Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

Lipödem

Unter einem Lipödem siehe auch AWMF versteht man eine schmerzhafte Fettverteilungsstörung mit deutlicher Disproportion zwischen Körperstamm und Extremitäten, bedingt durch eine symmetrische Unterhautfettgewebsvermehrung (siehe "klinische Kriterien eines Lipödems" unten). Betroffen sind nahezu ausschliesslich Frauen. Bei fehlenden Beschwerden spricht man von einer Lipohypertrophie. In fortgeschrittenen Stadien kann ein Lymphödem hinzutreten (Lipolymphödem).

klinische Kriterien eines Lipödems

  • Beginn mit Pubertät, Schwangerschaft oder Menopause
  • Symmetrische, disproportionale Fettgewebsvermehrung (30% Armbeteiligung)
  • Kragen- oder Muffbildung im Bereich der Gelenkregionen (Hand-, Sprunggelenk)
  • Hände und Füsse nicht betroffen
  • Schwere- und Spannungsgefühl
  • Schmerzhaftigkeit bei Berührung, Palpation oder spontan – im Tagesverlauf zunehmend
  • Ödeme – im Tagesverlauf zunehmend
  • Hämatome nach Bagatelltraumata
  • Stemmer-Zeichen negativ (siehe auch Wikipedia)

Gesicherte epidemiologische Daten gibt es nicht Verwechslungen mit einer alimentären Adipositas oder einem Lymphödem sind nicht selten.

Ätiologie

Genetische und hormonelle Komponenten werden angenommen. Eine erhöhte Kapillarbrüchigkeit und -fragilität sowie Mikroaneurysmen kleinster Lymphgefässe wurden nachgewiesen. Histologisch imponiert eine Hypertrophie und Hyperplasie von Fettzellen.

Der Verlauf ist in der Regel chronisch progredient. Je nach Verteilung der Fettvermehrung spricht man von „Oberschenkel-, Ganzbein- oder Unterschenkeltyp“ bzw. von „Oberarm-, Ganzarm- oder Unterarmtyp“.

Einteilung des Lipödems nach Morphologie

StadiumCharakteristika
1Glatte Hautoberfläche mit gleichmässig verdickter, homogen imponierender Subkutis
2Unebene, überwiegend wellenartige Hautoberfläche, knotenartige Strukturen im verdickten Subkutisbereich
3Ausgeprägte Umfangsvermehrungen mit überhängenden Gewebeanteilen (Wammenbildung)

Die Diagnose erfolgt klinisch. Zu dokumentieren sind: Grösse, Gewicht, BMI, Waist-Hip-Ratio (WHR), Waist-Height-Ratio (WTR), Extremitätenumfang und/oder -volumen (Perometrie), körperliche Aktivität sowie Beschwerdegrad. Eine Fotodokumentation ist wichtig. Apparative Untersuchungen sind in der Regel nicht erforderlich.

Klinische Merkmale zur differenzialdiagnostischen Abklärung

LipödemLipohypertrophieAdipositasLymphödem
Fettvermehrung+++++++++(+)
Disproportion++++++(+)+++
Ödem+++Ø(+)+++
Druckschmerz+++ØØØ
Hämatomneigung+++(+)ØØ
Symbolerklärung:
+ bis +++ vorhanden; (+) möglich; Ø nicht vorhanden

Wichtig ist die Abgrenzung gegenüber einer Lipohypertrophie, die in der Regel keiner konservativen Therapie bedarf, und insbesondere der alimentären Adipositas, die bei mehr als der Hälfte der Lipödem-Patientinnen anzutreffen ist. Die Diagnose „Lipödem“ soll daher durch einen lymphologisch erfahrenen Arzt erfolgen und ggf. nach Gewichtsreduktion überprüft werden.

Eine kausale Therapie ist nicht bekannt. Behandlungsziele sind daher die Beseitigung oder Besserung der Beschwerden (Schmerz, Ödem, Disproportion) sowie die Verhinderung von Komplikationen (Mazeration, Infektion, Erysipel, Lymphödem, Gangstörungen, Achsenfehlstellungen).

Im Zentrum der konservativen Therapie steht die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE), bestehend aus Manueller Lymphdrainage (MLD), Lymphologischem Kompressionsverband, Kompressionsbestrumpfung in flachgestrickter Nahtware, Bewegungstherapie, Hautpflege und Patientenschulung. Unterschieden werden eine Entstauungs- und eine Erhaltungsphase.

