Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

Exkurs: Der Off-Label-Use von Arzneimitteln, insbesondere bei Orphan Diseases

Ein Off-Label-Use eines Arzneimittels liegt vor, wenn ein von einer entsprechenden Bewilligungsbehörde für den freien Vertrieb zugelassenes – und damit auf die Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit geprüftes - Arzneimittel nicht gemäss den genehmigten Informationstexten (Fachinformation) abgegeben oder verwendet wird. Die Kostenübernahme für den Off-Label-Use ist in Art. 71 a KVV geregelt.

Ein Off-Label-Use eines Arzneimittels liegt vor, wenn ein von einer entsprechenden Bewilligungsbehörde für den freien Vertrieb zugelassenes – und damit auf die Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit geprüftes - Arzneimittel nicht gemäss den genehmigten Informationstexten (Fachinformation) abgegeben oder verwendet wird. Die Kostenübernahme für den Off-Label-Use ist in Art. 71 a KVV geregelt.

Die Vergütung von Leistungen im Off-label-use bestimmt sich nach Art. 71 a, c und d KVV. Die Vergütung für Orphan Drugs erfolgt entweder gemäss SL oder, falls sich das Arzneimittel nicht auf der SL befindet, gestützt auf Art. 71b b KVV, d.h. unter denselben Voraussetzungen wie beim Off-Label-Use. Insoweit bildet die Vergütung für Orphan Drugs einen Sonderfall des Off-Label-Use.

Nach diesen Bestimmungen und gemäss der Rechtsprechung sind ausnahmsweise auch die Kosten von nicht in der SL aufgeführten Arzneimitteln und von Arzneimitteln der SL ausserhalb der registrierten Indikationen und Anwendungsvorschriften zu übernehmen. Voraussetzung ist, dass ein sogenannter Behandlungskomplex vorliegt oder dass für eine Krankheit, die für die versicherte Person tödlich verlaufen oder schwere und chronische gesundheitliche Probleme nach sich ziehen kann, wegen fehlender therapeutischer Alternativen keine andere wirksame Behandlungsmethode verfügbar ist; dies falls muss das Arzneimittel einen hohen therapeutischen Nutzen haben (vgl. BGE 139 V 375). Die Kosten werden hierbei vom Versicherer nur nach vorgängiger Konsultation des Vertrauensarztes oder der Vertrauensärztin übernommen (Art. 71d Abs. 1 KVV). Der Versicherer hat hierbei unter anderem zu prüfen, ob die von der obligatorischen Krankenversicherung zu übernehmenden Kosten in einem angemessenen Verhältnis zum therapeutischen Nutzen stehen (Art. 71 d Abs. 2 KVV).

Ein Behandlungskomplex liegt gemäss der gesetzlichen Definition vor, wenn der Einsatz des Arzneimittels, um dessen Vergütung ersucht wird, eine unerlässliche Voraussetzung für die Durchführung einer anderen von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung übernommenen Leistung bildet und diese eindeutig im Vordergrund steht. Mit dem Begriff der unerlässlichen Voraussetzung werden strenge Voraussetzungen gestellt: Unerlässlich bedeutet nicht einfach wünschbar, sondern notwendig, damit die kassenpflichtige Haupttherapie erfolgreich sein kann. Damit dürfen bezüglich der Wirksam- und Zweckmässigkeit keine Zweifel bestehen. Bedeutsam ist dies z.B. bei der Beurteilung von Kombinationstherapien. Im alternativen Fall verlangt die gesetzliche Regelung für die Kostenübernahme, dass vom Einsatz des Arzneimittels ein grosser therapeutischer Nutzen gegen eine Krankheit erwartet wird, die für die versicherte Person tödlich verlaufen oder schwere und chronische gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen kann, und wegen fehlender therapeutischer Alternativen keine andere wirksame und leistungspflichtige Behandlungsmethode verfügbar ist. Auch dies sind eher strenge Voraussetzungen.

