Update, 3. Auflage, März 09
Die Invalidenversicherung bezweckt die Eingliederung resp. Wiedereingliederung von Personen, die wegen Geburtsgebrechen, Krankheits- oder Unfallfolgen behindert sind. Eine Rentenzahlung erfolgt erst, wenn eine Ein- oder Wiedereingliederung ins Erwerbsleben nicht möglich ist.
Der Grundsatz der Eingliederung geht somit einer Rentenzahlung klar vor.
Mit der 5. IV-Revision stehen seit 2008 zusätzliche Eingliederungsmassnahmen bereit. Die Unternehmen können damit bei der Eingliederung behinderter Mitarbeiter effizient unterstützt werden. Zu erwähnen sind namentlich finanzielle Beiträge, Einarbeitungszuschüsse, aber auch Umschulungen, Arbeitsvermittlung und Job-Coaching.
In der Schweiz gibt es keine nach einem einheitlichen Konzept geschaffene Sozialversicherung. Die einzelnen Sozialversicherungen – es gibt deren elf – sind historisch gewachsen. Es finden sich schon Wurzeln im Aufkommen der Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert, als sich zeigte, dass der Einzelne alleine nicht mehr allen Schicksalsschlägen trotzen konnte. Die Anfänge finden sich in den Bestimmungen des Arbeitsrechts, so z.B. im Fabrikgesetz von 1877 mit ersten Vorschriften zur Arbeitssicherheit, Verbot der Kinderarbeit, Einführung des 11Stunden Tages, bei 6 Arbeitstagen pro Woche und Kapitalleistungen bei Erwerbsausfall infolge Unfall.
Entsprechend den politischen Gegebenheiten und den wirtschaftlichen Möglichkeiten entstanden im 20. Jhd. die folgenden Sozialversicherungen:
Als erster Kanton hatte Glarus im Jahre 1918 Invaliditätsleistungen eingeführt. Der Artikel 34quater der Bundesverfassung aus dem Jahre 1925 erlaubte es dem Bund, eine Alters- und eine Invalidenversicherung zu schaffen. Es vergingen aber nochmals 23 Jahre bis 1948 die AHV und weitere 12 Jahre bis 1960 die IV auch mittels Bundesgesetz eingeführt werden konnten. Das Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG) wurde seither mit insgesamt 5 Revisionen überarbeitet, 2004 mit der 4. Revision und zuletzt 2008 mit der 5. Revision. Für die 6. Revision laufen auf politischer Ebene bereits Vorbereitungen. Siehe auch Kapitel Finanzierung.
Obligatorisch Versicherte: Die IV ist eine Versicherung, welche die ganze Bevölkerung der Schweiz umfasst. Personen, die ihren Wohnsitz in der Schweiz haben oder hier arbeiten, sind automatisch bei der IV versichert. Schweizer Bürger, die im Ausland für den Bund, internationale Organisationen bzw. Hilfsorganisationen oder ein schweizerisches Unternehmen arbeiten, sind ebenfalls bei der IV versichert.
Fakultativ Versicherte: Die fakultative Versicherung erlaubt Schweizerinnen und Schweizern sowie den Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten, wenn sie sich in einem Nichtmitgliedsstaat der EU niederlassen, weiterhin versichert zu sein, wenn gewisse Konditionen erfüllt sind (Art. 2 AHVG).
Keine Versicherung: Ausländische Staatsangehörige, die Privilegien und Immunitäten gemäss Völkerrecht geniessen (z.B. Diplomaten).
Die Schweiz hat mit mehr als 20 Ländern Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen, darunter auch mit ihren Nachbarländern. Auch die Bilateralen Verträge mit der EU, vor allem der Vertrag über den freien Personenverkehr, haben ebenfalls Auswirkungen im Sozialversicherungsrecht.
