Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

27 Geriatrie

Update, 3. Auflage, Mai 10

Rechtliche Grundlagen

Eine Alterslimite existiert im Rahmen der Leistungspflicht im KVG einzig für die bariatrische Chirurgie (1.1, KLV, Anhang 1). Andere auf das chronologische Alter gestützte, gesetzliche Grenzen der Leistungspflicht gibt es bisher nicht. Damit gelten für die Geriatrie alle rechtlichen Grundlagen des schweizerischen Gesundheitswesens.

Es ist zu erwarten, dass im Falle einer Diskussion über die Rationierung von Leistungen im Gesundheitswesen auch das chronologische Alter als eines der Kriterien genannt werden wird. Dies wird eine Reihe von komplexen juristischen und ethischen Fragen aufwerfen. Studien weisen darauf hin, dass im praktischen Alltag im Gesundheitswesen schon jetzt implizit rationiert wird.1

Grundlagen

Demographie

Die Anzahl alten Menschen wird in der Schweiz in den nächsten Jahrzehnten in erheblichem Mass zunehmen; verbunden mit der zu erwartenden steigenden Lebenserwartung und der zu erwartenden Morbidität ergeben sich daraus ausserordentliche Herausforderungen, die dem Fach Geriatrie in Zukunft eine ganz andere Bedeutung zukommen lassen werden.

Entwicklung der Demographie in der Schweiz 1997 – 2025 – 20502

Gesundheitskosten im Alter

Ein grosser Teil der Gesundheitskosten werden im letzten Lebensjahr ausgegeben, mit zunehmendem Alter für die stationäre Langzeitpflege und nicht mehr für die Behandlung. Die altersabhängigen Leistungen der Krankenversicherer für Pflegeheime nehmen mit steigendem Alter zu, sinken aber bei den Hochbetagten wieder.

Wenn eine zielgerichtete geriatrische Rehabilitation zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit im hohen Alter beiträgt macht sie auch kostenmässig grossen Sinn.

Geriatrie

Seit dem 1.1.2000 ist Geriatrie ein FMH-Schwerpunkt im Rahmen der Facharzttitel Innere Medizin und Allgemeinmedizin. Geriatrische Kliniken müssen die Bedingungen der FMH erfüllen, um als Institutionen für die Weiterbildung in Geriatrie anerkannt zu werden

Die Geriatrie ist der Zweig der Medizin, der sich mit den klinischen, präventiven, rehabilitativen und sozialen Aspekten von Krankheiten bei Betagten beschäftigt. Zu unterscheiden sind:

  • Akutgeriatrie;
  • geriatrische Rehabilitation
  • Übergangspflege
  • Akutpflege
  • geriatrische Langzeitpflege

Akutgeriatrie

Die Akutgeriatrie ist diejenige Disziplin, die sich in akuten Krankheitsphasen um Assessment, Diagnosestellung und Therapie von Krankheitsbildern und Krisen bei geriatrischen Patienten bemüht.

Akutgeriatrische Leistungen werden bis anhin in der Schweiz im Spitalrahmen noch vorwiegend von internistischen Spitalabteilungen erbracht. In den letzten Jahren haben sich, regional unterschiedlich, geriatrische Akutkliniken als geriatrische Kompetenzzentren etabliert, die spezifische stationäre, halbstationäre und ambulante Leistungen für geriatrisch beeinträchtige Menschen anbieten.

Geriatrische Rehabilitation

Die geriatrische Rehabilitation befasst sich mit dem Management von Behinderungen betagter Patienten, welche meist infolge mehrerer Krankheiten oder Unfällen einen Verlust der Selbständigkeit erlitten haben. Häufig liegen dabei konkomitierend sogenannte «geriatrische Syndrome» vor. Klassische geriatrische Syndrome sind Mobilitäts- und Motilitätsstörungen, kognitive Defizite, Inkontinenz, Ernährungsstörungen, Sturzrisiko, chronische Schmerzzustände. Die geriatrische Rehabilitation ist nicht an einen Ort der Behandlung gebunden; sinnvolle geriatrische Massnahmen können ambulant, im Akutspital, im Rahmen einer stationären Rehabilitation, in der Übergangspflege oder in der stationären Langzeitpflege erbracht werden.

Übergangspflege

Ein spezifisches Angebot der geriatrischen Rehabilitation ist in der Verordnung zur Pflegefinanzierung seit 2009 neu festgelegt.

Art. 25a Pflegeleistungen bei Krankheit

2 Die Leistungen der Akut- und Übergangspflege, welche sich im Anschluss an einen Spitalaufenthalt als notwendig erweisen und die im Spital ärztlich angeordnet werden, werden von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung und vom Wohnkanton des Versicherten während längstens zwei Wochen nach den Regeln der Spitalfinanzierung (Art. 49a Abgeltung der stationären Leistungen) vergütet. Versicherer und Leistungserbringer vereinbaren Pauschalen.