In der Regel ist nicht umstritten, ob eine Krankheit vorliegt, die für die versicherte Person tödlich verlaufen oder schwere und chronische gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen kann. Umstritten ist indessen oft das Vorliegen fehlender therapeutischer Alternativen. Verlangt ist, dass die Alternativen nicht wirksam sind. Damit wird auf die Wirksamkeit als Teil der WZW-Kriterien verwiesen. Wirksamkeit ist indes kein absoluter Standard. Wie ist bei einer mässigen oder eher geringen Wirksamkeit der zugelassenen Behandlungsmethoden vorzugehen? Hier kommt der grosse therapeutische Nutzen als Voraussetzung einer Kostenübernahme im Fall eines Off-Label-Use ins Spiel. Der therapeutische Nutzen ist im Zusammenhang mit der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit zu begutachten. Die Frage, ob ein therapeutischer Nutzen überhaupt vorliegt, ist hierbei rechtlich eine sog. Tatfrage. Der Nutzen hat sodann „hoch“ im Sinne der Gesetzgebung zu sein; dies ist (auch) eine Rechtsfrage. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung können die Fragen nach dem hohen therapeutischen Nutzen und der Wirtschaftlichkeit nicht getrennt voneinander beantwortet werden. Denn je höher der Nutzen einerseits ist, desto höhere Kosten können andererseits gerechtfertigt sein (siehe auch BGE 136 V 395 E. 6.3, 7.4.).

Das Bundesgericht hat klargestellt, dass für die Bejahung der Vergütungspflicht für Orphan Drugs auch die allgemeinen Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit gelten, wobei die Wirksamkeit nach wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen sein müsse, was eine rein einzelfallbezogene Beurteilung ausschliesse. Da es bei einem Off-Label-Use aber gerade nicht darum gehen kann, zu prüfen, ob ein Arzneimittel in die Spezialitätenliste aufzunehmen ist, habe sich die Beurteilung des grossen therapeutischen Nutzens an den Voraussetzungen für eine befristete Bewilligung nicht zugelassener Arzneimittel im Sinne von Art. 9 Abs. 4 HMG zu orientieren. Eine solche Zulassung setze das Vorliegen von Zwischenergebnissen klinischer Studien voraus, welche darauf hinweisen würden, dass ein grosser therapeutischer Nutzen zu erwarten sei. Sofern gar keine klinischen Studien vorlägen, ginge es nicht an, die Wirksamkeit alleine beruhend auf die Wirkung im Einzelfall zu bejahen, zumal eine Besserung auch spontan bzw. aus anderen Gründen eintreten könne (siehe auch BGE 136 V 395 E. 6.5.).

Bei der Beurteilung des therapeutischen Nutzens im Rahmen von Art. 71a, 71b und 71c KVV müssen bei Orphan Drugs in Bezug auf den Evidenzgrad von Studien letztlich tiefere Anforderungen als bei zulassungsbereiten Arzneimitteln genügen. Ansonsten ist es höchst fraglich, ob bei Orphan Drugs überhaupt jemals ein grosser therapeutischer Nutzen im Sinne der Gesetzgebung bejaht werden kann (Vgl. Anna Menzi, Die heilmittel- und krankenversicherungsrechtlichen Hürden der Zulassung, Abgabe und Vergütung eines Arzneimittels unter besonderer Berücksichtigung der Abgabe und Vergütung des Off-Label-Use, Unlicensed-Use und Compassionate-Use, St. Gallen 2011 S. 53).

Die vom Versicherer zu übernehmenden Kosten müssen sodann stets in einem angemessenen Verhältnis zum therapeutischen Nutzen stehen (Art. 71 d KVV). Dies ist eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Bei Arzneimitteln, welche in die Spezialitätenliste aufgenommen werden, findet die Wirtschaftlichkeitsprüfung bei der Aufnahme in die Liste statt. Bei denjenigen, die nicht auf der Liste stehen, ist die Wirtschaftlichkeit demgegenüber im Einzelfall zu prüfen(BGE 136 V 395, E.7.1.). Dabei spielt die vertrauensärztliche Beurteilung eine wichtige Rolle. Die Meldungen des Vertrauensarztes enthalten hierbei wichtige Informationen, welche für die Bemessung der Vergütungshöhe der von Swissmedic registrierten Arzneimittel (Art. 71a und Art. 71b) relevant sind (siehe Rüefli/Bolliger, Off-Label-Use in der OKP S. 27 f. und 30).

