Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

38 Plastische und rekonstruktive Chirurgie

Update, 3. Auflage, April 13

Rechtliche Grundlagen

ATSG

Art. 3 Krankheitsbegriff

Krankheit ist jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit, die nicht Folge eines Unfalles ist und die eine medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.

Ausgehend von dieser Definition stellen sich im Bereich der plastischen und rekonstruktiven Chirurgie oftmals Abgrenzungsfragen: Wann kommt einem (ästhetischen) Leiden Krankheitswert zu und wann handelt es sich „nur“ um eine natürliche physiologische Entwicklung bzw. einen Schönheitsfehler? Diese Frage ist insofern von zentraler Bedeutung, als nur Leiden mit Krankheitswert eine Leistungspflicht der OKP begründen können. Entsprechend ist im jeweiligen Einzelfall die Leistungspflicht unter Berücksichtigung der nachfolgenden Ausführungen zu prüfen.

KV

Keine besonderen Bestimmungen.

UV

Keine besonderen Bestimmungen.

IV

KSME, Ziff. 721/921.1 sowie insbesondere Ziff. 1027ff:

  • Störende Narben der Haut: Die Korrektur von ästhetisch oder funktionell störenden Narben kann die IV nur übernehmen, wenn dadurch eine wesentliche und dauernde Verbesserung der Erwerbsfähigkeit erzielt wird und sofern die Voraussetzungen von Rz 38ff. erfüllt sind. Beachte: Seit der 5. IVG-Revision kann die IV Behandlungskosten generell nur noch bis zum 20. Altersjahr übernehmen (Art. 12 IVG)
  • Plastische Operationen bei einer erheblichen Entstellung im Gesichts- und Halsbereich, die zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit führen würden, können als medizinische Eingliederungsmassnahmen der IV übernommen werden, wenn sie einen relativ stabilisierten Defektzustand beseitigen.
  • Plastische Operationen an der Mamma sind keine Massnahmen nach Art. 12 IVG.

Gerichtsurteile

Die Frage der Leistungspflicht der OKP bei plastischen und rekonstruktiven Eingriffen wurde vom Bundesgericht in zahlreichen Fällen geprüft.

K 135/04 fasst die wesentlichen Grundsätze mit zahlreichen Verweisen auf die Rechtsprechung wie folgt zusammen:

Hervorzuheben ist, dass ein ausschliesslich ästhetischer Mangel nicht zu dem durch das KVG versicherten (Krankheits-)Risiko zählt. Unter bestimmten Voraussetzungen hat der Krankenversicherer aber die Kosten der operativen Behandlung sekundärer krankheits- oder unfallbedingter Beeinträchtigungen, namentlich äusserliche Verunstaltungen vor allem an sichtbaren und in ästhetischer Beziehung speziell empfindlichen Körperteilen - besonders im Gesicht -, zu übernehmen. Dies wenn die äusserliche Verunstaltung ein gewisses Ausmass erreicht und sich durch eine kosmetische Operation beheben lässt, der Versicherer auch für die primären Unfall- oder Krankheitsfolgen leistungspflichtig war und die durchgeführte kosmetische Operation sich in allgemein üblichen Grenzen sowie im Rahmen der Wirtschaftlichkeit hält. Soweit ein ästhetischer Mangel Beschwerden mit Krankheitswert im Rechtssinne verursacht, stellt die medizinische Behandlung dieser krankhaften Folgeerscheinungen durch operative Behebung des ästhetischen Mangels als der eigentlichen Krankheitsursache ebenfalls eine Pflichtleistung der Krankenkasse dar. Voraussetzung ist, dass die Beschwerden erheblich sind und andere, vor allem ästhetische Motive genügend zurückdrängen. Auch leichtere ästhetische Einbussen können somit Anlass zu einer Krankheitsbehandlung geben, sofern sie Beschwerden oder Funktionseinbussen mit deutlichem Krankheitswert verursachen. Dies gilt etwa für Narben, die namhafte Schmerzen bewirken oder die Beweglichkeit erheblich einschränken.

Im Folgenden sind die Erwägungen des Bundesgerichtes näher zu erläutern und einzelne Problemkreise im Detail abzuhandeln.

