Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

Methodenpapier für das Fachgebiet Onkologie der Arbeitsgruppe SGV/SGMO

Präambel

Die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung (OKP) ist grundsätzlich von einer Zulassung (bzw. Registrierung) abhängig. Diese erfolgt durch die Zulassungsbehörde (swissmedic) für spezifische Indikationen.

Bei neuen Erkenntnissen wird die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels für andere Indikationen zulasten der Krankenpflegeversicherung grundsätzlich über die Erweiterung der Zulassung und Anpassung der Registrierung bei swissmedic erreicht. Die Erweiterung der Zulassung kann sich neben der Indikation u. a. auch auf die Änderung der Dosierung, des Dosierungsintervalls, des Applikationsweges und der Art des therapeutischen Einsatzes, z. B. als Mono- oder Kombinationstherapie, beziehen.

Es ist ein Grundverständnis der gemischten Arbeitsgruppe off-label-use, dass es Krankheitsbilder gibt, bei denen ein die Zulassungsgrenzen überschreitender Einsatz eines Medikamentes aufgrund des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse und unter Berücksichtigung des therapeutischen Fortschrittes medizinisch notwendig und therapeutisch zweckmässig sein kann. Ziel ist es, den Patienten die entsprechende Therapie nicht vorzuenthalten.

Eine bedeutende Rolle kommt in dieser Hinsicht den Vertrauensärzten der Krankenversicherer zu. Sie beraten nach Art. 57 des KVG die Versicherer in medizinischen Fachfragen sowie in Fragen der Vergütung und der Leistungspflicht. Sie sind dabei in ihrem Urteil unabhängig. Weder Versicherer noch Leistungserbringer oder deren Verbände können ihnen Weisungen erteilen.

Durch die Feststellungen und Empfehlungen der Arbeitsgruppe soll keine Alternative zur Zulassung etabliert werden. Angesichts der Tatsache, dass einerseits ausschliesslich der Hersteller eine Zulassung bzw. Zulassungserweiterung beantragen kann und er grosse Gestaltungsräume im Verfahen hat, andererseits er aber auch bei zulassungsüberschreitendem Einsatz seines Medikmantes finanziell profitiert, trifft ihn nach Auffassung der Arbeitsgruppe eine besondere Verantwortung. Ein positives Votum wird von der Arbeitsgruppe daher auch als Aufforderung an den Hersteller verstanden, eine Erweiterung der Zulassung einzuleiten.

Verfahren

1. Antragsstellung und Prüfung

Der Antrag muss den Wirkstoff/das Arzneimittel (allenfalls die Kombinationstherapie, in der der Wirkstoff eingesetzt werden soll) sowie die beanspruchte Indikation enthalten. Der Antrag ist zu begründen und es sollten, soweit vorhanden, relevante Unterlagen beigefügt werden.

Die Prüfung wird anhand des Fragebogens "Anfrage an Hersteller" durchgeführt. Sie können das Formular bei der Geschäftsstelle der SGV/SSMC anfordern.

Das vollständig ausgefüllte Formular inklusive der nötigen Beilagen bildet die Grundlage für die Prüfung durch die Arbeitsgruppe.

2. Auswahl der zu bearbeitenden Themen

Die Priorisierung erfolgt primär nach der Häufigkeit der Erkrankung und des off-label-use. Auch selten auftretende Indikationen und/oder Hinweise auch echte Innovationen oder Risiken mit besonderer versorgungspolitischer Bedeutung beim Einsatz ausserhalb der Zulassung sind jederzeit zur Bewertung aufgreifbar. Die Arbeitsgruppe ist, auch im Rahmen ihrer Kapazitäten, frei, die Priorisierung sowie das Eintreten auf eine Prüfung zu bestimmen.

3. Zuständigkeiten innerhalb der Arbeitsgruppe

Die Arbeitsgruppe bestimmt pro Prüfverfahren ein Mitglied, welches die jeweilige Prüfung zu Handen der Arbeitsgruppe vorbereitet.

4. Bewertung

Für die Bewertung werden u. a. Stellungnahmen der "Food and Drug Administration" (FDA), der "European Medicines Agency" (EMEA) und der "American Society of Clinical Oncology" (ASCO) und der ESMO herangezogen.

In Anlehnung an die Kriterien der FDA wird eine aussagefähige Studie mit positivem Ergebnis in der beanspruchten Indikation in bestimmten Situationen als ausreichend für eine positive Bewertung angesehen. Dabei versteht sich von selbst, dass einer solchen Studie nicht eine oder mehrere aussagefähige mit negativem Ergebnis gegenüber stehen dürfen.

