Die Kinderonkologie unterscheidet sich von der Onkologie bei Erwachsenen (Link) durch teils andere Krankheitsbilder mit teils unterschiedlichen Behandlungskonzepten. Nur etwa 1% aller Krebserkrankungen treten bei Kindern und Jugendlichen auf. Sie gehören aber dennoch zu den häufigsten tödlichen Erkrankungen und führen immer noch zur zweithäufigsten Todesursache bei europäischen Kindern nach dem ersten Lebensjahr. Die Leukämie ist mit etwa 1/3 aller Neoplasien die häufigste Krebserkrankung im Kindesalter, gefolgt von Hirntumoren, Lymphomen und einigen typischen kindlichen Malignome wie Neuroblastom, Nephroblastom und Sarkome. Die bei Erwachsenen sehr häufigen Neoplasien, wie die gängigen Karzinome, sind bei Kindern und Jugendlichen eine Rarität. Bei Kindern mit Krebserkrankungen stehen eine frühzeitige Diagnose sowie eine aggressive Behandlung im Vordergrund. Rehabilitation und Palliative-Care, sowie die Erkennung und Behandlung von Therapiefolgen (siehe auch Kinderkrebs.de, Onkopedia, Guidelines) sind im weiteren Verlauf von besonderer Bedeutung. Die primären Therapieziele bei onkologischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter sind Heilung oder zumindest eine Verbesserung klinischer Symptome bei möglichst hoher Lebensqualität.
Der Vertrauensarzt wird im Rahmen der onkologischen Arzneimitteltherapie vor allem mit Fragen des «off label use», «off limitation use» oder „unlicensed use“ konfrontiert (siehe auch Kapitel Arzneimittel).
Als Therapiemodalität bezeichnet man Therapiemethoden wie beispielsweise Operation, Radiotherapie oder Arzneimitteltherapie. Gelegentlich wird eine Knochenmarktransplantation notwendig (Hochrisikoleukämien).
Die Wahl der Therapiemodalität bzw. der Kombination von Therapiemodalitäten ist von Tumor- und/oder Patienten-spezifischen Faktoren abhängig.
Tumorspezifische Faktoren (beinhaltet auch die Leukämie):
Patientenspezifische Faktoren:
Je nach Tumor- oder Patienten-spezifischen Faktoren sowie Therapieziel können mehrere Therapiemodalitäten gleichzeitig oder nacheinander angewendet werden. Den Einsatz mehrerer Therapiemodalitäten im Rahmen eines Therapiekonzeptes nennt man multimodale Therapie.
Solide Tumoren werden gemäss Lokalisation (Link), Histologie (inkl. Differenzierungsgrad) (Link), molekularbiologischer Parameter und anatomischer Ausbreitung (Stadium) (Link) klassifiziert. Leukämien und Lymphome werden nach immunologischem Subtyp, genetischem Profil der Leukämie/Lymphomzelle und anderen klinischen und biologischen Parameter (wie z. B. Ansprechen auf Therapie, minimale Resterkrankung) in Risikokategorien eingeordnet.
Zur Die Abschätzung der Prognose basiert auf dem histologischen Subtyp, dem Tumorstadium, auf biologischen Tumorparametern und den bisherigen Erfahrungen entsprechender Entitäten im Rahmen von Therapiestudien. Die TNM-Klassifikation (Link) von gewissen soliden Tumoren und die Klassifikation von Hirntumoren, WHO-Einteilung I-IV (Link) können dabei hilfreich sein. Einzelne pädiatrische Tumoren haben aber oft ihr eigenes Klassifizierungssystem (Beispiele: Neuroblastome (Link) und Nephroblastome (Link). Die Risikoeinschätzung von Leukämien hat sich im Laufe der Zeit auf Grund neuer Erkenntnisse immer wieder etwas gewandelt und muss im Kontext der jeweiligen Therapiestudien, in denen sie behandelt werden, betrachtet werden.
Bei zahlreichen soliden Tumoren richtet sich die Prognose auch stark nach dem Resultat der operativen Tumorentfernung.