Allgemeine Grundsätze

Das Bundesgericht stellt eindeutig und konstant fest: "Ein ausschliesslich ästhetischer Mangel zählt nicht zu dem durch das KVG versicherten (Krankheits-)Risiko" (K 135/04 ).

Das vorliegende Kapitel befasst sich mit den Ausnahmen von dieser Grundregel. Es sind drei Gründe, welche zu einer Leistungspflicht führen können:

  • Funktionseinbussen oder Schmerzen
  • Psychische Erkrankung infolge ästhetischer Defizite
  • Folgen von Krankheiten oder Unfällen

Funktionseinbussen oder Schmerzen

Die Formulierungen in den Gerichtsurteilen sind gelegentlich schwer verständlich. Es ist grundsätzlich unbestritten, dass die Behandlung von äusserlichen Veränderungen, "sofern sie Beschwerden oder Funktionseinbussen mit deutlichem Krankheitswert verursachen", der Leistungspflicht unterliegt. "Voraussetzung ist, dass die Beschwerden erheblich sind und andere, vor allem ästhetische Motive genügend zurückdrängen" .

Dabei genügt es, wenn sowohl die Beschwerden wie auch der Kausalzusammenhang nach dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt sind. Die blosse Möglichkeit ist nicht ausreichend, andererseits ist ein Zusammenhang im streng wissenschaftlichen Sinn nicht erforderlich.

Psychische Erkrankung infolge ästhetischer Defizite

Naturgemäss wird sehr oft auch ein psychisches Leiden als Operationsindikation angeführt, weil die Patientin / der Patient unter dem ästhetischen Defizit leide. Dies stellt jedoch in keiner Weise eine Ausnahmesituation dar, denn generell ist der subjektiv empfundene Leidensdruck die wesentliche Motivation, die Mühen und Gefahren eines kosmetischen Eingriffes auf sich zu nehmen. Der Hinweis der versicherten Person auf den unsäglichen Leidensdruck als Folge des ästhetischen Mangels reicht daher nicht. Einschränkungen im Bereich sportlicher Aktivitäten und auch sich zu genieren, in der Öffentlichkeit zu baden oder zu zeigen, können zwar, müssen aber nicht psychisch belastend wirken (K 15/04).

Eine Leistungspflicht des Krankenversicherers kann also überhaupt nur zur Diskussion stehen, wenn mit dem kosmetischen Defizit eine körperliche oder psychosomatische Beeinträchtigung mit ausgeprägtem Krankheitswert verbunden ist (K 1/05). Voraussetzung ist ein nachgewiesenes psychisches Leiden mit Krankheitswert, welches mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf den ästhetischen Mangel zurückzuführen ist und durch einen Korrektureingriff mit guten Aussichten wesentlich gebessert werden kann. (vgl. BGE K 85/99 Erw. 4 und 5).

BDD Body Dysmorphic Disorder

Von einem BDD (Body Dysmorphic Disorder) wird gesprochen beim Vorliegen eines psychischen Leidens mit Krankheitswert, dessen Ursache jedoch nicht im (subjektiv übergewichteten) Ausmass des kosmetischen Defizits erkannt werden kann. Das Leiden am (vermeintlichen) ästhetischen Defekt ist nicht kausal auf diesen zurückzuführen, sondern Symptom einer tiefer liegenden psychischen Störung. Entsprechend kann in der Regel nicht erwartet werden, dass die Korrekturoperation eine Heilung bringt. Im Gegenteil ist zu befürchten, dass ein neues Projektionsobjekt gesucht wird. Gemäss Literatur ist die Psychotherapie Behandlungsmethode der Wahl und nicht eine "Psychotherapie mit dem Skalpell".