Der Gesetzgeber hat es unterlassen den Begriff der Übergangspflege präzise zu definieren. In der Anwendungspraxis in der deutschsprachigen Schweiz hat sich die folgende Definition etabliert: Die Übergangspflege richtet sich an geriatrische Patienten, die nach einem Spitalaufenthalt nicht mehr auf die Akutpflege und -Behandlung angewiesen sind, aber noch nicht nach Hause entlassen werden können, weil noch einen zeitlich begrenzten Bedarf an pflegerisch-therapeutischen Massnahmen zur Wiedererlangung ihrer Autonomie besteht. Ziel ist es, die Selbständigkeit der Klienten derart zu fördern, dass sie wieder nach Hause zurückkehren können und dort, bei Bedarf mit formeller und informeller Hilfe leben können. Eine Langzeitpflegebedürftigkeit soll damit verhindert oder mindestens hinausgeschoben werden.

Ziele der Übergangspflege sind:

  • Erlangen der nötigen Selbständigkeit für eine Entlassung nach Hause
  • Vorbereiten der Rückkehr nach Hause
  • Beibehalten der bisherigen gewohnten Wohn- und Lebensform (Kontinuität)
  • Hilfe für einen angepassten Umgang mit allfälligen Einschränkungen
  • Verzögerung, beziehungsweise Verhinderung eines Pflegeheimeintrittes

Andere Begriffe im Kontext zwischen Spital, häuslicher Umgebung und stationärer Langzeitpflege:

Überbrückungspflege

  • Von zu Hause kommend mit der Absicht, nach einer gewissen Zeit wieder nach Hause zurückzukehren
  • Ferienbetten: Dieses Angebot wird von pflegebedürftigen Personen genutzt, die zu Hause von Familienangehörigen und eventuell Spitex gepflegt werden. Die pflegenden Angehörigen sind aus unterschiedlichen Gründen (Krankheit, Abwesenheit bzw. Ferien) an der Ausübung der Pflege verhindert
  • Kurzzeitige Pflegebedürftigkeit: Ein Leben zu Hause ist kurzzeitig nicht möglich. Die Personen bedürfen der Betreuung und Pflege, die von der Spitex und den Angehörigen nicht wahrgenommen werden können
  • Von zu Hause oder dem Spital her kommend, mit der Absicht, einen definitiven Platz in einer Institution der Langzeitpflege zu finden. Dieses Angebot wird in einzelnen Regionen in der Schweiz Passerellen-Programm genannt.

Nachsorge

In verschiedenen Unterlagen und auch Leistungsaufträgen für die Pflegeheime wird der Begriff “Nachsorge“ und “Übergangspflege“ synonym verwendet. Einerseits werden damit gezielte Massnahmen für die Rückkehr nach Hause bezeichnet, andererseits auch Wartezeiten bis zum Eintritt in ein Pflegeheim. Der Begriff "Nachsorge" ist also ein nicht präziser Sammelbegriff.

Akutpflege

Die vom Schweizerischen Gesetzgeber im Kontext der Übergangspflege genannte „Akutpflege“ ist als finanzierungstechnisches Instrument gedacht. Mit dem Angebot der Akutpflege sollen Aufenthalte von Menschen, die aus dem Spital kommen für eine begrenzte Zeitspanne von 14 Tagen von einer anderen Finanzierung profitieren. Es soll damit der in der Regel verlängerte Genesung von alten Menschen Rechnung getragen werden. Für diese Akutpflege soll nicht der Tarif der Langzeitpflege zur Anwendung kommen. Die Kosten für die notwendige Pflege (ohne Hotellerie) sollen analog der Übergangspflege vom Kanton und den Krankenversicherern übernommen werden. Im Angebot der Akutpflege sind im Unterschied zur Übergangspflege keine spezifischen Interventionen zur Vorbereitung der Rückkehr nach Hause notwendig. Voraussetzung für die Akutpflege, wie auch für die Übergangspflege ist die ärztliche Verordnung eines Spitalarztes.3

Geriatrische Langzeitpflege

Geriatrische Langzeitpflege findet zweckmässigerweise in der Spitex-Situation oder in Alters-, Kranken- und Pflegeheimen statt. Im Rahmen von Pflege, Betreuung und Begleitung erhält die Klientin (Spitex) oder die Bewohnerin (Alters- und Pflegeheim) die ihm angemessene Pflege und Betreuung. Unter Respektierung des persönlichen Willens des Patienten sollen ihm grösstmögliche Autonomie und Wohlbefinden ermöglicht werden. In zunehmendem Mass übernehmen die Institutionen der geriatrischen Langzeitpflege im Rahmen dieser Zielsetzung auch langfristige rehabilitative Leistungen.