Die Situation, in denen dieses Vorgehen möglich ist, sind insbesondere:

4.1 Erweiterung der Indikation

  • für die beanspruchte Indikation kann ein ähnliches Ansprechverhalten (Responsiveness) wie für die zugelassene und belegte Indikation erwartet werden
  • die beanspruchte Indikation stellt ein anderes (zum Beispiel früheres) Stadium der gleichen Tumorentität dar als die zugelassene und belegte Indikation

4.2. Änderung des Therapieregimes in einer zugelassenen Indikation

  • es handelt sich um eine Änderung der Dosierung oder des Applikationsregimes
  • es handelt sich um eine Änderung der Kombinationstherapie in der Weise, dass die belegte Kombination bezüglich ihrer Komponenten modifiziert, ein bereits in der Monotherapie verwendetes Arzneimittel in eine neue Kombinationstherapie integriert oder das in Frage stehende Arzneimittel als Monotherapie verwendet wird

4.3 Sicherheit / Nebenwirkungen

Werden das Dosisregime, die Kombinationspartner und/oder Begleittherapien bzw. die Patientengruppe, in der die Therapie angewendet werden soll (zum Beispiel Komorbidität) nicht gravierend verändert, so sind keine neuen Daten zur Unbedenklichkeit erforderlich (also keine Daten über die oben geforderte Studie hinaus)

4.4 Supportive Therapie

Für supportive Therapien, insbesondere solche, die die Abschwächung oder Verhinderung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) der antitumorösen Therapie bewirken sollen, ist bei palliativer Zielsetzung eine positive Bewertung gegeben, falls keine Bedenken bestehen, dass die Anwendung in einer nicht zugelassenen Indikation tatsächlich einem inakzeptablen Wirksamkeitsverlust der antitumorösen Therapie führen könnte. Bei kurativer Zielsetzung der antitumorösen Therapie kann auf aussagekräftige Studien in der Regel nicht verzichtet werden.

Anforderungen an die Studien

  • Evidenz aufgrund von Meta-Analysen randomisiterter, kontrollierter Studien
  • Evidenz aufgrund mindestens einer randomisierten, kontrollierten Studie
  • Evidenz aufgrund mindestens einer gut angelegten, kontrollierten Studie ohne Randomisierung
  • Evidenz aufgrund einer gut angelegten, quasi-experimentellen Studie
  • Evidenz aufgrund gut angelegter, nicht experimenteller deskriptiver Studien (z. B. Vergleichsstudien, Korrelationsstudien, Fall-Kontrollstudien)
  • Evidenz aufgrund von Berichten/Meinungen von Expertenkreisen, Konsensuskonferenzen und/oder klinischer Erfahrung anerkannter Autoritäten

5. Quellen

Neben den von den Antragstellern vorgelegten und den von den Herstellern erbetenen Unterlagen sollen mindestens Recherchen in den Datenbanken MedLine und Embase vorgenommen werden.

Der für eine positive Empfehlung notwendige Evidenzgrad bzw. das mindestens erforderliche Studiendesign (zum Beispiel paraller Vergleich) kann für ein zu behandelndes Thema vorab festgelegt werden. Eine Literaturrecherche kann unter Umständen auf solche und bessere Studien beschränkt werden.

Bei der Bearbeitung der Literatur, insbesondere bei der Extraktion von Studiendaten, wird empfohlen, nur Quellen des jeweils höchstens vorliegenden Evidenzgrades bzw. des besten vorliegenden Studiendesigns zu berücksichtigen. Die Datenextraktion anderer Studien sollte nur in besonders relevanten Fällen erfolgen. Zur transparenten Darstellung sollte ein Hinweis zu nicht berücksichtigten Quellen mit stichwortartiger Begründung erfolgen.

Ob (veröffentlichte) Abstracts ausreichende Informationen für eine Beurteilung enthalten, ist im Einzelfall zu entscheiden. Die positive Bewertung eines Wirkstoffs/Arzneimittels in einer Indikation ausschliesslich auf Basis von Abstracts ist grundsätzlich nur möglich, wenn für den Off-label-use-Einsatz relevante, über das Abstract hinausgehende Informationen der Arbeitsgruppe zugänglich sind.

6. Publikation

Die Resultate der Arbeitsgruppe werden in Form eines Empfehlungspapiers in den Homepages der SGV und der SGMO publiziert. Die Empfehlungen haben keinen bindenden Charakter, sondern sollen den Vertrauensärzten wie Onkologen als Anhaltspunkte dienen. Der Entscheid, ob ein Medikament im konkreten Einzelfall von einem Versicherer übernommen werden kann, obliegt diesem, unabhängig von der Empfehlung der Arbeitsgruppe.

7. Aktualisierung und Arbeitsgruppenrhythmus

Die Empfehlungen werden von der Arbeitsgruppe aktualisiert. Allerdings ist der Sitzungsrhythmus zu beachten. Die Arbeitsgruppe trifft sich in der Regel zweimal jährlich, jeweils im Frühjahr und Herbst. Der Arbeitsgruppe vollständig vorliegende Dokumente (insbesondere Fragebogen an Hersteller plus Beilagen) müssen mindestens drei Monate vor der nächsten Sitzung komplett vorliegen, damit eine Beurteilung im Rahmen der nächsten Sitzung vorgenommen werden kann. Eine Gewähr dafür kann nicht abgegeben werden.

8. Nichteinverständnis mit Empfehlung der Arbeitsgruppe

Die Arbeitsgruppe ist unabhängig, zusammengesetzt aus Vertrauensärzten und Onkologen. Die konkrete Entscheidung (Bezahlen, Nichtbezahlen einer Therapie im konkreten Einzelfall) obliegt in jedem Fall den Versicherern bzw. den Versicherten und Patienten. Die entsprechende Gerichtsbarkeit (insbesondere Sozialversicherungsprozess im Bereiche der gesetzlichen Krankenpflegeversicherung) ist zu berücksichtigen

  • Arbeitsgruppe Off-Label-Use
  • Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte

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