Auffrischimpfungen und ein kostengünstiger Einkauf des Impfstoffs. Die Auslieferung muss nicht zwingend zentral erfolgen. Die Impfung ist für 11- bis 14-jährige Mädchen sowie, während 5 Jahren, der jungen Frauen von 15-19 Jahren empfohlen. Die Impfung ist von der Franchise befreit. Stand: Januar 2008;
  • Pneumokokken-Impfung mit einem Polysaccharid-Impfstoff für Erwachsene und Kinder ab zwei Jahren mit verschiedenen Krankheiten wie beispielsweise Immunsuppression oder mit Konjugat-Impfstoff bei Kinder unter zwei Jahren und Kinder mit chronischer Vorerkrankung unter fünf Jahren;
  • Impfung gegen Tuberkulose;

Auf mit * gekennzeichneten Leistung wird keine Franchise erhoben.

Aufnahme von Präventionsmassnahmen in die KLV

Präventive Massnahme welche in Art. 12 – 12e KLV aufgenommen werden sollen, müssen folgende Kriterien erfüllen: Die präventivmedizinische Leistung ist als eigenständige Intervention beschreibbar, die Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit sind gegeben und die Kosten sind bekannt; Allfällige spezifische Voraussetzungen oder Kompetenzen sollen definiert sein.

Gesundheitsförderung / Stiftung 19

Die Gesundheitsförderung und -prävention umfasst drei Bereiche: Die individuelle präventivmedizinische Leistung, finanziert durch die Krankenversicherung, Gesundheitsinformation, getragen durch die Kantone und Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege wie Impf- und Kontrollkampagnen durch die Kantone und die verschiedenen sozialmedizinischen Dienste (z.B. Schulärzte). Für die Bereiche der weiterführenden, nicht vorwiegend individuellen medizinischen Prävention zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit besteht die Stiftung 19 oder „Gesundheitsförderung Schweiz“. Mit gesetzlichem Auftrag initiiert, koordiniert und evaluiert sie lediglich Massnahmen zur Förderung der Gesundheit (Art. 19 KVG). Jede Person in der Schweiz leistet einen jährlichen Beitrag von CHF 2.40 zugunsten von Gesundheitsförderung Schweiz. Der Betrag wird von den Krankenversicherern für die Stiftung eingezogen. Die Strategie von Gesundheitsförderung Schweiz konzentriert sich auf Themenbereiche wie „Gesundheitsförderung und Prävention stärken, Gesundes Körpergewicht und Psychische Gesundheit – Stress“.

Im Bereich der Unfallversicherung erfolgt die (allerdings vorwiegend nicht medizinische) Prävention im Rahmen der Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten (Art. 81 ff UVG). Überschneidungen zum KVG lassen sich kaum vermeiden, vor allem da in Art. 88 UVG auch die Verhütung von Nichtberufsunfällen geregelt ist.

Aufgaben des Vertrauensarztes

Da alle Massnahmen der individuellen Prävention abschliessend in der KLV aufgeführt werden – und es sich somit um eine Positivliste handelt wird der Vertrauensarzt selten zum Thema der individuellen medizinischen Prävention kontaktiert. Zu Diskussionen Anlass geben kann die Befreiung von Franchise bzw. Selbstbehalt bei Untersuchungen die der Prävention dienen, wenn gleichzeitig noch ein pathologischer Befund behandelt werden muss.

Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

Fragen, Anregungen

Haben Sie Fragen, Bemerkungen oder Anregungen zur Gestaltung unserer Homepage?

Teilen Sie uns das doch bitte mit und kontaktieren Sie unsere Geschäftsstelle.

Geschäftsstelle

SGV
c/o MBC Markus Bonelli Consulting
Rudolf Diesel-Strasse 5
8404 Winterthur

Tel. 052 226 06 03
Fax 052 226 06 04

Email info@vertrauensaerzte.ch