Invalid gewordene Ausländerinnen und Ausländer aus Staaten, mit denen keine entsprechenden bilateralen Abkommen bestehen, können – solange sie ihren Wohnsitz in der Schweiz haben – Leistungen der IV erhalten, wenn sie vor Eintritt der Invalidität entweder während mindestens drei Jahren Beiträge geleistet haben oder während zehn Jahren ununterbrochen in der Schweiz gelebt haben.
Im Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG), das als Mantelgesetz zu den Sozialversicherungen geschaffen wurde, basiert die Invalidität auf den vorangehenden Artikeln der Erwerbsunfähigkeit und der Arbeitsunfähigkeit.
Siehe http://www.admin.ch/ch/d/sr/c830_1.html
Arbeitsunfähigkeit ist die durch eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit bedingte, volle oder teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumutbare Arbeit zu leisten.
Bei langer Dauer wird auch die zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich berücksichtigt.
Merke: Gemäss Rechtssprechung dürfen Ärzte nur zu dieser Frage Stellung nehmen, unabhängig, ob Sie in behandelnder oder in vertrauensärztlicher Funktion stehen. Festlegung von Erwerbsunfähigkeit und Invalidität gehört alleine in die Verwaltung, also in die Zuständigkeit der IV-Stellen.
Erwerbsunfähigkeit ist der durch Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit verursachte und nach zumutbarer Behandlung und Eingliederung verbleibende ganze oder teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt.
Für die Beurteilung des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit sind ausschliesslich die Folgen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Eine Erwerbsunfähigkeit liegt zudem nur vor, wenn sie aus objektiver Sicht nicht überwindbar ist.
Merke: In der IV wird immer vom ausgeglichenen Arbeitsmarkt ausgegangen, denn der unausgeglichene Arbeitsmarkt (z.B. Rezession) ist durch die ALV versichert.
Invalidität ist die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit.
Ergänzend sind für Minderjährige und geistig Behinderte weitere Definitionen im Gesetz festgehalten, Art. 8.2 und 8.3:
Nicht erwerbstätige Minderjährige gelten als invalid, wenn die Beeinträchtigung ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit voraussichtlich eine ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit zur Folge haben wird.
Volljährige, die vor der Beeinträchtigung ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit nicht erwerbstätig waren und denen eine Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann, gelten als invalid, wenn eine Unmöglichkeit vorliegt, sich im bisherigen Aufgabenbereich zu betätigen.
Merke: Die Invalidität ist somit eine rein rechtliche und keine medizinische Definition.
Damit eine Invalidität angenommen werden kann, müssen drei Elemente vorliegen:
Nicht jede Gesundheitsbeeinträchtigung eröffnet den Anspruch auf Leistungen der IV. Obwohl es sich beim medizinischen Aspekt um ein wichtiges Kriterium handelt, sind ausschliesslich die wirtschaftlichen Folgen des Leidens zu berücksichtigen. Mit anderen Worten, eine Diagnose ist zwar Voraussetzung, nicht aber Begründung einer Leistung. Beispiel: Der Verlust eines Fingergliedes bedeutet für einen Violinisten nicht dasselbe wie für einen Buchhalter.
Eine invalide Person hat in erster Linie Anspruch auf Leistungen, welche die durch den Gesundheitsschaden verursachte Beeinträchtigung vermindern, beseitigen (bestimmte medizinische Massnahmen, gemäss IVG Art. 12 und 13) oder deren Auswirkungen mildern (Massnahmen beruflicher Art, Hilfsmittel). Der Anspruch auf Rente besteht erst in zweiter Linie.
Merke: seit der 5. IVG-Revision gibt es die Anmeldung und die Meldung
Anmeldung: Um Leistungen der IV in Anspruch nehmen zu können, benötigt die IV nach wie vor eine von der versicherten Person selbst unterzeichnete Anmeldung. Das Formular kann bei der IV-Stelle bezogen werden, auf deren Homepage oder bei folgender Adresse heruntergeladen werden:
http://www.kdmz.zh.ch/KundenUpload/wpforms/iv_ai/pdf/001.001/001.001_anmeldung_d_r.pdf
Mit der Anmeldung gibt die versicherte Person auch das Einverständnis, alle nötigen Informationen zur Abklärung des Leistungsanspruchs einzuholen.