Geriatrisches Assessment

Das umfassende geriatrische Assessment, als wichtigste geriatrische Arbeitsmethode, ist ein multidimensionaler und interdisziplinärer diagnostischer Prozess (das heisst, ein umfassender Abklärungsprozess unter Beteiligung verschiedener Berufsgruppen) mit dem Ziel, die medizinischen, funktionellen und psychosozialen Probleme und Ressourcen des alten Menschen systematisch zu erfassen und einen umfassenden Plan für die weitere Behandlung und Betreuung zu entwickeln, dies den unterschiedlichen Lebensrealitäten und den Bedürfnissen des Patienten angepasst. Geriatrisches Assessment ist, um wirksam zu sein, damit immer verknüpft mit Behandlungsplanung. 4

Gerichtsurteile

Spitex-Massnahmen bei psychisch kranken Personen

  • 131 V 178

Psychisch erkrankte Personen haben grundsätzlich in gleicher Weise wie Personen mit einem körperlichen Gesundheitsschaden Anspruch auf Leistungen für spitalexterne Krankenpflege gemäss Art. 7 KLV. Die Bestimmung bezieht sich inhaltlich zwar weit gehend auf somatische Krankheiten und enthält eine spezifisch auf psychische Erkrankungen zugeschnittene Norm lediglich unter dem Titel der Massnahmen der Grundpflege nach Art. 7 Abs. 2 lit. c KLV. Im Rahmen des KVG sind die psychischen Erkrankungen den körperlichen Krankheiten jedoch gleichgestellt, was auch bei der Auslegung von Art. 7 Abs. 2 KLV zu beachten ist.

Psychisch erkrankte Personen haben zunächst wie die körperlich Erkrankten Anspruch auf Massnahmen der Abklärung und Beratung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. a KLV. Die Massnahmen dürfen indessen nicht therapeutischen Charakter aufweisen, sondern haben sich auf die pflegerische Betreuung der psychisch erkrankten Person zu beschränken. Zudem dürfen sie sich nicht in einer (vom Gesundheitsschaden bzw. der Krankenpflege unabhängigen) Beratung in persönlicher oder sozialer Hinsicht oder in der Mithilfe im Haushalt erschöpfen.

Unter der Behandlungspflege gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b KLV sind Pflegemassnahmen mit diagnostischer oder therapeutischer Zielsetzung zu verstehen. Entsprechende Massnahmen, wie beispielsweise die Verabreichung von Medikamenten durch die Pflegeperson auf Anordnung des Arztes (Ziff. 7), fallen auch bei psychisch erkrankten Personen in die Leistungspflicht der Krankenversicherer. Dagegen können keine Massnahmen vergütet werden, die psychotherapeutischen Charakter aufweisen. Nur die von den Ärzten durchgeführte Psychotherapie und die sog. delegierte Psychotherapie gehören zu den Pflichtleistungen der Krankenversicherung, nicht aber die von freiberuflichen nichtärztlichen Psychotherapeuten erbrachten Leistungen. Umso weniger sind psychotherapeutische Untersuchungen und Behandlungen durch (psychiatrische) Pflegepersonen zu übernehmen. Anspruchsbegründend sind nur pflegerische Massnahmen in Zusammenhang mit der Untersuchung und Behandlung psychisch erkrankter Personen. Weil von den Pflegepersonen keine psychotherapeutischen Massnahmen vorgenommen werden dürfen und Beratungen hinsichtlich des Umgangs mit dem Krankheitsbild sowie stützende Gespräche in Krisensituationen - soweit keine ärztliche Intervention erforderlich ist - unter lit. a der Verordnungsbestimmung zu subsumieren sind, bleibt für Massnahmen der Behandlungspflege nach Art. 7 Abs. 2 lit. b KLV nur wenig Raum.

Pflegebehandlung von/durch Familienangehörige

  • 126 V 330

Zu einer Vergütung von Spitex-Leistungen an den nicht als Leistungserbringer zugelassenen Ehemann der Beschwerdegegnerin besteht kein Raum.

  • K 156/04

Leistungspflicht grundsätzlich gegeben, wenn ein Angehöriger als Angestellter einer zugelassenen Spitex-Organisation Pflegeleistungen nach Art. 7 KLV erbringt.

Immerhin ist mit Blick auf das hier durchaus bestehende Missbrauchspotenzial zu fordern, dass in atypischen Konstellationen, insbesondere wo die Tätigkeit als Angestellter der Spitex einzig in der Pflege von Familienangehörigen besteht, die Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistungen nach Art. 32 Abs. 1 KVG, allenfalls durch den Vertrauensarzt, genauer überprüft werden (vgl. Art. 57 Abs. 4 KVG). Im Übrigen besteht kein Anspruch, zum Zwecke der Pflege von Angehörigen von der am Wohnort tätigen Spitex-Organisation angestellt zu werden. Ebenfalls ist zu beachten, dass der obligatorischen Krankenpflegeversicherung lediglich Kosten in Rechnung gestellt werden können, welche eine Pflege zu Hause durch aussenstehende Spitex-Angestellte verursachen würde. Nicht verrechenbar ist, was dem Familienangehörigen im Rahmen der Schadenminderungspflicht und dem Ehegatten im Besonderen aufgrund der ehelichen Beistandspflicht nach Art. 159 Abs. 3 ZGB an Pflege zuzumuten ist. Dabei ist den Spitex-Verantwortlichen von der Natur der Sache her bei der Frage, was an Hilfestellung von den Familienangehörigen erwartet werden kann, ein vernünftiger und praktikabler Beurteilungsspielraum zuzugestehen.