R0 = | Tumor vollständig entfernt, auch bei mikroskopischer Untersuchung |
R1 = | Tumor makroskopisch vollständig entfernt, mikroskopischer Tumornachweis bis Resektionsrand |
R2 = | Tumor makroskopisch unvollständig entfernt |
RX = | nicht beurteilbar |
Sie sind vor allem für die Abklärungen wegweisend. Gewisse klinische Parameter haben auch eine prognostische Bedeutung (Beispiel B-Symptomatik bei Hodgkin Erkrankung).
Voraussage des individuellen Krankheitsverlaufes aufgrund epidemiologischer, klinischer und biologischer Faktoren (vor allem bei Leukämien, malignen Hirntumoren und Neuroblastom) ohne oder mit Therapie.
Das Ansprechen auf die Therapie ist bei verschiedenen Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter von besonderer Relevanz, insbesondere bei Leukämien. Speziell bei der akuten lymphatischen Leukämie, der häufigsten Krebserkrankung im Kindesalter, handelt es sich um einer der wichtigsten prognostischen Parameter in Bezug auf Langzeitremission.
Tumorrezidiv (Link zu Onkologie)
Metastasierung (Link zu Onkologie)
Die Toxizität wird gemäss der „Common Terminology Criteria for Adverse Events“ (CTCAE) wie in der Erwachsenenonkologie beurteilt.
Begriffe | Definitionen |
Kontinuierliche Therapie | Behandlung mit einer Therapiemodalität oder Arzneimittelkombination ohne sich wiederholende Intervalle |
Blocktherapie | Chemotherapiekombinationen, die sich in regelmässigen Intervallen (ca. 3-4 wöchentlich in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen |
Zyklus | Zeitintervall bis Wiederholung derselben Arzneimittelkombination |
Metronomisch | Tägliche/Wöchentliche kleine Dosierung einer Chemotherapie zB. MTX/6-Mercaptopurin/Endoxan/ Etoposid |
RECIST-Kriterien | Beurteilung des Therapieerfolges |
CTC-Kriterien | Beurteilung der Therapietoxizität |
Therapieresistenz | Progression unter Therapie |
Therapieversagen | Therapieziel wird nicht erreicht. Progression nach initialem Therapieansprechen |
Die Remissionsbeurteilung ist teils Tumor abhängig und wird nicht immer gleich definiert. Im Rahmen von Therapiestudien stellt der Remissionsstatus oft die sogenannten Endpunkte (objektiv feststellbares Behandlungsergebnis) dar. Diese werden studienabhängig festgelegt.
Begriffe | Definitionen |
Komplette Remission | Meist vollständiger Tumorrückgang |
Molekulare Remission | Wird vor allem im Rahmen von Leukämien zunehmend verwendet. Dabei wird der Remissionsstatus der Leukämie unterhalb der lichtmikroskopischen Nachweisgrenze definiert |
Partielle Remission | Bedeutet mehrheitlich eine Reduktion des Tumorvolumens von mehr als 50% |
Minimal Response | Tumorvolumen um 25–50 % reduziert |
Stabile Erkrankung | Auch „persistent disease“ genannt Änderung des Volumens um weniger als 25 % |
Progression | Wachstum des Tumors um mehr als 25% |
Bei pädiatrisch-onkologischen Therapien wird primär meist ein kuratives Konzept angestrebt. Dabei richten sich die Therapien nach Standards, welche im Rahmen von internationalen Therapiestudien erarbeitet worden sind.
Falls immer möglich, werden pädiatrische Patienten mit Krebserkrankungen im Rahmen einer internationalen Therapiestudie behandelt, da dies üblicherweise eine «state of the art» Therapie bedeutet. Eine solche Behandlung bietet nicht nur Gewähr für die besten Heilungschancen, sie beinhaltet auch eine kontinuierliche Qualitätskontrolle von Diagnostik und Therapie. Mehrheitlich handelt es sich um multimodale Therapien mit über Jahre erprobten Medikamenten im «off label use». In der allergrössten Mehrzahl handelt es sich bei diesen klinischen Therapiestudien um sogenannte akademische Studien, welche nicht Pharma gesponsert sind. Im Rahmen dieser Therapiestudien erfolgen oft auch Randomisierungen, teils mit neuen Dosierungen von im «off label use» gebrauchten, gut bekannten Medikamenten, teils mit neuen Kombinationen verschiedener Medikamente. Gelegentlich werden auch ganz neue Substanzen mit in die Randomisierung einbezogen, die aber üblicherweise im Sektor der Erwachsenenonkologie oft für andere Indikationen schon erprobt worden sind. Es gibt Therapiestudien, bei denen solche neuen Substanzen von der Pharmafirma gesponsert werden. Daneben werden aber auch neue Substanzen im Rahmen von internationalen Therapiestudien im pädiatrischen Sektor erprobt, für welche die Pharmafirma kein Interesse an einem Sponsoring hat.