Merke: Für die IV gilt - als einzige Sozialversicherung gemäss dem neuen Artikel 6a IVG - dass diese angefragten Stellen und Personen zur Auskunft berechtigt und verpflichtet sind (vgl. dazu auch Ziffer 2.6.3).
Meldung: Damit im Rahmen der Früherfassung (siehe unter Sachleistung) die Personen, denen die IV möglicherweise rasch mit Leistungen im Sinne der Frühintervention Hilfestellung bei der beruflichen Reintegration bieten kann, wurde die Möglichkeit einer Meldung, auch von Aussenstehenden, ins Gesetz aufgenommen. Das entsprechende Melde-Formular kann über den gleichen Weg wie die Anmeldung (siehe oben) bezogen werden.
Invalide oder von Invalidität bedrohte Versicherte haben Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, soweit diese notwendig und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich (z.B. Haushaltführung) zu betätigen, wieder herzustellen, zu erhalten oder zu verbessern. Der Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen besteht unabhängig von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit vor Eintritt der Invalidität. Dabei ist die gesamte noch zu erwartende Arbeitsdauer zu berücksichtigen. Als Leistungen der Invalidenversicherung, die auf die Eingliederung der Behinderten ausgerichtet sind, gelten:
Diese werden in Form von Renten oder Hilflosenentschädigungen ausgerichtet.
InvalidenrenteEine IV-Rente wird nur zugesprochen, wenn zuerst die Möglichkeit einer Eingliederung geprüft wurde und eine Re-Integration sich als nicht oder nur teilweise möglich erwiesen hat. Der Invaliditätsgrad bestimmt, auf welche Rente eine versicherte Person Anspruch hat:
Merke: Anspruch auf Sachleistungen besteht bereits ab 20 % Einschränkung.
Bestimmung des IV-Grades: Zur Bestimmung des Invaliditätsgrades kommen je nach beruflicher Situation vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung vier Methoden zur Anwendung.
Anspruch auf eine Invalidenrente besteht, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
Mindestens 3 Jahre Beitragsdauer (IVG, Art. 36.1)
Die versicherte Person war während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens zu 40% arbeitsunfähig und nach Ablauf des Jahres besteht eine Erwerbsunfähigkeit von 40% oder mehr.
Der Anspruch auf eine Rente entsteht frühestens sechs Monate nach dem Zeitpunkt der Anmeldung bei der IV, aber frühestens in jenem Monat, der auf die Vollendung des 18. Altersjahres folgt.
Merke: Für Sachleistungen besteht keine Wartefrist.
Darum sollen Meldung und Anmeldung erfolgen, sobald eine vollumfängliche Rückkehr an den Arbeitsplatz oder ins Betätigungsfeld aus gesundheitlichen Gründen gefährdet erscheint.
Sie sind bestimmt für versicherte Personen, die wegen der Beeinträchtigung der Gesundheit für alltägliche Lebensverrichtungen (Ankleiden, Essen, Körperpflege) dauernd der Hilfe Dritter oder der persönlichen Überwachung bedürfen.
Hilflose Minderjährige können ebenfalls eine Hilflosenentschädigung erhalten. Im ersten Lebensjahr entsteht der Anspruch, sobald voraussichtlich während mehr als 12 Monaten eine Hilflosigkeit besteht.
Für Minderjährige, die ein zeitliches Mindestmass an intensiver Betreuung brauchen, wird unter bestimmten Voraussetzungen ein Intensivpflegezuschlag ausgerichtet. Dieser Zuschlag entfällt bei einem Aufenthalt in einem Heim.