Anwendbarer Tarif bei Übertritt von einem Akutspital in ein Pflegeheim

  • BGE 126 V 362

Die OKP hat nicht für Mehrkosten aufzukommen, die sich daraus ergeben, dass der Versicherte sich in eine für intensive Pflege und Behandlung spezialisierte und damit teure Klinik begibt, obwohl er einer solchen Behandlung nicht bedarf und ebensogut in einer einfacher eingerichteten und daher weniger kostspieligen Heilanstalt sachgerecht hätte behandelt werden können. Ebenso hat der spitalbedürftige Versicherte nicht mehr als die gesetzlichen bzw. statutarischen Leistungen zugute, wenn er gezwungenermassen in einer teuren Klinik hospitalisiert werden muss, weil in der Heilanstalt oder in der Spitalabteilung, die vom medizinischen Standpunkt aus genügen würde und billiger wäre, kein Bett frei ist. Ferner hat die Kasse nicht dafür aufzukommen, wenn ein Versicherter trotz nicht mehr bestehender Spitalbedürftigkeit weiterhin in einer Heilanstalt untergebracht ist, weil z.B. kein Platz in einem geeigneten und für den Versicherten genügenden Pflegeheim (ohne Spitalcharakter) vorhanden ist und mithin der Spitalaufenthalt nur noch auf sozialen Überlegungen beruht.

Das KVG hat die Leistungen teilweise neu umschrieben, am Wirtschaftlichkeitsgebot und dessen Anwendung auf den Leistungsanspruch bei Spitalaufenthalt jedoch nichts geändert, so dass die genannte Rechtsprechung weiterhin Geltung hat. Aus Art. 56 in Verbindung mit Art. 49 Abs. 3 KVG folgt u.a., dass ein Aufenthalt im Akutspital zum Spitaltarif nach Art. 49 Abs. 1 und 2 KVG nur so lange durchgeführt werden darf, als vom Behandlungszweck her ein Aufenthalt im Akutspital notwendig ist

Es rechtfertigt sich, an der bisherigen Praxis festzuhalten, wonach für den Übertritt vom Akutspital in ein Pflegeheim oder eine Pflegeabteilung eine angemessene Anpassungszeit einzuräumen ist.

  • K 175/05

Wenn eine versicherte Person ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr der Behandlung in einem Akutspital bedarf, ist das versicherte Risiko, nämlich die krankheitsbedingte Akutspitalbedürftigkeit, nicht mehr gegeben. Daraus wäre konsequenterweise an sich der Schluss zu ziehen, dass - mangels anders lautender ausdrücklicher Vorschriften der Leistungsanspruch mit sofortiger Wirkung und ohne Übergangsfrist erlischt. Dies liefe jedoch dem berechtigten Interesse von Versicherten zuwider, die nicht mehr der bisherigen Spitalbehandlung bedürfen, aber anderweitig stationär untergebracht werden müssen (Pflegeheim oder Pflegeabteilung) und für die im Hinblick auf die Umplatzierung erst noch entsprechende Dispositionen getroffen werden müssen. Darum drängt sich in solchen Fällen die Einräumung einer kurzen Anpassungszeit auf, welche einerseits dem erwähnten Interesse der versicherten Person Rechnung trägt und anderseits den Umstand berücksichtigt, dass die Kassen für ein nicht (mehr) versichertes Risiko nicht aufkommen müssen und insbesondere nicht dafür einzustehen haben, wenn eine Umplatzierung mangels adäquater Unterbringungsmöglichkeiten scheitert oder sich hinauszögert. Rechtsprechungsgemäss wurde wiederholt eine Übergangszeit von einem Monat als rechtens erachtet.

Anmerkung der Red.: Die Einmonatsfrist ist lediglich ein Richtwert, es ist in jedem Fall eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen.

Hauspflege versus Pflege im Pflegeheim – Wirtschaftlichkeitsgebot

  • BGE 126 V 334 als Grundsatzentscheid

Wenn - bei gleicher Zweckmässigkeit der Massnahmen - zwischen den Kosten eines Spitex-Einsatzes und denjenigen des Aufenthaltes in einem Pflegeheim ein grobes Missverhältnis besteht, kann der Spitex-Einsatz auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Versicherten nicht mehr als wirtschaftlich angesehen werden. Dies hat auch dann zu gelten, wenn der Spitex-Einsatz im konkreten Fall als zweckmässiger und wirksamer zu betrachten ist als ein an sich ebenfalls zweckmässiger und wirksamer Heimaufenthalt.

Wo sowohl eine Hauspflege als auch eine Pflege in einem Pflegeheim möglich und zweckmässig ist, stellt sich unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit die Frage, welche Leistungen der Krankenversicherer zu erbringen hat. Dass dabei nicht von den Gesamtkosten eines Pflegeheimaufenthaltes, sondern von den Kosten auszugehen ist, welche vom Krankenversicherer effektiv zu übernehmen sind, hat das Eidg. Versicherungsgericht bereits im Urteil D. vom 18. Dezember 1998 ausgeführt (RKUV 1999 Nr. KV 64 S. 71 Erw. 4c). Abgesehen davon, dass die Gesamtkosten auch die Aufenthaltskosten (Unterkunft und Verpflegung) umfassen, für die der Krankenversicherer nicht aufzukommen hat, soll das Wirtschaftlichkeitsgebot die Krankenversicherer (und indirekt die Versichertengemeinschaft) vor ungebührlicher Inanspruchnahme schützen, weshalb der Kostenvergleich auf der Grundlage der vom Versicherer zu erbringenden Leistungen zu erfolgen hat.