Ernährungsumstellung und körperliche Aktivität reduzieren das Übergewicht, beseitigen aber nicht die Lipödem-bedingte disproportionale Fettgewebsvermehrung. Dennoch ist eine Gewichtsnormalisierung sinnvoll. Eine spezifische Lipödem-Diät existiert nicht. Eine Diuretikatherapie ist nicht indiziert und kann die Ödembildung verstärken.

Die operative Therapie besteht in der Liposuktion in Tumeszenz-Lokalanästhesie („wet technique“) mit stumpfen Mikrokanülen, wobei unterstützende Verfahren (Vibration oder Wasserstrahl) eingesetzt werden. Die Indikation zur Liposuktion ist i bei Fortbestehen alltagsrelevanter Beschwerden trotz konsequent durchgeführter konservativer Therapie (während mindestens sechs Monaten) oder bei starker Progredienz des Unterhautfettvolumens zu diskutieren. Da kein Zusammenhang zwischen Stadium und Beschwerdeintensität besteht, kann eine Liposuktion im Stadium 1 gerechtfertigt sein. Im Stadium 2 ist die Liposuktion in der Regel risikoarm möglich. Im Stadium 3 sind die Erfolgsaussichten geringer. Ein manifestes Lipolymphödem stellt eine Kontraindikation dar. Die wissenschaftliche Evidenz der Liposuktion ist insgesamt unbefriedigend (siehe auch Link).

Die vorliegenden Studien belegen mit mässiger Evidenz eine Verbesserung von Spontan- und Druckschmerz, Ödem- sowie Hämatomneigung bis hin zur vollständigen Beschwerdefreiheit. Die Intensität der KPE kann postoperativ meist signifikant reduziert werden. Die Befundverbesserungen bleiben ganz überwiegend über viele Jahre bestehen. Die Korrektur der Beinfehlstellung bewirkt eine Besserung der Beweglichkeit und reduziert das Risiko weiterer orthopädischer Komplikationen. Die Komplikationsrate ist mit 1.4% niedrig.

Manuelle Lymphdrainage (MLD)

In der Entstauungsphase (Phase I) ist eine werktägliche Durchführung als Ganzkörperbehandlung, gefolgt von der Anlage eines lymphologischen Kompressionsverbandes, häufig sinnvoll. Nur in Ausnahmefällen ist diese Behandlungsintensität über mehr als 2 Wochen erforderlich. Bei vielen Patientinnen muss die MLD im Anschluss zeitlich unbefristet fortgeführt werden (Erhaltungsphase, Phase II). Die Häufigkeit muss individuell festgelegt werden und übersteigt nur sehr selten ein bis zwei Anwendungen wöchentlich. Jahreszeitliche Schwankungen sind ggf. zu berücksichtigen. Die Kostengutsprache für eine Langzeitverordnung soll in diesen Fällen auf der Basis eines Arztberichtes erfolgen, der eine Verlaufsbeschreibung klinischer Beschwerden, einen lymphologischen Befund sowie eine Dokumentation von Extremitätenumfang und/oder -volumen enthalten soll. Hilfreich ist ein Bericht des behandelnden Therapeuten. Eine Verlaufskontrolle sollte anfänglich nach drei bis sechs, bei stabilem Befund alle zwölf Monate erfolgen.

Kann durch dieses Vorgehen nach 6 bis 12 Monaten keine signifikante Beschwerdereduktion erreicht werden, kann die Indikation zu einer stationären Behandlung mit der Möglichkeit zur Durchführung der MLD zweimal täglich geprüft werden.

Kompressionsbestrumpfung

Eine konsequente Kompression ist die Grundlage jeder konservativen Therapie. Aufgrund der Disproportionalität der Fettgewebevermehrung ist zumeist eine Massanfertigung in flachgestrickter Nahtware erforderlich. Rundgestrickte Kompressionsteile schnüren oft schmerzhaft ein und vermindern dadurch die Compliance. Eine Wechselbestrumpfung ist notwendig. Anlässlich ärztlicher Verlaufskontrollen ist auf Gebrauchsspuren als Hinweis auf eine konsequente Nutzung zu achten.

Versicherungsmedizinische Aspekte

Versicherungsmedizinische Fragen beim Lipödem beziehen sich auf die Diagnose selbst, die Verordnung von Manueller Lymphdrainage und Kompressionsbestrumpfung. Bei beruflich starker körperlicher Beanspruchung und konsequentem Tragen der Strümpfe werden mehr als zwei Paar Strümpfe jährlich benötigt. Die Kostengutsprache für eine Liposuktion erfordert ein klares Aufzeigen, dass es sich nicht um eine operative Adipositasbehandlung handelt.

Januar 2018, Dr. med. Gerson Strubel

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