Als hilflos gelten auch volljährige Versicherte, die zu Hause leben und dauernd auf lebenspraktische Begleitung angewiesen sind. Das heisst, sie sind aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigung
Nur Bezüger von mindestens einer Viertelsrente haben Anspruch auf diese Art von Hilflosenentschädigung.
Die IV unterscheidet drei Stufen der Hilflosigkeit: leicht, mittel und schwer. Die Entschädigung ist unterschiedlich hoch, je nachdem, ob die Versicherten im Heim oder im eigenen Zuhause wohnen, wobei die Hilflosenentschädigung für Versicherte, die sich in einem Heim aufhalten, die Hälfte der Ansätze für Versicherte zu Hause beträgt.
Die Mitwirkungspflicht bedeutet, dass die versicherte Person und der Arbeitgeber bei der Abklärung aktiv mitwirken und alle Auskünfte erteilen müssen, die zur Festlegung der Versicherungsleistungen notwendig sind. (ATSG, Art. 28.1-3 und IVG, Art. 6a). Die Mitwirkungspflicht besteht somit ab Meldung/Anmeldung.
Die Schadenminderungspflicht oder Schadenminderungsauflage (SMA) kann durch die IV gefordert werden, wenn einer versicherten Person eine Leistung der IV zugesprochen wird und gemäss Abklärung davon ausgegangen werden kann, dass durch geeignete therapeutische Massnahmen die Arbeitsfähigkeit (AF) soweit gebessert werden kann, dass damit ein rentenrelevantes, höheres Erwerbseinkommen erzielt werden könnte.
Die SMA dient letztlich dem Gesamtinteresse aller Versicherten, Leistungen, die zumutbarerweise vermieden werden können, nicht übernehmen zu müssen.
Muss davon ausgegangen werden, dass die Massnahmen bloss zu einem verbesserten Wohlbefinden ohne Aussicht auf verbesserte AF führt, so dürfen sie nicht verlangt werden.
Geforderte Massnahmen können sein, psychiatrische Therapien im Rahmen anerkannter Lehrmeinungen, Einnahme von einem Facharzt verordneter Medikamente, Operationen, Physio- und Ergotherapien, aber u.U. auch Wohnungswechsel.
Diese Massnahmen müssen aber zumutbar sein. Sie dürfen keine Gefahr für Leben und Gesundheit darstellen (ATSG, Art. 21.4). Weitere Kriterien der Zumutbarkeit sind auch soziale und finanzielle Fragen. In der Regel gelten Therapien, die in der Grundversicherung des KVG versichert sind, als finanziell zumutbar. Es kann in diesem Bereich aber zu Schnittstellendiskussionen zwischen IV/RAD und vertrauensärztlichem Dienst eines Krankenversicherers kommen.
Die Zumutbarkeit ist individuell zu prüfen. Die Schwelle der Zumutbarkeit ist auch abhängig von der Höhe des versicherten Schadens.
Wird eine Schadenminderungsauflage aufgestellt, so wird nach 1-2 Jahren im Rahmen einer Revision überprüft, ob die versicherte Person die Auflagen erfüllt hat. Sollte dies nicht der Fall sein, kann die Leistung der IV reduziert oder aufgehoben werden. Dazu ist aber die versicherte Person vorher schriftlich zu mahnen und auf die Rechtsfolgen hinzuweisen (Mahn- und Bedenkzeitverfahren).
Entscheidend für die weitere Gewährung der Leistung ist nur, ob die versicherte Person sich bemüht hat, die Massnahmen zu befolgen. Sollte der erhoffte therapeutische Erfolg ausbleiben, hat dies keinen Einfluss auf die zukünftigen Leistungen.
Auch wenn für vertrauensärztliche Abklärungen folgende Geldleistungen keine direkte Bedeutung haben, seien sie der Vollständigkeit halber angeführt. Der Bund unterstützt finanziell via IV private Organisationen der Behindertenhilfe zur Förderung der beruflichen und sozialen Eingliederung mit dem Ziel, Behinderten eine möglichst selbstbestimmte und selbstverantwortliche Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Die Beiträge dienen der Finanzierung von Leistungen in den Bereichen Beratung und Betreuung, Fach-, Freizeit- und Sportkurse, Ferienlager sowie Informations- und Öffentlichkeitsarbeit.