Folgen von Krankheiten oder Unfällen

Die operative Behandlung sekundärer krankheits- oder unfallbedingter Beeinträchtigungen, insbesondere äusserlicher Verunstaltungen an sichtbaren und in ästhetischer Beziehung speziell empfindlichen Körperteilen, wie namentlich im Gesicht, kann eine Pflichtleistung darstellen. Voraussetzung ist, dass der Mangel ein geradezu entstellendes Ausmass erreicht und sich durch eine kosmetische Operation beheben lässt. Ferner musste die Versicherung für die Behandlung der primären Unfall- oder Krankheitskosten leistungspflichtig gewesen sein. Die Leistungspflicht für kosmetische Operationen hat sich in allgemein üblichen Grenzen und im Rahmen der Wirtschaftlichkeit zu halten (K 15/04 Erw. 2.2).

Diese Grundsätze bilden eine konstante Rechtsprechung des Bundesgerichtes und werden unter der (medizinisch nicht immer zutreffenden) Bezeichnung "Narbenkorrekturen" subsummiert.

Einzelne Problemkreise

Mammahypertrophie

Die Begriffe Hypertrophie und Hyperplasie werden in fröhlichem Durcheinander verwendet, wobei Hyperplasie sachlich wohl korrekter wäre. Da sich Hypertrophie aber zunehmend durchsetzt, auch bei den Gerichten, halten wir uns an diese Diktion.

Der Busen ist ein wesentliches Merkmal der weiblichen Erscheinung und deshalb häufig Objekt von Verbesserungswünschen. Solche Eingriffe fallen natürlich nicht in die Zuständigkeit der Krankenversicherung. Eine ausgeprägte Mammahypertrophie kann demgegenüber erhebliche Beschwerden verursachen, die den Krankheitsbegriff erfüllen und eine Leistungspflicht für den Korrektureingriff begründen. Eine eindeutige Grenzziehung ist nicht möglich und meist sind ästhetische und somatische Motive beteiligt. Zudem ist nicht zu verkennen, dass grosse und schwere Brüste auch dann im Alltag beschwerlich und bei vielen Tätigkeiten hinderlich sind, wenn sie nicht zu krankhaften Beschwerden führen. Ob eine Mammareduktion aus medizinischer Sicht notwendig ist und somit der Leistungspflicht unterliegt, bleibt somit stets eine Beurteilung im Einzelfall. Immerhin hat sich über die Jahre eine einigermassen konstante Rechtsprechung herausgebildet, welche die wesentlichen Grundelemente für die Beurteilung definiert und die im Folgenden dargestellt wird.

BGE 130 V 299 fasst die Kriterien einer Kostenübernahme durch die OKP wie folgt zusammen:

1. Gewebereduktion von 500g Gewebe beidseits

Es handelt sich dabei um einen Richtwert und nicht um eine fixe Grenze. Wird diese Marke deutlich unterschritten, lassen nur ganz besondere Umstände körperliche oder psychische Beschwerden überwiegend wahrscheinlich als krankheitswertig und von der Mammahypertrophie verursacht erscheinen.

2. Geltendmachung von Beschwerden, die auf die Hypertrophie zurückgeführt werden könn(t)en

Hier stehen Schmerzen und Verspannungen im Nackenbereich im Vordergrund, aber auch Fehlhaltungen der Wirbelsäule, Schmerzen auf den Schultern durch die BH-Träger und Intertrigo unter den Brüsten werden genannt.

3. Keine Adipositas

Eine Person gilt bei einem BMI über 25 als adipös.

Je höher der BMI einer Versicherten liegt, umso mehr ist der Kausalzusammenhang zwischen den geklagten Beschwerden und der Mammahypertrophie in Zweifel zu ziehen, was aber noch nicht bedeutet, dass generell jede Leistungspflicht bei Übergewicht auszuschliessen wäre (K 147/05 Erw. 6.1). Einerseits bildet das Brustgewicht nur einen Teilaspekt der allgemeinen Adipositas, andererseits ist das Verlangen nach Erreichen eines Normalgewichtes in der Regel illusorisch. Ein Entscheid muss unter Einbezug aller Faktoren getroffen werden, wobei aber vorgängige Anstrengungen zur Gewichtsreduktion durchaus vertretbar sind. Wenn Aussicht besteht, dass Brustvolumen und Beschwerden durch eine allgemeine Gewichtsreduktion positiv beeinflusst werden können, ist dieses Vorgehen zweckmässig und stellt die Therapie der ersten Wahl dar. Eine Gewichtsreduktion wirkt sich auch positiv auf das Operationsrisiko aus und auf das erreichbare kosmetische Resultat.