  • K 95/03

Mittlerweile existiert eine reichhaltige Rechtsprechung zur Frage, wann ein „grobes Missverhältnis“ zwischen Spitex- und Pflegeheimkosten (vgl. Urteil oben) besteht. Auch in diesem Bereich sind die konkreten Umstände des Falles zu berücksichtigen. Eine höhere Wirksamkeit und Zweckmässigkeit des Spitex-Einsatzes ist bei der Festsetzung der Wirtschaftlichkeitsgrenze im Einzelfall (grobes Missverhältnis) zu berücksichtigen. Die Frage nach der Wirksamkeit und Zweckmässigkeit der Massnahme beurteilt sich primär nach medizinischen Gesichtspunkten; persönliche, familiäre und soziale Umstände sind jedoch mit zu berücksichtigen (K 95/03).

K 95/03 fasst die Rechtsprechung mit Verweis auf K 33/02 wie folgt zusammen:

Bei Gleichwertigkeit von Spitex- und Heimpflege wurde der Anspruch auf Spitex-Leistungen bejaht bei Mehrkosten von 48% (K 31/00) und verneint bei drei- bis viermal (K 61/00) sowie fünfmal höheren Kosten (RKUV 1999 Nr. KV 64 S. 64, K 95/03 selber). In Fällen, in welchen sich die Spitex-Pflege als wirksamer und zweckmässiger erwies, wurde die Leistungspflicht unter Berücksichtigung der konkreten Umstände bejaht bei 1,9-mal (K 175/00) bzw. 2,86-mal höheren Kosten (K 33/02). War die Spitex-Pflege als erheblich wirksamer und zweckmässiger zu qualifizieren, was namentlich bei versicherten Personen zutraf, welche noch einer Erwerbstätigkeit nachgingen oder aktiv am gesellschaftlichen und sozialen Leben teilnahmen, wurde der Anspruch selbst in Fällen bejaht, wo die Spitex-Pflege bis zu 3,5-mal höhere Kosten verursachte ( BGE 126 V 342).

Vorbehalte und Kommentare

Spitalbedürftigkeit geriatrischer Patienten vor dem Spitalaustritt

Die Abgrenzung zur Dauer einer Übergangsfrist vor dem Austritt aus einem Spital für geriatrische Patienten ist bis heute in der Rechtsprechung ungenügend differenziert. Das vorliegende Urteil äussert sich im konkreten Fall zu einer Situation mit anschliessender Rückkehr nach Hause. Im gleichen Urteil geäusserte Verallgemeinerungen, dass generell eine Übergangsfrist von mehreren Wochen gewährt werden muss, sind kostentreibend für die Krankenversicherer, ohne dass daraus zwingend ein qualifiziertes Bemühen um geriatrische Patienten stattfindet.

Zu berücksichtigen ist, ob der Übertritt aus dem Akutspital-Status in die Spitex-Situation oder in eine Institution der Langzeitpflege geschieht. Eine Übergangsfrist für die Rückkehr nach Hause ist zeitlich grosszügiger zu gestalten als der Übertritt in ein Heim. Die notwendige Planung für die Rückkehr einer pflegebedürftigen Person kann zwei bis drei Wochen dauern, ein Übertritt in ein Heim ist innert weniger Tage zu organisieren.

Das viel gehörte Argument, dass im gewünschten Heim kein Platz zur Verfügung steht, kann nicht als Begründung der Spitalbedürftigkeit für geriatrische Patienten gelten. Als Übergangsfrist für den Wechsel aus dem Spitalstatus in den Langzeitstatus ist nur diejenige Zeit zu rechnen, die benötigt wird, um dem Betroffenen oder seinen Angehörigen die Statusänderung zu eröffnen. Es ist zu fordern, dass für diese häufige Situation von allen Spitälern ein Langzeittarif angeboten wird.

Übergangspflege (ÜP)

Die im Gesetz definierte zeitliche Limitierung der Übergangspflege auf 14 Tage ist praxisfremd. Alte Menschen benötigen für eine gesundheitliche Stabilisierung, damit eine Rückkehr nach Hause möglich wird, in aller Regel mehr als diese Zeitspanne. Daraus ergibt sich eine Finanzierungslücke für die Fortsetzung der spezifischen Anstrengungen für die Rückkehr nach Hause.


Die Zukunft wird zeigen inwiefern sich das Angebot der Übergangspflege für geriatrische Patienten durchsetzen wird. Da das Zeitfenster auf 14 Tage limitiert wurde und die betroffene Klientin in der Übergangspflege die Hotelerie-Kosten selber tragen muss, wird die Übergangspflege einen schweren Stand haben. D.h. qualifizierte Leistungserbringer müssen sich zuerst etablieren und eine adäquate Restfinanzierung muss gefunden werden. Insbesondere muss auch geklärt werden wer die Finanzierung übernimmt wenn die Dauer der Übergangspflege länger als 14 Tage dauert, - was die allgemeine Regel darstellt.