Supportive therapeutische Massnahmen im Rahmen von kurativen Therapiekonzepten sind von hoher Relevanz, sollen sie einerseits schwere Infektionen vermeiden (Prophylaxe, Hygiene-Massnahmen) (Link) oder kontrollieren (Therapie von Infektionen), anderseits andere Chemotherapie bedingte Toxizitäten verringern.
Diese werden im Rahmen von internationalen Therapiestudien und Therapieempfehlungen ausgesprochen, welche im pädiatrisch-onkologischen Sektor auf vorangegangene oder aktuelle Therapiestudien basieren. Mehrheitlich kommen dabei von der Swissmedic oder EMEA anerkannte onkologische Arzneimittel zur Anwendung. Die Swissmedic-Zulassung beinhaltet aber gehäuft nicht die entsprechende pädiatrische Tumorindikation, sondern richtet sich vor allem an Krebserkrankungen im Erwachsenensektor. Die internationale pädiatrisch-onkologische Gemeinschaft hat aber meist in zahlreichen klinischen Studien über die letzten 40 Jahre die Wirksamkeit und die Sicherheit der entsprechenden Substanzen für die entsprechende Tumorentität nachgewiesen (siehe Leitlinien der GPOH (Link)).
Firstline: | Erste Therapielinie |
Secondline: | ab Umstellung der Therapie (wegen Progression, ungenügenden Ansprechens oder Toxizität) |
Zytostatika waren die ersten und sind heute noch die am meisten angewendeten antineoplastischen Arzneimittel. Sie wirken unspezifisch auf die Zellteilung und weisen eine sehr geringe therapeutische Breite auf. Sie schädigen häufig und früh Knochenmark und Schleimhäute. Sie werden fast immer in Kombination als Polychemotherapie angewandt. Sehr gute Erfolge werden bei einem Grossteil der pädiatrischen malignen hämatologischen Erkrankungen erzielt. Erfreuliches Tumoransprechen findet man auch bei einem Grossteil der diversen soliden Tumoren, welche meist im Rahmen von multimodalen Therapien in Kombination mit Chirurgie und Radiotherapie angegangen werden.
Antihormonelle Medikamente werden in der Pädiatrie nur in Ausnahmefällen eingesetzt, da ein Grossteil der pädiatrischen Malignome nicht darauf ansprechen.
Proteinkinaseinhibitoren hemmen intrazelluläre Tyrosin- und Serin-Threonin-Kinasen und blockieren dadurch die kaskadenartige Signalübertragung von intrazellulär gelegenen Zellmembran-Rezeptoren zum Zellkern. Sie werden zunehmend bei gewissen resistenten Leukämieformen, aber auch bei einzelnen soliden Tumoren erfolgreich eingesetzt.
Monoklonale Antikörper (MAK) sind gegen Tumorantigene, Liganden oder extrazelluläre Rezeptoren gerichtet. Die einzelnen MAK hemmen Rezeptoren, greifen in die inter- (Check-Point-Inhibitoren) und intrazelluläre Signalübermittlung und die Komplementkaskade ein oder Beeinflussen die Zytotoxizität. Viele MAK können aufgrund des Wirkungsmechanismus bei verschiedenen Tumoren eingesetzt werden. Viele dieser Einsatzmöglichkeiten sind oft nicht registriert (Einsatz nach Art. 71 a-d KVV zu prüfen).
Die Nomenklatur der Arzneimittel folgt international vereinbarten Richtlinien (Link). Für biologische und biotechnisch hergestellte Substanzen gelten spezielle Richtlinien (Link).
Diese teils neuartigen Substanzen oder Therapieverfahren können das körpereigene Immunsystem im Kampf gegen die Krebszellen mobilisieren und sind bisher vor allen erfolgreich bei malignen hämatologischen Erkrankungen. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen konnten in einigen Studien bisher resistente Leukämien in eine vollständige Remission gebracht werden. Die Entwicklung in diesem Bereich schreitet rasant voran.