Jeder Kanton verfügt über eine eigene von der Kantonsverwaltung unabhängige IV-Stelle. Je nach Kanton sind diese unterschiedlich organisiert: Einige IV-Stellen werden autonom geführt, andere wiederum sind den kantonalen Ausgleichskassen unterstellt oder einer kantonalen Sozialversicherungsanstalt (SVA) angeschlossen. Zusätzlich besteht die IV-Stelle für Versicherte im Ausland. Sie ist der Zentralen Ausgleichsstelle der AHV (ZAS) und somit der Bundesverwaltung angeschlossen. Somit haben wir in der Schweiz 27 IV-Stellen. Die kantonalen IV-Stellen unterstehen der fachlichen, administrativen und finanziellen Aufsicht des Bundes, die vom BSV ausgeübt wird. (http://www.ahv.ch/ --> IV-Stellen)
Jede Abklärung des Anspruchs auf Leistungen der IV beinhaltet grundsätzlich auch eine medizinische Beurteilung des Gesundheitsschadens und dessen Auswirkungen auf die Tätigkeiten der versicherten Person. Die Würdigung der vorliegenden medizinischen Berichte und Gutachten wie auch allfällig notwendige medizinische Untersuchungen werden von regional strukturierten ärztlichen Diensten (RAD) vorgenommen. Die RAD beurteilen im Rahmen der Frühintervention die Wiedereingliederungsfähigkeit und die Zumutbarkeit im Bereich der beruflichen Massnahmen und im Rentenfall die Arbeitsunfähigkeit gemäss ATSG, Art. 6. Wichtig ist dabei auch die Trennung von IV-relevanten und IV-fremden Faktoren (siehe Kapitel Rechtsprechung). In der Schweiz gibt es 10 RAD, die je nach Gebiet 1 bis 6 IV-Stellen mit dem nötigen medizinischen Know-how bedienen.
Bei ungenügenden Entscheidungsgrundlagen können die RAD selbst Untersuchungen von Versicherten durchführen oder externe Gutachten via IV-Stelle in Auftrag geben.
Mit den RAD wird eine Vereinheitlichung der für das Entscheidverfahren notwendigen medizinischen Grundlagen sowie eine gesamtschweizerisch möglichst einheitliche, qualitätsoptimierte und speditive Beurteilung der Leistungsgesuche angestrebt.
Grundsätzlich können die RAD nur von den zuständigen IV-Stellen Aufträge entgegennehmen. Um aber den interkollegialen Kontakt zu fördern sind hier die RAD tabellarisch aufgeführt:
RAD | IV-Stellen | Adresse | Tel. Sekretariat |
SMR Suisse Romande | JU, NE, VD, GE | 1800 Vevey,Av. Général-Guisan 8 | 021 925 86 21 |
SMR Rhône | VS | 1951 SionAvenue de la Gare 15 | 027 324 97 22 |
RAD Mittelland West | BE, FR, SO | 3007 BernChutzenstrasse 10 | 031 379 73 16 |
RAD beider Basel | BS, BL | 4103 BottmingenWuhrmattstrasse 21 | 061 425 25 50 |
RAD Mittelland | AG | 5001 AarauHintere Bahnhofstrasse 8 | 062 836 84 77 |
RAD Zentralschweiz | UR, SZ, OW, NW, LU, ZG | 6002 LuzernLandenberstrasse 35 | 041 369 09 00 |
SMR Sud | TI, GR (Teil) | 6501 BellinzonaVia dei Gaggini 3 | 091 821 94 81 |
RAD Nordostschweiz | GL, SH, ZH | 8087 ZürichRöntgenstrasse 17 | 044 448 52 21 |
RAD Ostschweiz | AI, AR, GR, TG, SG | 9016 St. GallenBrauerstrasse 54 | 071 282 65 36 |
SMR Ausland | Ausland | 1211 GenèveAv. Ed.-Vaucher 18 | 022 795 96 71 |
Bei unvollständiger medizinischer Aktenlage kann die IV, meist auf Empfehlung des RAD, Einzel-, bidisziplinäre oder polydisziplinäre Gutachten in Auftrag geben. Während für die ersten formelle oder informelle Abmachungen direkt mit der IV-Stelle bestehen, haben die polydisziplinär tätigen Institutionen (MEDAS = medizinische Abklärungsstellen) Verträge direkt mit dem BSV, bzw. mit der IV.