Die Rechtsprechung des obersten Gerichtes gegenüber der Mammahypertrophie bei Adipositas ist jedoch nicht einheitlich und überzeugt in der Argumentation nicht immer (K 171/00 ; K 69/01 ; K 147/05). Umso wichtiger bleibt die sorgfältige Prüfung des Einzelfalles.

4. Wirksamkeit und Zweckmässigkeit des operativen Eingriffes

Bezüglich Wirksamkeit ist zu fragen, ob mit dem beabsichtigen Vorgehen das Ziel der Behandlung (Beschwerdefreiheit) objektiv erreichbar ist. Aus der postoperativ festgestellten Schmerzfreiheit kann übrigens nicht ohne weiteres auf die Ursache(n) der Beschwerden geschlossen werden. Die Wirksamkeit einer Leistung nach Art. 25 KVG als ein Kriterium der Kostenübernahme im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Art. 32 Abs. 1 KVG) ist prognostisch zu beurteilen. Umgekehrt kann bei Ausbleiben des angestrebten Erfolges nicht auf fehlende Kausalität geschlossen werden.

Bezüglich der Zweckmässigkeit stellt sich die Frage, ob konservative Massnahmen, insbesondere Physiotherapie bei Rückenbeschwerden, eine wirksame alternative Behandlungsmöglichkeit darstellen oder dargestellt hätten. Ist das zu bejahen, bleibt weiter zu prüfen, welche der beiden Leistungen die zweckmässigere ist. Mit anderen Worten ist zu fragen, ob das Behandlungsziel auf einfacherem, weniger eingreifenderem und/oder kostengünstigerem Weg erreicht werden könnte. In Frage kommen Physiotherapie und Gymnastik gegen die Rückenschmerzen, pflegerische Massnahmen gegen die Intertrigo, aber auch angepasste Büstenhalter oder Verzicht auf einzelne Tätigkeiten, z.B. ungeeignete Sportarten.

Es ist Aufgabe des Vertrauensarztes, sich um eine ganzheitlichere Beurteilung zu bemühen und alle relevanten Faktoren in seine Empfehlung an die Versicherung einzubeziehen. Seiner individuellen und sorgfältigen Beurteilung kommt eine zentrale Rolle zu und die Gerichte monieren nicht zu Unrecht immer wieder, dass oft zu wenig auf die spezifische Situation eingegangen und zu schematisch beurteilt werde.

Nicht selten steht dahinter allerdings eine unzureichende Dokumentation seitens des antragstellenden Arztes. Es ist nicht nur das Recht, sondern die Pflicht des Vertrauensarztes, vollständige Unterlagen einzufordern, wozu auch qualitativ genügende Fotos frontal und seitlich zählen, die Angabe von Gewicht und Grösse und die bisherigen therapeutischen Massnahmen inklusive deren Erfolg.

Entscheidend ist letztlich immer die Frage, ob die geklagten Beschwerden „erheblich“ und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die Mammahypertrophie zurückzuführen sind und ob andere therapeutische Massnahmen unwirksam waren oder nicht möglich sind.

Mammahypoplasie und Missbildungen (tubuläre Brüste)

Es dürften kaum je somatische Probleme zu beheben sein, sondern es handelt sich um psychiatrische Indikationen gemäss Kap. 27.3.2 . Ausnahmsweise kann ein Brustaufbau und/oder eine Formkorrektur eine Pflichtleistung darstellen. Voraussetzung ist, dass es sich „um einen besonders schweren und abnormalen ästhetischen Defekt handelt, der gänzlich ausserhalb des allgemeinen Rahmens liegt (défaut esthétique tout à fait hors du commun)“ und damit Krankheitswert erreiche (K 4/04 Erw. 2.3 und 5.1). In Abweichung früherer Rechtsprechung wird im zitierten Urteil übrigens die Erwartung psychischer Störungen bei nicht korrigierter Situation als Argument zugunsten einer Vergütung beigezogen.