Die gemäss gesetzlicher Regelung im Fall des Off-Label-Use ausnahmsweise Kostenübernahme bei Orphan Disease steht in einem Spannungsverhältnis zur Rechtgleichheit, wie das so genannte Myozyme-Urteil des Bundesgerichts zeigt. In diesem Entscheid zur Kostenübernahme eines off-label-Arzneimittels bei einem Orphan-Disease-Fall hat das Bundesgericht festgehalten, dass staatlich administrierte Güter nicht unbegrenzt zur Verfügung stünden und allgemein auf eine möglichst rechtsgleiche Verteilung hinzustreben sei. Verallgemeinerungsfähig sei nur, was allen, die sich in einer gleichen Situation befänden, in gleicher Weise angeboten werden könne. Ohne besondere Rechtfertigung sei es mit der Rechtsgleichheit und der Gleichwertigkeit aller Menschen nicht vereinbar, einzelnen Versicherten Leistungen zu erbringen, die anderen Versicherten gegenüber in der gleichen Lage nicht erbracht würden. Leistungen zu erbringen, welche nicht verallgemeinerungsfähig seien, verletze daher den Grundsatz der Rechtsgleichheit (BGE136 V 395 E. 7.7). Das Bundesgericht machte bei seinen Erwägungen zur Verallgemeinerungsfähigkeit von Kosten keinen Unterschied zwischen häufigen und seltenen Krankheiten, was die ― vermeintlich ― rechtsgleiche Verteilung der Mittel, zu einer Verletzung der Chancengleichheit von Patienten, welche an seltenen Krankheiten leiden, mutieren lässt. Der Grundsatz der Verallgemeinerungsfähigkeit darf aber nicht dazu führen, dass Ungleiches – d.h. Orphan-Diseases und häufige Krankheiten – gleich behandelt wird (Vgl. Poledna/Tschopp, Der Myozyme-Entscheid des Bundesgerichts, Jusletter 7. Februar 2011).

Das Bundesgericht stellte im Myozyme-Urteil in der Folge fest, dass Beträge von maximal ca. CHF 100‘000.- pro gerettetes Menschenjahr noch als angemessen zu betrachten seien. Damit führte das Bundesgericht gestützt auf die Verteilgerechtigkeit im Rahmen von Art. 8 Abs. 1 BV einen bezifferten Schwellenwert ein, dessen Berechnungsgrundlage teilweise in Frage gestellt wird. Kritisiert wurde zuweilen auch die Anrufung der undifferenzierten Verteilgerechtigkeit. Es ist nicht klar, wie verbindlich der Wert von CHF 100‘000.- ist und ob er auf andere Orphan-Disease-Fälle übertragen werden kann bzw. sogar muss. Ausserdem stellt sich hier auch die Frage, ob der Fall anders beurteilt worden wäre, wenn nur ganz wenige Personen gleich gesundheitlich betroffen gewesen wären. Bestünde gar die Möglichkeit, dass bei fehlender Kumulation von Leistungen die Ausrichtung höherer Beträge in Frage käme? (siehe auch Poledna/Tschopp, Jusletter Rz 25 f., zur Infragestellung der Verbindlichkeit der Kostenübernahmegrenze, ferner Caci/Simon/Wasserfallen, Schweiz. Ärztezeitung 2012;93(34):1228-31).

Die Höhe der Vergütung bestimmt der Versicherer nach Absprache mit der Zulassungsinhaberin, wobei beim einfachen Off-Label-Use der vergütete Preis unter dem SL-Preis zu sein hat um Zulassungsinhaberinnen den Anreiz zu vermitteln, bei nicht zugelassenen Indikationen eine Zulassung zu beantragen. Bei nicht zugelassenen importierten Arzneimitteln erfolgt die Vergütung der Kosten zum Importpreis. Eine besondere Herausforderung können in diesem Zusammenhang „Pay for Perfomance“-Schemata sein. Das KVG geht von ex-ante-, nicht ex-post-Preisfixierungen aus. p4p ist in diesem Sinne auch systemwidrig.

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