Für berufliche Abklärungen stehen der IV die Beruflichen Abklärungsstellen (BEFAS) zur Verfügung.
Bei der Abklärung des Anspruchs auf IV-Leistungen wirken die Ausgleichskassen in zweifacher Hinsicht mit: Sie liefern die nötigen Grundlagen, damit die Voraussetzungen für den Versicherungsanspruch geprüft werden können (insbesondere die Ermittlung der Beitragszeiten). Zudem sind die Ausgleichskassen für die Auszahlung der Renten, Taggelder und der Hilflosenentschädigungen zuständig.
Die Zentrale Ausgleichsstelle ist ein Versicherungsorgan der IV auf Bundesebene. Sie erledigt die zentrale Abrechnung. Die IV-Stellen leiten der Zentralen Ausgleichsstelle als Zahlstelle für IV-Sachleistungen die Rechnungen von Ärzten, Spitälern, Eingliederungsstätten und Hilfsmittellieferanten zur Begleichung weiter.
Das BSV sorgt für eine schweizweite einheitliche Anwendung des Gesetzes und ist Aufsichtsorgan über die 26 kantonalen IV-Stellen und die IV-Stelle für Versicherte im Ausland. Es gibt Kriterien vor, um die Wirksamkeit, Qualität und Einheitlichkeit der Erfüllung der Aufgaben zu gewährleisten und überprüft die Einhaltung dieser Kriterien. Die fachliche Aufsicht wird durch allgemeine Richtlinien und im Einzelfall durch Weisungen sowie durch jährlich durchgeführte Audits in allen IV-Stellen ausgeübt. Die RAD unterstehen ebenfalls der direkten fachlichen Aufsicht durch das BSV, sie sind aber in ihren medizinischen Sachentscheiden im Einzelfall unabhängig (IVG Art. 592bis).
Bundesverfassung 8. Abschnitt: soziale Sicherheit, Art.111 ff.
ATSG mit der entsprechenden Verordnung ATSV
IVG (1960) Struktur und Finanzierung: „kleine Schwester der AHV“
IVV Verordnung zum IVG
GgV Geburtsgebrechenverordnung
Kreisschreiben (langfristige verwaltungsinterne Weisungen katalogisiert)
Rundschreiben (eher kurzfristige Mitteilungen)
Als Leitentscheide des BG werden Urteile genannt, die in der ersten Kammer des BG (Fünferkammer, sonst Dreierkammern) im Rahmen eines Streitfalles zu einem wichtigen Thema gefällt werden. Siehe auch http://www.bger.ch/
Hier eine kleine Auswahl:
In diesem Urteil wird festgehalten, dass die primäre Sucht (keine vorbestehende sucht-auslösende psychiatrische Erkrankung und keine Sucht-Folgeschäden) ist durch die IV nicht versichert ist, bzw. nicht als medizinische Begründung für eine Leistung angeführt werden kann.
Die Beeinträchtigung der AF durch Alter, mangelnde Schulbildung, schlechte Sprachkenntnisse oder schlechte Arbeitsmarktlage ist nicht versichert.