Falls die Kantone und/oder die Gemeinden das grundsätzlich sinnvolle Angebot der Übergangspflege unterstützen wollen, - insbesondere zur Vermeidung von unnötigen Pflegeheimeintritten, werden die Leistungserbringer der Übergangspflege gefordert sein mit ihrem Angebot zu zeigen inwiefern sich die Übergangspflege von der Langzeitpflege unterscheidet. Es muss also systematisch aufgezeigt werden wer in die ÜP aufgenommen wird, in welchem Zustand die Klientinnen eintreten, in welchem Zustand dass austreten und wohin, und ob die Rückkehr nach Hause auch andauert.

Qualifikation der Langzeitinstitutionen

Mit steigenden Anforderungen, bedingt durch die zunehmende Pflegebedürftigkeit der Bewohner, haben die Altersheime den Schritt zur Betreuung auch von schwer pflegebedürftigen, alten Menschen gemacht. Mit der Umsetzung einer effektiven Qualitätssicherung in der Langzeitpflege wird dieser Prozess unaufhaltsam weitergehen. Auch rehabilitative Leistungen sind in Alters- und Pflegeheimen möglich und sinnvoll. Voraussetzung sind realistische Ziele und ein realistischer Einsatz der Mittel, mit Beschränkung bzw. Beendigung des Einsatzes, wenn die Zweckmässigkeit nicht mehr gewährleistet ist.

Anlass zur Sorge bereitet die neue Pflegefinanzierung, die die Mittel die zur Erbringung von qualifizierter Langzeitpflege in ein enges Korsett zwängt.

Instrumente der Pflegebedarfsklassifikation

Seit der Einführung des KVG verlangt die KLV eine Bedarfsabklärung als Basis für die in der Langzeitpflege erbrachten Leistungen. Diese Bedarfsabklärung ist bis im Jahr 2009 noch nicht in allen Alters- und Pflegeheimen in den Kantonen eingeführt.

In der Schweiz stehen, drei Instrumente im Gebrauch: Plaisir (Planification informatisée des soins infirmiers requis), BESA (Bewohnerinnen-Einstufungs- und -Abrechnungssystem) und RAI (resident assessment instrument). Das Instrument Plaisir findet flächendeckende Anwendung in der Romandie. Das in der Schweiz entwickelte Instrument BESA war bis vor kurzem das am Meisten verbreitete Instrument in den Alters- und Pflegeheimen der deutschsprachigen Schweiz. Es wird zunehmend abgelöst vom international anerkannten RAI, das sich in einer laufend zunehmenden Zahl von Heimen und Kantonen der ganzen Schweiz in allen Landessprachen etabliert..

Entscheidende Anforderungskriterien an die Instrumente sind:

  • die vom KVG geforderte Bedarfserfassung (nicht Leistungserfassung)
  • Kompatibilität mit der 12-stufigen Pflegefinanzierung des KVG
  • wissenschaftliche Grundlagen für die Bildung von validierten Pflegebedarfspauschalen
  • die Kontrollierbarkeit der Einstufungen
  • die Verknüpfung mit der Qualitätssicherung

Unterlagen zu den Instrumenten können bei folgenden Adressen bestellt werden:

  • Plaisir: ISE, Chemin du Croset 7, 1024 Ecublens Tel. 021 641 05 80, www.isesuisse.ch
  • RAI: Q-Sys AG, St. Leonhard-Str. 31, 9000 St. Gallen, Tel. +41 71 228 80 90, www.qsys.ch
  • BESA: Curaviva, Postfach, Zieglerstr 53, 3000 Bern 14, Tel. +41 31 385 33 65, www.curaviva.ch

Beiträge der Krankenversicherer an die Finanzierung der Langzeitpflege

Im Juni 2009 hat das Bundesamt für Gesundheit die Anpassung der Krankenpflegeleistungsverordung Art. 33 i, den in Artikel 25a Absätze 1 und 4 des Gesetzes vorgesehenen und nach Pflegebedarf differenzierten Beitrag an die Pflegeleistungen festgelegt. Die Basis der Finanzierung ist eine Bedarfsabklärung, solange sich diese an professionellen Kenntnissen orientiert, ist diese fachliche Optik zu begrüssen.

Das in der Verordnung festgelegten 12-stufige System legt die Beiträge fest die von den Krankenversicherern erbracht werden. Die Restfinanzierung regeln die Kantone. Mit Inkrafttreten der Verordnung sinken in vielen Kantonen die Beiträge der Krankenversicherer an die Langzeitpflege. Der Anteil der den betroffenen Menschen in Rechnung gestellt werden darf wurde ebenfalls auf 20% des Beitrages der Krankenversicherer an die höchste Tarifstufe limitiert. Daraus ergibt sich ein enges Korsett. Die Auswirkungen dieser neuen Regelung sind noch nicht absehbar.

Die Krankenversicherer haben sich damit in wesentlichen Teilen aus der Finanzierung der Langzeitpflege verabschiedet.