Brustasymmetrie

Die Situation ist grundsätzlich die selbe wie im obigen Kapitel. Nur wenn ein psychisches Leiden mit Krankheitswert überwiegend auf die Asymmetrie zurückzuführen ist und von der Symmetrisierung eine wesentliche Besserung erwartet werden darf, ist diese ein Pflichtleistung. Unerheblich ist die Frage, ob ein nicht bestrittener Leidensdruck durch den Eingriff von der Patientin genommen werden könnte (K 85/99 Erw. 5b). Der Beizug eines Psychiaters ist unerlässlich und eine sorgfältige Evaluation des Ausmasses des Befundes – ggf. durch persönliche Untersuchung – notwendig.

Zu beachten bleibt, dass eine durch eine einseitige Mammahyperplasie mit Krankheitswert hervorgerufene Asymmetrie eine Pflichtleistung aus somatischer Indikation darstellen kann.

Brustrekonstruktion

Die Brustrekonstruktion nach einer Ablatio mammae aus medizinischer Indikation ist eine Pflichtleistung. Das gilt ebenso, wenn wegen Komplikationen (z.B. Kapselbildung) eine Reoperation notwendig wird. Der Prothesenersatz bleibt Pflichtleistung.

Immerhin muss im Fall einer nur teilweisen Resektion die kosmetische Beeinträchtigung ein „gewisses Ausmass“ erreichen.

Bis vor kurzem galt, dass die Symmetrisierungsoperation nach einseitiger Brustrekonstruktion keine Pflichtleistung sei, sofern nicht eine somatische oder psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert vorliegt (K 80/00 Erw. 4a). Die Begründung war allerdings nicht überzeugend: Die anzugleichende Brust sei gesund und die Situation sei vergleichbar mit einer kongenitalen Asymmetrie.

Im 2008 hat das Gericht mit ebenso wenig überzeugender Argumentation gegenteilig entschieden, in einer medizinisch identischen Situation (K 143/06 Erw. 4.3). Nachdem das Bundesgericht noch nicht zu einer konsistenten Rechtsprechung gefunden hat, ist bei der vertrauensärztlichen Beurteilung umso grössere Sorgfalt angezeigt. Immerhin liegt die neue Rechtsprechung, ungeachtet der insuffizienten Begründung, deutlich näher bei der ärztlichen Beurteilung, wonach nach einseitiger Brustrekonstruktion eine erhebliche Differenz in der Brustform das vom Gericht stets hochgehaltene Prinzip einer möglichst weitgehenden Wiederherstellung der körperlichen Integrität nicht erfüllt.

Im selben Urteil K 143/06 (Erw. 4.4) wird übrigens die bisher gültige Definition der sichtbaren Körperstellen, die in ästhetischer Hinsicht besonders sensibel seien, explizit auf die weibliche Brust ausgedehnt (bisher speziell Gesicht und Hals).

Kapselfibrose nach Brustrekonstruktion oder -vergrösserung

Wenn nach kosmetisch motivierten Eingriffen Komplikationen auftreten, mit denen kaum gerechnet werden musste, sind die notwendigen Behandlungsmassnahmen Pflichtleistungen. Es gibt bisher keine Rechtsprechung, welche hier eventuelle Grenzen absteckt. Auf die Erhaltung der Gesundheit oder sogar die Rettung des Lebens gerichtete Therapien stehen ohnehin ausserhalb der Diskussion. Narbenkorrekturen andererseits entfallen, da die Voraussetzung nicht erfüllt ist, dass die ursprüngliche Behandlung bereits eine Pflichtleistung gewesen sein musste.

Nach kosmetischer Mammaaugmentation ist die Entfernung von beschädigten Prothesen oder von Kapselbildungen somit eine Pflichtleistung, nicht hingegen das Wiedereinsetzen neuer Prothesen (K 50/99 Erw. 4). Da das Risiko erneuter Kapselbildungen in solchen Fällen massiv erhöht ist, stellt sich die Frage, ob für weitere Komplikationen infolge erneut eingesetzter Prothesen weiterhin die Sozialversicherung geradestehen muss. Die Vernunft spricht dagegen, aber eine Rechtsprechung dazu gibt es noch nicht.