Psychosoziale Belastungen für sich allein bilden keine Begründung einer Invalidität. Es braucht in jedem Fall zur Annahme einer Invalidität ein medizinisches Substrat. Je stärker psychosoziale oder soziokulturelle Faktoren im Einzelfall in den Vordergrund treten und das Beschwerdebild mitbestimmen, desto ausgeprägter muss eine fachärztlich festgestellte psychische Störung von Krankheitswert vorhanden sein.
Sinngemäss kann nach diesem Urteil eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ASS) nur unter besonderen Voraussetzungen (schwere psychische Comorbidität) und nur ausnahmsweise die „Annahme einer rechtserheblichen Arbeitsunfähigkeit“ begründen. In aller Regel ist bei einer ASS von einer Zumutbarkeit einer Willensanstrengung zur Überwindung der Schmerzen auszugehen.
Im Gegensatz zu anderen Sozialversicherungen wurde mit der 5. IVG-Revision für die IV das Auskunftsrecht und die Auskunftspflicht erweitert. Während beim KVG und anderen Sozialversicherungen geklärt werden muss, welche der Leistungen von einem Leistungserbringer übernommen werden müssen (Prinzip der Rückerstattung), gilt für die IV abzuklären, welche IV-Leistungen der versicherten Person an sich zustehen.
In Abweichung von Artikel 28 Absatz 3 ATSG ermächtigt die versicherte Person mit der Geltendmachung des Leistungsanspruchs die in der Anmeldung erwähnten Personen und Stellen, den Organen der Invalidenversicherung alle Auskünfte zu erteilen und alle Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die für die Abklärung von Leistungs- und Regressansprüchen erforderlich sind. Diese Personen und Stellen sind zur Auskunft verpflichtet.
Die gesetzliche Regelung zur Auskunftserteilung gegenüber der IV-Stelle geht auch der ärztlichen Schweigepflicht nach Art. 321 StGB vor, liegt doch mit der Unterschrift der versicherten Person auf der Anmeldung deren gesetzlich verankerte Einwilligung vor1.
Gemäss Artikel 12 werden bei Versicherten bis zum 20. Lebensjahr medizinische Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet und geeignet sind, übernommen. Erfahrungsgemäss bietet die Unterscheidung „Behandlung des Leidens an sich“ und „unmittelbar auf die Eingliederung gerichtet“ auch auf medizinisch fachlicher Ebene Anlass zu Diskussionen.
Gemäss Artikel 13 werden bei Geburtsgebrechen (Gg) die med. Massnahmen durch die IV übernommen. Hier sind gelegentlich die Kriterien zu den Gg Gegenstand von Diskussionen.
Die IV hat das Recht, eine zugesprochene Leistung mit einer SMA zu verbinden. Diese kann eine medizinische Massnahme sein, z.B. eine Psychotherapie. Eine SMA muss zumutbar sein, nicht zuletzt auch in finanzieller Hinsicht. Gelegentlich scheitert eine Massnahme, wenn die Grundversicherung die Kosten nicht übernehmen kann oder will.
Mit der 5. IVG-Revision beginnt der Rentenanspruch frühestens nach Ablauf von 6 Monaten nach Geltendmachung des Leistungsanspruchs (IVG Art. 29). Eine rückwirkende Rentenauszahlung ist im Gegensatz vor der 5. IVG-Revision nicht mehr möglich. Der Taggeldversicherer hat darum alles Interesse bei einer drohenden Invalidität den Versicherten der IV zu melden (IVG Art.3b). Umgekehrt hat die IV alles Interesse, den Versicherten möglichst frühzeitig zu erfassen.
Die erweiterte interinstitutionelle Zusammenarbeit IIZ-plus zielt auf die frühzeitige eingliederungsorientierte Zusammenarbeit zwischen den IV-Stellen und den ihr vorgelagerten Versicherern. Seit Anfang 2008 besteht eine neue Vereinbarung zwischen den IV-Stellen, den Krankentaggeld- (KTG) und Unfallversicherern (UVG) sowie den Vorsorgeeinrichtungen der beruflichen Vorsorge (BVG). Die IV-Stellen, Versicherer und Vorsorgeeinrichtungen, die bis heute der Vereinbarung beigetreten sind, wollen damit die umfassende berufliche Eingliederung mit gemeinsamen koordinierten Anstrengungen beschleunigen.