Gemeinsames Interesse und offene Fragen

Ziel einer verantwortungsvollen Strategie ist es, dass die Leistungen der Krankenversicherer und der öffentlichen Hand jenen pflegebedürftigen Menschen zukommen, bei denen der Pflegebedarf ausgewiesen ist. Es ist bedauerlich, dass mit der Verordnung zur Pflegefinanzierung viele Fragen, insbesondere Definitionen der Übergangs- und Akutpflege und eine klare Definition der Pflege-Minuten welche für die Abstufung verwendet werden, offen geblieben sind.

Das Korsett das die Verordnung der Pflegefinanzierung gibt wird zu Auseinandersetzungen führen, wer und in welchem Ausmass die Langzeitpflege in der Schweiz erbracht und finanziert werden wird. Die Krankenversicherer wurden aus der ursprünglich im KVG vorgesehenen Pflicht zur weitgehenden Finanzierung entlassen. Damit sind die Herausforderungen der Zukunft nicht gelöst. Es besteht die begründete Befürchtung, dass die von allen gewünschte Qualität mit den festgelegten Mechanismen unter Druck kommen wird.

Aufgaben des Vertrauensarztes

Beurteilung der Spitalbedürftigkeit für geriatrische Patienten

Geriatrische Patienten sollten nicht mehr während Tagen und Wochen in Spitalbetten liegen, ohne dass eine klare geriatrische Standortbestimmung (Assessment), geschweige denn ein Behandlungsziel oder ein geeigneter Behandlungsplan erstellt werden. Anfragen der Krankenversicherer, zuhanden des Vertrauensarztes, zur Begründung der Spitalbedürftigkeit sollten nicht mehr verzögert oder unzutreffend beantwortet werden.

Aus gesundheitspolitischer Sicht ist für geriatrische Patienten ein prospektives System zu fordern, das dem Vertrauensarzt und behandelnden Ärzten eine Diskussion aufgrund von aktuellen medizinischen Fakten ermöglicht. Der zunehmende Einsatz von Fallmanagerinnen durch die Krankenversicherer zur Klärung der Spitalbedürftigkeit bringt Bewegung in die Abläufe, indem erstmals in der Schweiz Vertreter der Krankenversicherer vor Ort aufgrund aktueller Fakten Einfluss auf die Abläufe und die Entscheidungsfindung nehmen. Der Organisation einer vertrauenswürdigen, den Datenschutz respektierenden Aktenbearbeitung durch den Vertrauensarzt beim Einsatz von Fallmanagern ist grösste Beachtung zu schenken.

Beurteilung der Dauer der geriatrischen Rehabilitation

Die Dauer von Aufenthalten in geriatrischen Institutionen zum Zwecke einer geriatrischen Rehabilitation ist sehr unterschiedlich. Frühere Anstrengungen zur Erarbeitung von Standards im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Leistungserbringer/Versicherer zur Rehabilitation (ALVR) sind versandet. In der vertrauensärztlichen Alltagspraxis gilt es weiterhin von der anmeldenden Instanz ein klar formuliertes Ziel und einen realistischen, nachvollziehbaren Massnahmen- und Zeitplan zu verlangen. Zum Beispiel sind rehabilitative Bemühungen, die es einer geriatrischen Patientin ermöglichen, aus dem Spital nach Hause zurückzukehren, als Behandlungsziel überzeugend. Über Resultatindikatoren müssen die Leistungserbringer im Rahmen der Qualitätssicherung belegen, inwiefern die gesteckten Ziele auch realistisch waren und erreicht wurden.

Bedenklich ist die von einigen Krankenversicherern angewendete Praxis sogenannte „medizinische Experten“ (oftmals ohne jegliche medizinische Berufsbildung) in erster Instanz über Kostengutsprache-Gesuche entscheiden zu lassen.

Beurteilung der Indikation für Übergangspflege

Mit dem neuen, im KVG definierten Angebot der Übergangspflege ergibt sich im Rahmen der Kostengutsprache-Diskussion nach einer Spitalbehandlung eine neue Option. Eine Kostengutsprache für eine Übergangspflege-Sequenz wird kaum je verweigert werden. Soweit sich das Angebot der Übergangspflege überhaupt etablieren wird, muss sorgfältig unterschieden werden inwiefern eine spitalmässige Rehabilitation in einer Rehabilitationsklinik angemessen ist, oder ob eine Behandlung in der Übergangspflege die angemessene Intervention darstellt. Es empfiehlt sich für die Krankenversicherer und insbesondere die Vertrauensärzte eng mit den Anbietern der Übergangspflege zusammen zu arbeiten und zu kommunizieren. Es ist davon auszugehen, dass die Anbieter der Übergangspflege offen, auch über die Grenzen ihres Angebotes informieren. Als Ausschlusskriterien für eine Übergangspflege gelten in der Regel:

  • Die Klientin kann nach der aktuellen Einschätzung der Fachleute des Übergangspflege-Teams aller Wahrscheinlichkeit nach nicht wieder nach Hause
  • Die Klientin ist medizinisch und/oder psychisch instabil und benötigt Leistungen eines Akutspitals und/oder einer Spezialklinik
  • Die Klientin kann das Leistungsangebot der Übergangspflege innerhalb des definierten Zeitraumes nicht effizient nutzen
  • Der Rehabilitationsbedarf der Klientin übersteigt das Leistungsangebot der Übergangspflege
  • Ein weniger intensives Angebot ist ausreichend, das Ziel der Rückkehr nach Hause zu ermöglichen (z.B. Kurhaus)