Immuntherapeutika können entweder von aussen, z.B. als Infusion (z.B. Antikörper gegen Tumorzellen, die in dieser Art vom Körper normalerweise nicht gebildet werden) zugeführt werden oder es kann darum gehen, dass im Falle einer Stilllegung des eigenen Immunsystems dieses reaktiviert werden kann, indem man vorhandene Bremsen des Immunsystems lockert und damit die Immun-Toleranz unterbricht.
Typische Vertreter dieser neuen Behandlungsmöglichkeiten sind Immuncheckpoint -Inhibitoren, sog. PDL1 inhibitoren (bei soliden Tumoren), Bispezifischen Antikörper wie Blinatumomab oder via Genmanipulation hergerichtete aktivierte T-Zellen (CAR-T-Cell Therapien) bei hämatologischen Neoplasien.
Substanzklasse | Substanzgruppen | Beispiele | Beispiele / Wirkmechanismus / Angriffspunkte | |
Zytostatika | Alkylantien | Platinderivate / Oxazaphosphorine / N-Lost-Derivate | Cisplatin, Carboplatin / Cyclophosphamid / Melphalan | DNA |
Zytostatika | Antibiotika | Anthrazykline / Anthracendione | Doxorubicin / Mitoxantron | DNA |
Zytostatika | Antimetaboliten | Antifolate / Purinantagonisten / Pyrimidinantagonisten | Methotrexat (MTX) / Fludarabinphosphat / 5-Fluorouracil (5-FU) | Nukleinsäuren |
Zytostatika | Alkaloide | Vincaalkaloide / Taxane | Vinorelbin / Docetaxel, Paclitaxel | Mitose (Mitoseinhibitoren) |
Zytostatika | Enzyme | L-Asparaginase | Proteine | |
Antihormonelle Medikamente | GnRH-Analoga / Antiöstrogene / Aromataseinhibitoren / Gestagene / Antiandrogene | Goserelin / Tamoxifen / Letrozol / Examestan / Megestrolacetag / Bicalutamid | Zentral (Hypophyse) / Hormonrezeptor | |
Immunologika | Zytokine | Interferon α/β/γ / IL2 / TNF alpha | Interzelluläre Mediatoren von Immunzellen/mesenchymalen Zellen | |
Monoklonale Antikörper | Anti-Her2 / Anti-EGFR / Anti-CD20 / Anti-VEGF | Trastuzumab / Erbitux / Panitumumab / Rituximab / Obinutuzumab / Bevacizumab | ||
Bispezifische Antikörper | Verbindet CD3-Rezeptor der T-Zellen mit CD19 der B-Zellen. | Blinatumomab | Löst den programmierten Zelltod (Apoptose) der B-Zelle aus | |
Checkpoint inhibitors | Anti-PD1 | Pembrolizumab | Blockade PD1-Rezeptor (Immunzelle) | |
Antikörper -Wirkstoff-Konjugat | CD22 mit Zytostatikum Calicheamicin | Inotuzumab Ozogamicin | Antikörper bindet an Tumorzelle und setzt intrazellulär Zytostatikum frei. | |
Small molecules | Signaltransduktions-Inhibitoren | Rezeptor-Tyrosinkinasen / Intrazelluläre Tyrosinkinasen | Lapatinib / Erlotinib / Imatinib Larotrectinib | Hemmung der spezifischen Proteinkinasen, andere Enzyme oder Effektormoleküle der intrazellulären Signaltransduktion (Angiogenese / Apoptose / Onkogene / Proliferation / Signaltransduktion / Zellzyklusregulation) |
Massnahmen | Voraussetzungen | Rechtsgrundlage | Grundsätze |
HPV-Impfung | BAG, kantonale Impf-programme | KLV 12a Ziff. k | Prophylaktische Impfungen |
Genetische Beratung | Population und Krankheiten definiert | KLV 12d Ziff f | Frühzeitige Erkennung von Krankheiten bei Risikogruppen (Sekundärprävention) |
Screening (Ultraschall, Tumormarker) | Syndrome mit erhöhter Tumormanifestation | KLV 12d | Früherkennung von Nephroblastom/Hepatoblastom |
Februar 2019
Prof. Dr. med. Felix Niggli, Dr. med. Yvonne Hummel
Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte
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