Siehe auch http://www.iiz-plus.ch.
Die Finanzierung der IV ist seit ihrer Einführung eng an die AHV gekoppelt. Der AHV-Ausgleichsfonds ist für die zentrale Geld- und Vermögensverwaltung der AHV, der IV und der Erwerbsersatzordnung (EO) zuständig. Die bekannten hohen Defizite der IV könnten langfristig auch die AHV-Finanzierung beeinträchtigen. Das Inkrafttreten der 5. IV-Revision leistet bereits einen ersten wichtigen Beitrag zur Sanierung der Versicherung. Es blieb dennoch notwendig, auch auf der Einnahmenseite einzugreifen.
Deshalb verabschiedete das Parlament am 13. Juni 2008 eine Zusatzfinanzierung für die IV. Die Zusatzfinanzierung der IV besteht einerseits aus einer proportionalen MWST-Erhöhung von 0,4 Prozentpunkten vom 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2016 (7,6 → 8%; 2,4 → 2,5% und 3,6 → 3,8%). Es werden Einnahmen in der Höhe von 1,2 Milliarden Franken pro Jahr erwartet, womit das jährliche Defizit der IV gedeckt werden kann. Da dies jedoch eine Änderung der Bundesverfassung mit sich bringt, entscheiden nun voraussichtlich im Mai 09 das Volk und die Stände über das Schicksal der Finanzierung.
Andererseits wird für die IV per 1. Januar 2010 ein eigenständiger Ausgleichsfonds geschaffen, damit eine Querfinanzierung durch die AHV nicht mehr erforderlich ist. Um die für die Nutzung nötige Liquidität zu gewährleisten, überweist die AHV dem neu geschaffenen Fonds 5 Milliarden Franken. Liegen die Mittel des Fonds am Ende des Geschäftsjahrs über den anfänglichen 5 Milliarden, wird die überschüssige Summe zwecks Schuldentilgung der IV an den AHV-Fonds rücküberwiesen. Die Schuldzinsen der IV (ca. 360 Millionen Franken pro Jahr) werden während der Zeit der MWST-Erhöhung vollumfänglich vom Bund übernommen. Damit eine langfristige Lösung gefunden werden kann, muss der Bundesrat bis 31. Dezember 2010 eine Botschaft zur 6. IV-Revision vorlegen. Diese soll vor allem auf eine Sanierung durch Ausgabensenkung ausgerichtet sein.
Gesetzestexte und Verordnungen: http://www.vertrauensaerzte.ch/ -> Nachschlagewerke
Neues aus den Sozialversicherungen: Startseite BSV http://www.bsv.admin.ch ->Themen
Kontakt zu den IV-Stellen http://www.ahv.ch/Home-D/allgemeines/ivs/ivs.html
Kurt Häcki: Sozialversicherungen in der Schweiz, Reihe „Kompaktwissen CH“, Verlag Rüegger
Beatrice Schaub, Kurt Häcki: Sozialversicherungen kreuz und quer, Verlag Rüegger
1 | vgl. die Artikel von Ralph Leuenberger „Neue datenschutzrechtliche Grundlage für das IV-Abklärungsverfahren“ in CHSS 2/2008 (http://www.bsv.admin.ch/dokumentation/publikationen/00096/01976/02176/index.html?lang=de) sowie Gisella Mauro und Djordje Rajic „Mitwirkung der behandelnden ÄrztInnen im Verfahren der Invalidenversicherung“ in CHSS 4/2007 (http://www.bsv.admin.ch/dokumentation/publikationen/00096/01577/01728/index.html?lang=de) |
Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte
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