Plastische Chirurgie nach massiver Gewichtsreduktion

Die Abdominoplastik – Resektion der „entleerten“ Fettschürze – ist die häufigste gewünschte Korrekturoperation nach gewollter massiver Gewichtsreduktion, in der Regel nach bariatrisch-chirurgischem Eingriff. Das Bundesgericht ist bezüglich Leistungspflicht allerdings restriktiv (K 135/04 Erw. 2.2 und 2.3 ; K 50/05 Erw. 2.3 und 3). Eine Leistungspflicht besteht nur bei somatischer Indikation wie funktionellen Einschränkungen, Narbenschmerzen. Intertrigo wird als Indikation nicht anerkannt, da sie mit einfachen hygienischen Massnahmen und dermatologischen Behandlungen in den meisten Fällen adäquat behandelt werden kann und damit der operative Eingriff nicht einen entscheidend höheren Nutzwert gegenüber der ebenfalls als wirksam zu erachtenden konservativen Behandlung aufweist. Ein bestehendes oder mögliches künftiges psychisches Leiden infolge Beeinträchtigung des äusseren Erscheinungsbildes kann ebensowenig zur Begründung herangezogen werden. Der Bauch wird ausdrücklich nicht akzeptiert als in ästhetischer Hinsicht speziell empfindliche Region, weshalb ein ästhetischer Mangel in diesem Bereich nicht als geradezu entstellend bezeichnet werden kann.

Bei all diesen Aussagen gilt es aber immer die Situation im Einzelfall und damit die Relationen zu beachten. Ausgeprägte Hautfalten können zu anderen Schlussfolgerungen führen. Voraussetzung bleibt aber in jedem Fall, dass die Fettschürze weitgehend „entleert“ und das erreichte Gewicht stabil sein müssen.

Oft werden auch Kostengutsprachen für die Korrektur einer resultierenden Mammaptose (K 15/04), von sogenannten „Fledermausfalten“ an den Oberarmen und von Dermatochalasen an den Oberschenkeln verlangt. Mit seltenen Ausnahmen bei den Oberschenkeln geht es dabei regelmässig um ästhetische Mängel, welche mangels Beeinträchtigungen mit Krankheitswert die Sozialversicherung nicht betreffen.

Abdominoplastik und Rectusdiastase

Gerne wird zur Unterstützung der Forderung nach Kostengutsprache für eine Abdominoplastik eine Rectusdiastase geltend gemacht. Diesen Angaben darf mit Skepsis begegnet werden. Einerseits sind Rectusdiastasen recht häufig, jedoch selten symtomatisch. Das wäre jedoch Voraussetzung, um damit eine Leistungspflicht zu begründen. Ebenso empfiehlt es sich, die Diagnose zu überprüfen bzw. überprüfen zu lassen.

Plastische Chirurgie nach Geschlechtsumwandlung

Die operative Geschlechtsumwandlung ist seit 1988 unter bestimmten Voraussetzungen eine Pflichtleistung, wie an anderer Stelle diskutiert wird. 1994 wurde festgehalten, dass auch plastisch-chirurgische Massnahmen zur Anpassung der sekundären Geschlechtsmerkmale Pflichtleistungen seien. Deren Liste wurde seither schrittweise ausgebaut. Diese Massnahmen können aber in der Regel erst nach der eigentlichen Geschlechtsumwandlung zu Lasten der Sozialversicherung erfolgen (K 142/03 Erw. 2.4).

Die Entfernung des Adamsapfels und die Abrasion in der Mundgegend wurden grundsätzlich als Pflichtleistungen definiert (BGE 120 V 471 von 1994).

Die Frage der Gesichtsepilation mittels Laser wurde im 2004 prinzipiell bejaht, im Detail jedoch nicht entschieden (K142/03 Erw. 2.7).