Eine Aufnahme in die Übergangspflege erscheint zu aufwändig, nach wenigen Tagen Verlängerung des Aufenthaltes im Akutspital ist eine Rückkehr nach Hause realistischerweise möglich

Beurteilung der Pflegebedürftigkeit in Alters- und Pflegeheimen

Die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit in Alters- und Pflegeheimen ist bei vielen Krankenversicherern an Pflegefachpersonen delegiert. Der Vertrauensarzt ist nur noch punktuell mit diesen Fragen konfrontiert. In umstrittenen Situationen kann es hilfreich sein, wenn der Vertrauensarzt selber oder mit Fachwissen aus seinem Umfeld in strittige Diskussionen eingreift. Insbesondere dann ist vertrauensärztliche Vernunft gefragt, wenn Pflegecontroller unter dem Druck von Managed Care juristische Auseinandersetzungen auslösen.

Beurteilung von Spitex-Leistungen

In der Spitex-Situation stellt sich die Frage der Abgrenzung der pflegerischen von hauswirtschaftlichen Leistungen. Die in vielen Kantonen installierten Spitex-Kontrollstellen klären diese Frage als Fachleute vor Ort. Bei einem offensichtlichen Missverhältnis zwischen deklariertem Pflegebedarf und erhaltener Selbständigkeit in den Alltagsverrichtungen sowie fehlenden Klientenmerkmalen, welche die Pflegebedürftigkeit begründen, ist eine Intervention der Spitex-Kontrollstelle notwendig. Die Auslösung einer solchen Intervention wird üblicherweise durch Angaben ausgelöst werden, die nur dem Vertrauensarzt zur Verfügung stehen. Aufgabe des Vertrauensarztes ist es also, dem Krankenversicherer gezielte Abklärungen über die Spitex-Kontrollstelle zu empfehlen.

Schwierig ist die Frage des Krankenversicherers an den Vertrauensarzt betreffend einen in der Spitex-Situation betreuten Klienten: «In welcher Pflegebedarfsstufe wäre dieser Patient, wenn er in einem Alters- oder Pflegeheim betreut würde?» Mit zunehmender Komplexität der Pflegebedarfsklassifikation für Langzeitpatienten setzt eine kompetente vertrauensärztliche Empfehlung zu dieser Frage vertiefte Kenntnisse der Pflegebedarfsklassifikationsinstrumente voraus.

Beurteilung der Anwendung des Physiotherapietarifs für geriatrische Patienten

Der Physiotherapietarif beinhaltet die Unterscheidung in eine Position 7301 (Pauschale für physiotherapeutische Sitzung bei eindimensionaler Problematik) und in die Position 7311 (Pauschale für physiotherapeutische Sitzung für neurologische Diagnosen, Atemtherapie und Mehrfacherkrankungen).

Dem Vertrauensarzt wird immer wieder die Frage der Angemessenheit der Tarifanwendung der Position 7311 gestellt. In akuten Phasen erscheint die Anwendung der Position 7311 bei geriatrischen Patienten wegen dem hohen Zeitaufwand und der häufig vorhandenen Multidimensionalität der Problematik häufig gerechtfertigt. In einer Erhaltungsphase einer chronischen Krankheit ist, zur Erhaltung der Selbständigkeit im Alltag, eine Physiotherapie in geringerer Intensität und Komplexität häufig zweckmässiger, insbesondere auch wegen der in der Regel beschränkten körperlichen Belastbarkeit der alten Menschen. Hingegen ist eine gewisse Regelmässigkeit der Behandlung, z.B. einmal pro Woche, zweckmässig. Eine Zusammenarbeit zwischen Physiotherapie und den in solchen Situationen häufig involvierten Pflegepersonen ist zu fordern. Umstrittene Tarifanwendungen zur Position 7311 können der Paritätischen Vertrauenskommission zwischen Schweizerischem Physiotherapeutenverband und den Kostenträgern vorgelegt werden.


1 B Santos-Eggimann, IS THERE EVIDENCE OF IMPLICIT RATIONING IN THE SWISS HEALTH CARE SYSTEM ? Health Services Research Unit University of Lausanne Institute of Social and Preventive Medicine, Lausanne, July 2005
2 http://www.census.gov/ipc/www/idb/
3 Gesundheitsdirektoren-Konferenz, Ayoubi S, Referat, RAI-Fachtagung August 2009
4 Wieland D, Ferrucci L. Multidimensional Geriatric Assessment: Back to the Future. Journal of Gerontology: Medical Sciences. 2008 Vol 63a No. 3, 272-274
Stuck AE, Siu AL, Wieland GD et al. Comprehensive geriatric assessment: meta-analysis of controlled trials. The Lancet 1993; 342: 1032-6
Cohen HJ, Feussner JR, Weinberger M. et al. A controlled trial of inpatient and outpatient geriatric evaluation and management. N Engl J Med 2002; 365(12):905-12
Campion ED Specialised Care for Elderly Patients: Improvement in quality of life without increase in costs.
N Engl J Med 2002; 346(12): 874

Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

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