2006 wurde das Einsetzen einer aufpumpbaren Penisprothese zur Pflichtleistung erklärt, entgegen der ausdrücklichen Ablehnung dieser Prothesen in Anhang 1 KLV Punkt 1.4 . Die Argumentation des Gerichtes, dass es sich bei Männern mit Erektionsschwierigkeiten und bei Transsexualität keineswegs um eine identische Situation handle, überzeugt jedoch in keiner Weise und es darf gefragt werden, wie lange dieses Urteil angesichts der Entwicklung der Krankenversicherung Bestand haben kann. Die zur Unterstützung der Argumentation diskutierte Vakuumpumpe gegen Erektionsstörungen ist inzwischen aus der MiGeL entfernt worden.

Narben

Wenn Narben zu Schmerzen oder funktionellen Einschränkungen (Beschwerden mit Krankheitswert) führen, ist die Behandlung selbstverständlich Pflichtleistung. Voraussetzung ist, dass die Beschwerden erheblich sind und andere, vor allem ästhetische Motive genügend zurückdrängen.

Ausschliesslich ästhetische Mängel zählen hingegen nicht zu dem durch das KVG versicherten Krankheitsrisiko. Unter bestimmten Voraussetzungen kann dennoch eine Leistungspflicht für die operative Behandlung sekundärer krankheits- oder unfallbedingter kosmetischer Veränderungen resultieren (BGE 9C_126/2008 Erw. 4.1) :

  • Der Versicherer muss auch für die primären Krankheits- oder Unfallfolgen leistungspflichtig gewesen sein.
  • Die Verunstaltung muss ein gewisses Ausmass erreichen und durch eine kosmetische Operation zu beheben sein.
  • Die kosmetische Operation muss sich in allgemein üblichen Grenzen und im Rahmen der Wirtschaftlichkeit halten.

Naevi und benigne Hauttumoren

Die Entfernung ist nur dann eine Pflichtleistung, wenn sie (z.B. durch ihre Lage) zu mechanischen Irritationen führen, kosmetisch erheblich beeinträchtigen (siehe Kap. 27.4.8) oder wenn Malignitätsverdacht besteht. In letzterem Fall ist aber eine Exzision mit histologischer Untersuchung nötig, sonst ist die These eines Malignomverdachtes unglaubwürdig.

Abstehende Ohren

Abstehende Ohren bei Kindern führen häufig zu Anfragen um Kostengutsprache. Es handelt sich dabei jedoch um ein kosmetisches Problem ohne Leistungspflicht der Krankenversicherung (K 132/04 Erw. 2.2), es sei denn, dass ein dadurch verursachtes und durch einen Eingriff behandelbares psychisches Leiden vom Psychiater nachgewiesen wird.

Diese Voraussetzungen dürften jedoch glücklicherweise selten gegeben sein. Die meisten Kassen sehen für diese Indikation jedoch freiwillige Leistungen aus einer Zusatzversicherung vor, die bei ausgeprägtem Befund unterstützt werden sollen. Eine Überprüfung mittels Foto empfiehlt sich dennoch, da doch sehr unterschiedliche Bewertungsmassstäbe angewandt werden.

Kosmetische vulvovaginale Chirurgie

Dies ist ein zunehmend häufiges Problem mit wohl mehr kulturellem als medizinischem Hintergrund. Eine medizinische Indikation für derartige Lifestyle-Eingriffe besteht kaum jemals, weil weder Schamgefühle noch häufig geltend gemachte Einschränkungen beim Rad fahren für die Bejahung einer medizinischen Indikation ausreichen.

Aufgaben des Vertrauensarztes

Angesichts der vorangehenden Ausführungen kommt wie bereits in Kap. 27.4.1 erwähnt dem Vertrauensarzt bei der Beurteilung des Einzelfalles eine entscheidende Rolle zu. Die behandelnden Chirurgen beurteilen plastische bzw. rekonstruktive Eingriffe in den entsprechenden Kostengutsprachegesuchen in aller Regel als medizinsch indiziert. Es obliegt dem Vertrauensarzt, unter Berücksichtigung der medizinischen Unterlagen und der in diesem Kapitel dargelegten Rechtsprechung die medizinische Indikation zu überprüfen und eine entsprechende Empfehlung zur Kostenübernahme abzugeben.

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